Die Macht der virtuellen Distanz. Karen Sobel Lojeski
würde. Unternehmen, die robustere Onboarding‐Prozesse eingeführt haben, sind eher imstande, Teams zu bilden, bei denen auch Neuzugänge in der Gruppe Gemeinschaftsgefühl entwickeln.
Das Modell der virtuellen Distanz deckt noch ein weiteres Problem auf: Die Generation Y macht übermäßig Gebrauch von einem einzigen Kommunikationsmodus, im Gegensatz zu einer vielfältigeren Mischung aus Telefonaten und anderen »Live«‐Kontaktmöglichkeiten. Das überrascht nicht. Doch in Verbindung mit dem Gefühl, Außenseiter zu sein, die nur wenige Erfahrungen mit anderen Generationen teilen, und den schwerwiegenden Defiziten, die mit der Affinitätsdistanz einhergehen, kann die Funktionsfähigkeit der Teams noch stärker beeinträchtigt werden.
Das äußert sich beispielweise auch im Fehlen gemeinsamer sozialer Aktivitäten im Kollegenkreis, verglichen mit anderen Generationen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Millennials den Mitgliedern ihrer Teams mit mehr Misstrauen begegnen als jede andere Generation. Und Vertrauen hat grundlegende Auswirkungen auf alle anderen Einflussfaktoren.
In Abbildung E.7 sind die signifikanten Unterschiede zwischen den Generationen bei einer Reihe von Schlüsselindikatoren für die Leistung dargestellt.
Die Millennials hatten erheblich weniger Vertrauen als alle anderen Generationen. Diese Forschungsergebnisse sollten Arbeitgebern Anlass zur Sorge geben, denn mangelndes Vertrauen oder oft sogar ausgesprochenes Misstrauen verringert das altruistische Verhalten am Arbeitsplatz und das Mitarbeiterengagement.
Wie wir im 4. Kapitel sehen werden, hat unkontrollierte virtuelle Distanz erhebliche Auswirkungen auf das Vertrauen und führt zu hochproblematischen Einflüssen auf nahezu alle Verhaltensweisen, was sich schlussendlich in einem Abfall des Leistungsniveaus und des Wohlbefindens der Mitarbeiter niederschlägt. Die Tatsache, dass sich Millennials auf der persönlichen und beruflichen Ebene isolierter fühlen, sollte der Unternehmensführung signalisieren, dass Initiativen den Vorrang erhalten müssen, die Ursache‐Wirkung‐Beziehungen rund um dieses höchst wichtige Thema aufdecken. Ähnliche Vertrauensmuster der Millennials lassen sich auch in den Kategorien OCB und Mitarbeiterengagement erkennen.
Die gute Nachricht lautet: Die Verringerung der virtuellen Distanz verändert diese kausalen Beziehungen und das Vertrauensmuster der Millennials, wenn die Teams enger »zusammenrücken«.
Und was könnte nachhaltiger motivieren als unsere Ergebnisse bezüglich des Lernverhaltens? Millennials sind diejenigen, die sich am intensivsten in Organisationale Lernprozesse einbringen. Das mag man in Anbetracht unserer bisherigen Aussagen nicht vermuten. Doch trotz aller anderen Indikatoren sind sie bestrebt, ihren Horizont zu erweitern. Sie sind hochgradig motiviert, sich neue Fähigkeiten und Fertigkeiten anzueignen, Lektionen aus Teambesprechungen abzuleiten und sie auf andere Aufgaben ihres Teams zu übertragen. Das ist einer der Hauptgründe, warum Millennials auch dann zahlreiche fähigkeitsbasierte Kompetenzen entwickeln können, wenn sie sich auf der sozialen Ebene nicht nahestehen. Doch da sie häufiger abgeschottet arbeiten, sind sie eher geneigt, den Arbeitgeber zu wechseln. Im Zeitalter der digitalen Transformation konzentrieren sich Unternehmen daher stärker als jemals zuvor darauf, das langfristig erworbene institutionelle Wissen zu binden und in einen klaren Wettbewerbsvorteil zu verwandeln. Und in dieser Hinsicht stellen die Millennials die wichtigste Ressource dar.
Abb. E.7: Benchmark‐Daten der virtuellen Distanz und Unternehmensergebnisse im Generationenvergleich
Unternehmen, die auf ein robustes Kommunikationstraining, eine strukturierte Führungskräfteentwicklung sowie Arbeitsaufgaben achten, die Millennials eine aktive Rolle beim Teilen ihrer hart erarbeiteten Kenntnisse zuweisen, werden im Wettbewerb die Nase vorne haben.
