Drei Historische Liebesromane: Das 1500 Seiten Roman-Paket Sommer 2021. Alfred Bekker
begegnet ist. Aber die frommen Koran-Gelehrten in der Stadt, streiten darüber, ob das nicht der Grund für die Seuche sein könnte!“
„Aber – das ist doch...“
„Dies ist der Grund dafür!“, sagte Firuz. Er hielt ein Blatt in ihre Richtung, das unschwer als eines jener Papiere zu erkennen war, das sie gefertigt hatte. Sie ging jetzt ohne Furcht auf ihn zu. Dabei vermied sie es – ganz entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit - den Blick zu senken, sondern sah ihn die ganze Zeit über an. Er sollte sie nicht für schwach halten oder ihre anerzogene Höflichkeit als ein Zeichen dafür missdeuten, dass sie bereit war, sich ihm auch als Frau zu unterwerfen.
„Sieh es dir an!“, forderte er. „Halte es ins Licht. Vielleicht fällt dir etwas auf!“
Sie nahm das Blatt, hob es ins Licht und sah das Wasserzeichen. Es bestand aus einem Vers aus dem Koran. Li hatte ihn so gut und so kunstfertig es ihr möglich gewesen war nachgeformt.
„Was ist falsch daran?“, fragte sie. Sie kannte zwar die Buchstaben, aber auf Grund ihrer geringen Kenntnisse in der Sprache des Propheten, wusste sie nicht einmal um die Bedeutung dieser Zeile.
„Komm, ich will es dir zeigen“, sagte Firuz und führte sie zu einem Tisch, auf dem ein Koran lag – aufgeschlagen an jener Stelle, wo der betreffende Vers zu finden war. „Siehst du die roten Alifs?“, fragte Firuz.
„Ich habe sie ausgelassen, weil die roten Alifs nur Lesehilfen sind. Sie gehören nicht zum heiligen Text, den Mohammed empfing!“
„Von wem hast du solche Weisheit?“
„So hat man es mir in Samarkand gesagt, wo ich für Koran-Exemplare der Medressen ähnliches Papier gestaltet habe!“
Firuz atmete tief durch. Li hatte ihn noch nie so niedergeschlagen gesehen. Er schien nicht einmal wütend darüber zu ein, dass Li die roten Alifs weggelassen hatte, weil ein Wasserzeichen eine möglichst auf das Wesentliche reduzierte Form haben sollte. Firuz war einfach von einer tiefen Traurigkeit und Abgeschlagenheit erfüllt, wobei Li zu spüren glaubte, das dahinter noch etwas anderes steckte. „Es mag sein, dass die Koran-Gelehrten hier in Jerusalem nicht dieselben Kenntnisse haben, wie die Gelehrten in Samarkand, Buchara oder Bagdad. Ich mache dir auch keinen Vorwurf, sondern eher mir selbst, denn ich hätte auf diese Kleinigkeit achten sollen. Tatsache ist, dass jetzt darüber gestritten wird, ob dein Weglassen der Alifs einem falschen Zitieren des Koran gleichkommt. Und ein Falschzitieren des Koran ruft einer weit verbreiteten Meinung nach Dschinne herbei, deren Fluch man nicht wieder los wird...“ Er ließ das Blatt los. Es glitt zu Boden. „In absehbarer Zeit glaube ich nicht, dass hier in Jerusalem irgendeine Abschrift des Koran auf deinem Papier geschrieben werden wird, Basma...“
„Und wenn man ein Rechtsgutachten in dieser Sache einholt? Wenn man sich an den Kalifen wendet...“
Firuz lachte heiser. „An welchen denn? Den Schwächling in Bagdad, der nichts mehr zu sagen hat – oder den Kalifen in Kairo, der frommer als der Prophet selbst sein will und Juden und Christen in Zukunft Glocken tragen lassen will? Glaubst du, irgend jemanden interessiert es hier, was Gelehrte andernorts wissen? Die Menschen haben Angst vor dem Fluch einer schrecklichen Krankheit, die sie nicht erklären können, denn selbst unsere besten Ärzte wissen nicht alles! Und jetzt geh. Die Lumpen, die wir gesammelt haben, können wir als Almosen für die Armen geben, damit Allah uns gnädig ist und Fadia nicht stirbt...“
„So schlimm steht es um sie?“
Er nickte nur stumm. Offenbar war er ihr stärker verbunden, als Li es bisher dem äußeren Anschein nach für möglich gehalten hatte.
