Achtung Steinschlag!. Christian Köberl
Maßeinheiten ausgedrückt, wog der Stein, der auf damals noch bayrischem Hoheitsgebiet niederging, 21,3 Kilo. Er war 30 Zentimeter lang und gut 15 Zentimeter breit. Der Großteil des Objekts erschien hellgrau, durchsetzt mit dunklen Punkten metallischen Ursprungs. Wie wir heute wissen, handelt es sich bei den Materialien um die Minerale Olivin, Feldspat und Augit sowie um Einsprengsel von Eisen. Die schwarze Rinde entstand durch die enorme Hitzeeinwirkung beim Passieren der Atmosphäre. Der Findling von Mauerkirchen im Innviertel ist einer von acht zweifelsfrei identifizierten Meteoriten auf österreichischem Boden. Er ist zugleich der erste dokumentierte Meteoritenfall Österreichs, während sich der jüngste im April 2002 im Tiroler Reutte zutrug (siehe Tabelle S. 16).
Die Gelehrten um die Mitte des 18. Jahrhunderts waren noch relativ ratlos oder hochgradig uneins über die Herkunft des obskuren Fremdkörpers. Ein Skeptiker unter den Augenzeugen hielt es für grundsätzlich unmöglich, dass Steine einfach so herabfallen können. Möge noch angehen, argumentierte der Mann, dass feuerspeiende Berge allerlei Trümmer durch die Luft wirbeln. „Dass aber dergleichen Materie so lang in der Luft beysammen erhalten werden könne, bis daraus ein großer schwerer Stein gestaltet wird, das läuft wider alle Gesetze einer Vernunftlehre.“
Der unbekannte Verfasser der Chronik über den Meteoriten von Mauerkirchen tendierte hingegen zur Ansicht, dass sehr wohl „im Himmel Steine können gezeuget werden“.
Fallberichte
Ein Überblick über sämtliche bekannte Meteoriten, die auf österreichischen Boden stürzten.
Die Begebenheit führt zwei Umstände vor Augen: Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Menschen kaum eine Idee davon hatten, warum immer wieder außerirdisches Material auf unserem Planeten landet. Auch viele Fachkundige stellten lange vehement in Abrede, dass tatsächlich Fragmente fremder Himmelskörper durchs All driften und die Erde touchieren könnten. Bei dieser Erkenntnis handelt es sich erst um in jüngerer Vergangenheit akzeptiertes Wissen. Und zweitens: Seit es systematische Aufzeichnungen gibt, fertigen Zeitgenossen Notizen über die Einschläge rätselhafter Felsbrocken auf dem Erdboden an – und zwar in manchen Epochen viel häufiger, als man meinen möchte. Allerdings handelt es sich in den meisten Fällen zum Glück um sehr kleine Objekte, die höchstens lokal begrenzten Schaden anrichten.
Ein Dolch aus dem Weltall
Schon antike Philosophen hinterließen Schriften, die von Meteoritenstürzen kunden. So verfasste der Römer Plinius der Ältere im Jahr 77 nach Christus sein Werk „Naturalis Historia“. Ein Kapitel dieser „Naturgeschichte“ widmete er den „Steinen, die vom Himmel fallen“. Dass sich solche Ereignisse immer wieder zutragen, „wird nicht zweifelhaft sein“, behauptete Plinius. Teils stützte er sich auf historische Berichte, darunter auf den Fall eines braunen Felsens von der Größe zweier Mühlsteine im Jahr 464 vor Christus im Norden der heutigen Türkei. Dasselbe Ereignis hatte bereits Diogenes von Apollonia erwähnt, wobei er es als „Fall eines erloschenen Sterns“ deutete. Plinius schilderte aber auch die Leuchterscheinungen in der Atmosphäre, die entstehen, wenn Bruchstücke kosmischer Objekte über den Himmel ziehen. Er prägte für diese Phänomene den Namen „Boliden“, inspiriert von Wurfgegenständen bei griechischen Wettkämpfen. Der Begriff ist heute noch in Gebrauch.
Die Nachricht vom Einschlag eines Meteoriten in Japan durch ausschließlich mündliche Überlieferung überdauerte hingegen Jahrhunderte. Der Vorfall ereignete sich am 19. Mai 861 in Nogata auf der Insel Kyushu: Mitten in der Nacht riss die Menschen eine ohrenbetäubende, von einem grellen Blitz begleitete Explosion aus dem Schlaf. Am nächsten Morgen sahen die Einwohner zaghaft nach, was geschehen war: Im Garten eines im 7. Jahrhundert erbauten Shinto-Tempels steckte ein schwarzer, faustgroßer Stein. Der seltsame Brocken hatte sich direkt vor dem Heiligtum in den Grund gebohrt. Rasch machte die Geschichte vom „fliegenden Stein“ die Runde. Die Priester hatten keinerlei Zweifel, dass es sich um eine göttliche Botschaft handelte. Sie legten den Stein in eine hölzerne Schatulle und bewahrten ihn fortan als besonderen Schatz ihres Schreins auf. Erst Ende der 1970er-Jahre nahmen Forscher umfassende wissenschaftliche Untersuchungen vor. Daher ist heute bekannt, dass es sich bei dem 472 Gramm schweren Objekt um einen Steinmeteoriten handelt – und zugleich um den ältesten bezeugten Meteoritenfall, von dem noch Material vorhanden ist.