Die Schwellengeneration
Wir sollten auch berücksichtigen, dass sich unsere jüngsten Arbeitskräfte Problemen gegenübersehen werden, mit denen keine Generation zuvor konfrontiert wurde. Diese Herausforderungen gehören, wie zuvor beschrieben, zu den größten, mit denen sich die Menschheit auseinandersetzen muss. Um ihnen dabei zu helfen, eine optimistischere Zukunftsvision zu verinnerlichen, gilt es dafür zu sorgen, dass sie sich enger verbunden fühlen und Kollegen mit weniger Argwohn begegnen. Deshalb müssen wir auch hier den Blick darauf richten, was die Generationen eint, und nicht, was sie trennt. Um dieses anspruchsvolle Ziel zu erreichen, können wir die übliche Klassifizierung der Generationen in einen neuen Zusammenhang setzen und uns als eine Generation betrachten, die wir »Schwellengeneration« nennen.
Die Schwellengeneration umfasst diejenigen Personen, die vor Mitte der 1990er Jahre geboren wurden, eine Gruppe, die alle herkömmlich definierten Generationen auf dem heutigen Arbeitsmarkt repräsentiert. Sie ist die letzte Generation auf unserem Planeten, die den Unterschied zwischen einem Leben mit und ohne digitale Technologie kennt. Wir haben eine Sichtweise wie keine andere Generation vor oder nach uns, weil wir aufgrund unserer unmittelbaren Erfahrungen erkennen, was getan werden muss, um unsere Menschlichkeit zu fördern, während wir gleichzeitig nach Wegen suchen, die beste Hebelwirkung mit einem Werkzeug namens Technologie zu erzielen.
Die Verantwortung, die der Schwellengeneration zukommt, ist absolut unerlässlich für die »Zukunft von allem«. Bei Gesprächen aus dieser Warte, die wir mit Angehörigen aller Generationen geführt haben, Millennials eingeschlossen, schienen sich die meisten auf Anhieb mit diesem gemeinsamen Ziel identifizieren zu können, einem Ziel, das über die Eigeninteressen hinausgeht und Neugierde auf die Möglichkeiten entfacht, die Zusammenarbeit der Erwerbstätigen als Solidargemeinschaft zu fördern.
Was diesen Aspekt der HOME‐Perspektive betrifft, stellen die Millennials definitionsgemäß »die Zukunft der Arbeit« dar. Es wird ihrer Führung obliegen, den Zusammenhalt im Unternehmen zu sichern, der mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu beiträgt, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und einen aktiven Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten.
Das »Was«
Wenn sich Menschen zu einer zwanglosen Unterhaltung zusammenfinden, lautet die erste Frage oft: »Und was machen Sie beruflich?« Das wichtigste Messinstrument unserer Arbeitsidentität scheint unser Lebenslauf zu sein. Wenn Teams die virtuelle Distanz verringern und das »Was« mit dem »Wo« und »Wann« verknüpfen, lässt sich die Leistung steigern und die Wahrnehmung verstärken, dass wir eine sinnvolle Tätigkeit verrichten.
Die folgenden Aussagen und situationsspezifischen Elemente von Projekten und Arbeitsinitiativen, die in den Benchmarks erfasst wurden, stellen eine Auswahl aus den unterschiedlichen Arbeitssituationen dar, die wir analysiert haben. Eine umfassendere Liste finden Sie in Anhang C.
»Ich leite eine Abteilung mit zehn langjährigen Mitarbeitern, die für die Vermarktungsstrategien und Preisstellungen in einem unserer Produktbereiche zuständig ist.«
»Wir haben gerade in ein Produktivitätszentrum in Singapur investiert, das sich in der Aufbauphase befindet. Dort werden sowohl die externen als auch die firmeninternen Kunden geschult. Infolge der Kompetenzsteigerung erwarten wir ein Wachstum der Geschäftstätigkeit um jährlich 20%.«
»Ich bin für die Service‐Entwicklung auf freien Märkten verantwortlich. Ich habe sechs Gebietsleiter, die kreuz und quer durch die Welt reisen, um ihre Märkte zu besuchen. Zwischen zehn und zweiundzwanzig Mitarbeiter sind vor Ort stationiert. Meine Aufgabe besteht darin, eine professionelle After‐Sales‐Organisation aus dem Boden zu stampfen oder die vorhandenen Strukturen weiterzuentwickeln.«
»Ich arbeite bei mehreren Projekten mit verschiedenen Abteilungen der Unternehmenszentrale und eines lokalen Geschäftsbereichs mit. Manchmal werden auch Partnerfirmen einbezogen. Bei vielen Projekten geht es um Pre‐Sales‐Maßnahmen