––––––––
Am nächsten Morgen wachte Li in aller Frühe auf. Sie war schweißgebadet. Ein wirrer Albtraum hatte sie heimgesucht – oder eine düstere Ahnung. Die Sonne war gerade aufgegangen und die ersten Strahlen schienen in den Stall hinein. Ragnar und seine Normannen holten ihre Pferde aus dem Stall und sattelten sie. Wenig später hörte Li, wie sie den Innenhof verließen. Ein halbes Dutzend Reiter, die ihren Pferden die Sporen gaben und auf die an der Küste ein Schiff wartete, das sie nach Konstantinopel brachte.
Dieser Ort erschien einmal mehr wie ein Traum.
Es musste das westliche Gegenstück zum herrlichen Bian sein, von dem ihr Vater immer so voller Ergriffenheit und Bewunderung geschwärmt hatte. Aber es schien wohl ihr Schicksal zu sein, eines Tages die Augen zu schließen und keine der beiden erhabendsten Städte dieser Welt gesehen zu haben, die zusammen die zwei gleichschweren Gewichte einer großen Waage bildeten.
Li stand auf und ging zum Lager ihres Vaters. Er atmete nicht mehr und schien friedlich eingeschlafen zu sein.
In diesem Moment hörte sie Schritte und ein knarrendes Geräusch. Ein Pferd schnaubte, als die Stalltür geöffnet wurde und jemand eintrat. Li drehte sich um – noch völlig unter dem Eindruck der schrecklichen Gewissheit, die sie nun hatte. Sie war in Zukunft allein und vollkommen auf sich gestellt. Nur mit Mühe konnte sie ihre Tränen zurückhalten.
Es war Jarmila, die den Stall betreten hatte.
Sie blickte zuerst Li an, dann glitt ihr Blick zu Meister Wang. „Nicht nur du hast in dieser Nacht einen geliebten Menschen verloren“, sagte sie.
„Aber...“ Li war einen Moment lang etwas verwirrt. Dann ahnte sie, wovon Jarmila sprach. „Fadia?“
„Ja. Firuz wacht an ihrem Bett. Das hat er schon die ganzen letzten Tage getan und ich glaube, er wird eine ganze Weile an nichts anderes denken können, als an seine Trauer. Aber es wird der Tag kommen, da er sie vergessen wird – und dann gehört sein Herz allein mir.“
„Jarmila, ich...“
„Spar dir deine Worte, Basma! Alles, was du sagen könntest, wäre unpassend und falsch. Hilf mir lieber ein Pferd zu satteln.“
„Wie bitte?“
„Der Normanne wartet am Davidstor auf dich, wenn du dich beeilst. Er wird dich mit nach Konstantinopel nehmen.“
„Warum sollte er das tun?“
„Weil ich ihm dafür einen der Steine gegeben habe, die Firuz aus Indien mitgebracht hat. Und weil er weiß, dass er in mir immer eine Fürsprecherin haben wird, wenn er in ein paar Monaten oder Jahren erneut nach Jerusalem kommt und mit Firuz ein Geschäft machen will!“
Li schluckte. Sie blickte zu ihrem toten Vater, während Jarmila bereits eine Decke auf einen der Pferderücken legte. „Nun hilf mir endlich, du Närrin! Du wirst nur diese eine Möglichkeit zur Flucht haben! Oder ist es dir lieber so lange zu warten, bis dich entweder das Fieber mit seinem üblen Atem angehaucht hat oder man dich totschlägt, weil sich irgendwann bei allen herumgesprochen haben wird, dass du eine böse Dschinn-Frau bist!“
„Ich kann meinen Vater so nicht liegen lassen.“
„Um ihn wird man sich kümmern“, sagte Jarmila. „Aber du solltest nicht an die Toten denken, sondern an die Lebenden! Und jetzt hilf mir! Schlimmer als eine verfluchte Dschinn-Frau ist ein dummer Dschinn, der anscheinend von dir Besitz ergriffen hat!“
––––––––
Einen Augenblick lang zögerte Li. So viele Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Es gab Momente, in denen sich alles änderte und nichts von dem, was einem zuvor gewiss erschienen war, seine Gewissheit behielt. Dies war wohl so ein Augenblick. „Vater...“, murmelte sie und berührte leicht seine Wange. Tränen glitzerten in ihren Augen. Dann stand sie