Allerdings hielten die Menschen mit Sicherheit schon viel früher Teile von Meteoriten in Händen, ohne jedoch Aufzeichnungen darüber angefertigt zu haben, wie sie in deren Besitz gekommen waren. Schon gar nicht sind Zeitpunkt und Umstände eines Einschlags dokumentiert. Eines der eindrucksvollsten Beispiele für eine sehr frühe Verwendung außerirdischer Materie ist ein kunstvoll gefertigter und opulent verzierter Dolch, der in der Grabkammer des legendären Pharaos Tutanchamun entdeckt wurde. Im Sommer 2016 legte ein italienisch-ägyptisches Forscherteam Analysen der Klinge vor und gelangte zu folgendem Ergebnis: Das Stück bestehe hauptsächlich aus Eisen und enthalte überdies Anteile von Nickel sowie Kobalt. Die spezielle Mischung dieser Zutaten lasse eindeutig darauf schließen, dass der Rohstoff für die Klinge einem der ältesten Objekte des Sonnensystems entstammte – einem Eisenmeteoriten. Der junge Herrscher, so vermeldeten Wissenschaftsmedien, habe fraglos einen Dolch aus dem Weltall besessen.
Die Wissenschaftler spekulieren, dass die Ägypter durchaus Kenntnis davon gehabt haben könnten, dass das Material für die kostbare Waffe vom Himmel gefallen war – und dass Handwerker vielleicht genau deshalb einen einzigartigen Dolch daraus schmiedeten, der nur eines Pharaos würdig war. Wie aber wären die Menschen des Altertums in den Besitz von Meteoritenteilen gekommen? Wie hätten sie überhaupt auf die Idee verfallen können, dass es sich um etwas Besonderes handeln und es daher lohnen könnte, die Eisenfragmente zu bergen und zu verarbeiten? Sahen sie vielleicht mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Erstaunen, wie ein Lichtblitz den Himmel erhellte, ein grelles Glühen die Luft erfüllte und der Meteorit zu Boden stürzte? Es ist zumindest nicht ausgeschlossen. Die Experten fanden heraus, dass in der Region 20 Fundstellen von Eisenmeteoriten dokumentiert sind. Bei einem davon, westlich von Alexandria, passt die chemische Zusammensetzung perfekt zu jener des Dolches.
Doch Tutanchamuns Klinge ist nicht das einzige Relikt, das die Verwendung von Meteoritenmaterial in Ägypten belegt. Noch viel älter als der Dolch sind Perlen, die ebenfalls aus meteoritischem Eisen bestehen: Die Schmuckstücke entstanden vor 5.300 Jahren, zu einer Zeit, als die Gewinnung von Eisenerz aus irdischen Quellen noch längst nicht erfunden war. Die Perlen wurden rund 70 Kilometer südlich von Kairo entdeckt. Blanke Spekulation ist hingegen, ob eines der bedeutendsten sakralen Objekte der Welt aus Meteoritengestein besteht: die Kaaba in Mekka, ein überaus wichtiges Heiligtum des Islam. Manche Experten vermuten zwar eine außerirdische Herkunft des berühmten schwarzen Steins, eine wissenschaftliche Untersuchung hat aber nie stattgefunden.
Die frühesten wirklich aussagekräftigen Dokumentationen von herabstürzenden Steinen in unseren Breiten wurden erst viel später verfasst – Jahrtausende nach der Produktion der außergewöhnlichen Perlen und Jahrhunderte nach dem spektakulären Fall des Meteoriten von Nogata: etwa ab Mitte des zweiten Jahrtausends nach unserer Zeitrechnung. Und manche Geschichten über solch kosmische Felsbrocken zeigen, dass sie nicht nur die Forscher der jeweiligen Epoche in Atem hielten, sondern in gewisser Hinsicht manchmal sogar Einfluss aufs Weltgeschehen nahmen.
Ein berühmter Meteorit stärkt den Kampfesmut
Das Jahr 1492 hat mindestens zwei bedeutsame historische Ereignisse zu bieten. Am 12. Oktober erreichte Christoph Kolumbus den amerikanischen Kontinent. Und knapp einen Monat später, am 7. November, donnerte in Europa ein Meteorit herab. Kurz vor Mittag an diesem Tag erschütterte eine gigantische Detonation das Elsass und Teile der