Achtung Steinschlag!. Christian Köberl
Weise, was Meteoritentreffer anrichten können: Die Erde bebte, Tsunamis brachen los, Wälder rund um den Globus standen in Flammen, Ruß und andere Substanzen verdunkelten die Sonne, die Temperaturen fielen. Es wurde finster und kalt auf dem Planeten, das Klima spielte verrückt, die Nahrungskette kollabierte, die Tiere verendeten. Es folgte ein Massenaussterben.
Die große Frage lautet natürlich: Kann es wieder passieren? Die Antwort ist ebenso eindeutig wie beunruhigend: Es kann nicht nur neuerlich geschehen, es wird geschehen. Ungewiss ist lediglich: Wann wird es sich zutragen, und wie verheerend werden die Konsequenzen sein? Wir wissen es nicht, doch ohne Zweifel sind wir von kosmischen Geschossen förmlich umzingelt. Dank sorgfältiger Überwachung des Himmels mit modernen Instrumenten kennen wir zurzeit rund 17.000 erdnahe Objekte: Asteroiden verschiedenster Größen, deren Bahnen immer wieder bedenklich nahe an unseren Planeten heranreichen – und sich theoretisch eines Tages mit jener der Erde kreuzen könnten, was eine Kollision bedeuten würde. Mit anderen Worten: Da draußen im All, in unmittelbarer Nachbarschaft, flitzt eine unüberschaubare Zahl von Gesteinsbrocken umher, es herrscht ein dichtes Gedränge von Asteroiden, die unseren Planeten einhüllen wie eine Wolke.
Zum Glück kann die Wissenschaft aufgrund zuverlässiger Berechnungen heute recht genau prognostizieren, dass jedenfalls in absehbarer Zeit kein massiver Zusammenstoß droht, schon gar keiner mit einem Vertreter jener Gewichtsklasse, der den Sauriern ein unerquickliches Ende bereitete. Kleinere Objekte fliegen allerdings unablässig in geringer Distanz vorbei, bisweilen im Monatstakt und so nahe, dass man ihnen, salopp ausgedrückt, beinahe zuwinken könnte. Mitte Oktober 2017 zum Beispiel zog der Asteroid „2012 TC4“ an uns vorbei, und zwar in einer Entfernung von gerade etwas mehr als 40.000 Kilometern. Das entspricht etwa einem Zehntel des Abstandes zum Mond und war empfindlich knapp an Satelliten, die in 36.000 Kilometer Höhe positioniert sind. Bemerkenswert ist, dass die genaue Bahn des ungefähr 50.000 Stundenkilometer schnellen Besuchers aus dem All nicht vor dem Sommer 2017 bekannt war – trotz der präzisen Technik weiß man manchmal erst sehr spät, ob die Sache eng wird.
Der Brocken war zwar maximal 30 Meter groß und hätte wohl nicht einmal den Erdboden erreicht, sondern wäre stattdessen in der Erdatmosphäre explodiert. Trotzdem können solche Ereignisse erheblichen Schaden anrichten. Ein kosmisches Objekt vergleichbarer Dimension detonierte 2013 in der Atmosphäre über Russland. Ein greller Feuerball raste über den Himmel, und in der Stadt Tscheljabinsk barsten tausende Fensterscheiben, Mauern stürzten ein, Menschen wurden verletzt. Der Fall zeigt: Asteroidenbruchstücke können selbst dann eine ernsthafte Gefahr darstellen, wenn sie es nicht mal bis zum Boden schaffen. Solche Zwischenfälle tragen sich deutlich öfter zu als wirklich große Einschläge.
Wir kommen sogar täglich mit Materie aus dem Kosmos in Berührung. Dabei droht allerdings keinerlei Gefahr, und wir können die Fremdkörper kaum sehen. Denn es handelt sich um Mikrometeoriten – um Staub, der aus dem Weltall herabrieselt. Forscher gehen davon aus, dass Tag für Tag ungefähr 100 Tonnen solcher Partikel auf unseren Planeten regnen. Wenn Sie das nächste Mal Staub wischen, vergegenwärtigen Sie sich, dass Sie dabei auch ein paar Körnchen in Händen halten, die vielleicht seit Beginn des Sonnensystems existieren.
Man darf also ohne jede Übertreibung behaupten: Asteroiden und Meteoriten sind höchst faszinierende Objekte. Sie können uns einen leichten Schauder über den Rücken jagen, weil sie ein diffuses Risiko darstellen, dem wir nach wie vor weitgehend hilflos ausgeliefert sind – wenngleich wir uns nicht davor ängstigen müssen, dass uns morgen der Himmel auf den Kopf fällt. Die archaischen Himmelskörper versprechen gleichzeitig tiefe Einsichten in die Entstehungsgeschichte des Universums. Der irritierendste Umstand ist vielleicht, dass sie ein wenig an Dr. Jekyll & Mr. Hyde erinnern: Denn sie können die Apokalypse auf die Erde bringen, umgekehrt aber auch Quelle neuen Lebens sein. In einem Abschnitt dieses Buches werden wir dieses Phänomen eingehend beleuchten: Krater können eine Art Biotop erzeugen, eine Oase für winzige Organismen, die womöglich ein Sprungbrett für die Entwicklung höherer Lebensformen bietet. Es ist sogar denkbar, dass an Bord von Asteroiden organische Moleküle durchs Weltall reisen – und die Erde bereits in grauer Vorzeit mit Leben infizierten. Selbst für die Wirtschaft sind Meteoritenkrater attraktiv: als Rohstoffquellen, die sich anzapfen lassen, um Edelmetalle wie Gold oder Bodenschätze wie Erdöl zu gewinnen. Im hinteren Abschnitt dieses Buches werden wir uns diesen meist wenig beachteten ökonomischen Aspekten zuwenden.
Kurzum: Asteroiden, Meteoriten und die Krater, die sie schlagen, sind dermaßen spannend und vielfältig, entwickeln so destruktive wie konstruktive Effekte, dass wir uns auf den folgenden 200 Seiten mit all ihrem Facettenreichtum befassen wollen. Wir werden Wissenschaftler bei Expeditionen in exotische und entlegene Winkel unseres Planeten begleiten, ins tropisch heiße Ghana ebenso wie ins klirrend kalte Sibirien. Unter enormen Strapazen hefteten sich die Forscher dort auf die Spuren von Impakten und versuchten zu ergründen, wann ein Geschoss welcher Größe und mit welchem Tempo herabdonnerte, welche Zerstörung in welchem Umkreis entstand – und welche Lehren wir daraus ziehen können. Wir werden beschreiben, wie Experten heute mit modernster Analytik herausfinden, woraus die Himmelskörper bestehen, wie alt sie sind, welche Energie sie beim Einschlag freisetzten und welche verräterischen Spuren sie in irdischem Gestein hinterlassen. Wir werden tief ins Innere von Kratern vordringen und enthüllen, was sie uns über die Katastrophen erzählen können, die einst den Planeten heimsuchten. Viele der Studien beruhen zu wesentlichen Teilen auf der Arbeit und den Methoden von Christian Köberl, dem Erstautor dieses Buches, die Untersuchung zahlreicher Krater maßgeblich auf seine Forschungen sowie jene seiner Kollegen und Weggefährten zurück. In aller Bescheidenheit dürfen wir daher sagen: Die Informationen in diesem Buch stammen ganz im Wortsinn aus erster Hand.
Vor allem wollen wir eine Vielzahl von Fragen beantworten, die wahrscheinlich jedem in den Sinn kommen, wenn das Stichwort Meteoriten fällt: Was ist ein Meteorit überhaupt, woraus besteht er, und weshalb kommt es zu Einschlägen auf der Erde? Wie entsteht ein Meteoritenkrater, und wie kann man ihn erkennen? Wie groß ist die Gefahr, dass einer dieser Himmelskörper auf die Erde stürzt? Wann müssen wir das nächste Mal damit rechnen? Was hat es mit der Geschichte vom legendären Dino-Killer wirklich auf sich? Und nicht zuletzt: Können wir etwas dagegen unternehmen, wenn einer dieser kosmischen Felsbrocken Kurs auf die Erde nimmt? Sollen wir tatsächlich dem Hollywood-Prinzip folgen und Asteroiden in die Luft sprengen? Oder ist es klüger, sie abzuschleppen? Und warum fliehen Asteroiden, wenn man sie zur Hälfte weiß anmalt?
Zu Beginn unserer Reise befassen wir uns jedoch mit der Geschichte der Meteoritenforschung. Denn die längste Zeit konnten die Menschen einfach nicht glauben, dass Steine wie aus dem Nichts vom Himmel fallen – und sahen darin ein Zeichen für den Zorn Gottes.
WENN GOTT MIT STEINEN WIRFT
Zu allen Zeiten beobachteten die Menschen furchterregende Feuerbälle am Firmament und Felsbrocken, die wie aus dem Nichts herabstürzten – sie sahen darin ein Zeichen für den Zorn der Götter. Die Gelehrten stritten darüber, ob tatsächlich außerirdische Materie die Erde treffen kann.
Das scheinbar Unmögliche geschah am 20. November 1768 gegen vier Uhr nachmittags. Aufgeschreckt von einem unheimlichen Grollen in der Luft, sahen mehrere Menschen im oberösterreichischen Mauerkirchen zum Himmel empor. Die Augenzeugen, die ihre Beobachtungen später unter Eid zu Protokoll gaben, blickten Richtung Westen und verfolgten ein beängstigendes Schauspiel am Firmament: Plötzlich verfinsterte sich der Himmel, es ertönte ein eigentümliches, bedrohliches Brausen, dann ein gewaltiges Krachen, ähnlich Donnerschlägen oder den Schüssen aus einer mächtigen Flinte. Gleich darauf fiel wie aus dem Nichts ein Stein zu Boden und knallte direkt aufs Feld eines Herren namens Georg Bart.
Eine Vermessung des Brockens sowie des Lochs, das er geschlagen hatte, ergab anschließend, wie ein anonymer Chronist penibel über „das Wunder“ festhielt: „Dieser Stein machte, nach obrigkeitlichem Augenschein, eine Grube von 2 ½ Schuh tief in der Erde. Er hält nicht gar einen Schuh in der Länge, ist 6 Zoll breit und wiegt 38 Baierische Pfunde.“ Auch die Beschaffenheit des seltsamen Geschosses wurde sorgfältig geprüft: Der Stein sei „von einer so weichen Materie, dass er mit den Fingern sich zerreiben lässt.“