Achtung Steinschlag!. Christian Köberl
Meter tiefes Loch geschlagen hatte. Als ein paar Leute aus der Nähe den Stein ausgruben, stellten sie fest, dass er noch warm war. Wie einst in Ensisheim und bei vielen Begebenheiten dieser Art hackten sie auch diesmal den wundersamen Stein in Stücke und trugen sie nach Hause.
Von besonderer Bedeutung ist Albareto, weil es nach dem damaligen Stand der Wissenschaft eine sorgfältige Untersuchung gab. Der Jesuitenpater Domenico Troili archivierte nicht nur Zeugenaussagen des Ereignisses, sondern nahm auch Teile des Steins in Augenschein. Troili beschrieb das Objekt als sehr schwer, magnetisch und teils bedeckt mit einer dunklen Kruste, die für ihn wie Spuren eines Feuers aussah. Weiters prüfte er das Fundstück unter dem Mikroskop und bemerkte: Die Konsistenz erinnere an Sandstein, durchsetzt mit kleinen, leuchtenden Partikeln aus Eisen und Bronzekörnern. Dieses in Meteoriten sehr häufige Material erhielt später die Bezeichnung „Troilit“, womit die historische Rolle des Jesuiten aus Modena bei der Erforschung von Meteoriten gewürdigt wurde.
Innerhalb weniger Wochen verfasste Troili ein 120 Seiten starkes Buch über das analysierte Fragment, in dem er Vermutungen über dessen Herkunft äußerte. Er stellte sich eine gewaltige unterirdische Explosion vor, die das Material in die Luft geschleudert hatte. Der Pater debattierte seine Thesen auch mit anderen Gelehrten seiner Zeit, und zumindest in einem Punkt herrschte Übereinstimmung: Der Stein war gewiss irdischen Ursprungs und durch eine auf der Erde wirkende Kraft emporgewirbelt worden.
Zwei Jahre nach Albareto sauste neuerlich ein extraterrestrischer Brocken zu Boden, der die Wissenschaft auf den Plan rief. Am Nachmittag des 13. September 1768 blieb einigen Erntehelfern in Lucé, Frankreich, der Mund offenstehen, als nach Donnerschlägen aus buchstäblich heiterem Himmel ein Stein aufs Feld fiel und sich ein gutes Stück im Boden eingrub. Die Akademie der Wissenschaften in Paris, die von dem Vorfall unterrichtet worden war, schickte drei Chemiker, um die Sache mit den Methoden strenger Naturwissenschaft zu prüfen. Die Experten, darunter ein Mann namens Antoine-Laurent de Lavoisier, beschrieben ebenfalls eine dünne, schwarze Kruste sowie ein gräulich schattiertes Inneres samt metallischen Körnchen. Vor allem aber nahmen sie die erste chemische Analyse eines Meteoriten vor. Resultat: 55,5 Prozent glasig wirkende Erde, 36 Prozent Eisen, 8,5 Prozent Schwefel.
Später entwickelte Lavoisier eine eigene Theorie über die Entstehung derartiger Objekte. Er vertrat die Ansicht, sie könnten unter besonderen Umständen in der Erdatmosphäre geformt werden. Würden Luftschichten elektrisch aufgeladen, gewissermaßen „entzündet“, könnte sich Staub womöglich zu Brocken aus Gestein und Metall zusammenballen. Auf diese Weise würden solide Körper in der Atmosphäre heranwachsen, aus der sie anschließend zur Erde fielen.
Von besonderem wissenschaftlichen Wert war außerdem ein Fund in Sibirien. Der deutsche Naturforscher Peter Simon Pallas durchstreifte im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts das russische Reich. Im Jahr 1772 machte er Station in einer Stadt namens Krasnojarsk. Während Pallas sich von den Strapazen erholte, schickte er einen Gehilfen auf Erkundungstour. Der schnappte im Dörfchen Ubeisk eine seltsame Geschichte auf: Dort lag ein riesiger Klumpen aus Metall, durchsetzt von rätselhaften Hohlräumen, die teils mit einer gelblichen Substanz gefüllt waren. Die Struktur des Objekts erinnerte ein wenig an einen Schwamm. Pallas beschloss, den mysteriösen, mehr als 700 Kilo schweren Körper zur näheren Untersuchung nach Sankt Petersburg transportieren zu lassen.
Eine mühevolle Prozedur, die sich über vier Jahre hinzog: Während der Wintermonate schleifte man das Trumm durch die Schneelandschaft, im Sommer kam man per Floß auf Flüssen voran. Im Mai 1776 traf die Fracht schließlich in der Kunstkammer von Sankt Petersburg ein. Nicht zuletzt das genaue Studium dieser Materialmischung, (heute heißen Meteoriten dieses Typs „Pallasit“), sollte einige Jahre später zu einem grundlegenden Umdenken über die wahre Herkunft der Meteoriten führen.
Ein brillanter Denker widerspricht Isaac Newton
Ernst Florens Friedrich Chladni, geboren 1756 in Wittenberg, war ein deutscher Physiker, der bereits bahnbrechende Arbeiten auf dem Gebiet der Akustik veröffentlicht hatte, als er sich für Meteoriten zu interessieren begann. Den Anstoß gab vermutlich eine Debatte mit seinem Fachkollegen Georg Lichtenberg, der die damals gängigen Erklärungsmodelle anzweifelte. So vertiefte sich Chladni ins Studium der merkwürdigen Steine, die aus dem Nichts auf die Erde zu fallen schienen.
Wie viele seiner Vorgänger, die Pionierleistungen auf dem Gebiet der Meteoritenkunde erbracht hatten, untersuchte auch Chladni zunächst eine Reihe von hinlänglich dokumentierten Ereignissen. Er schloss historische Darstellungen wie jene von Plinius ebenso wie zeitgenössische in seine Betrachtungen ein, darunter Tabor in Tschechien, Hraschina in Kroatien und einen Vorfall im britischen Sussex Mitte Juli 1771: Tausende von Menschen hatten dort gegen halb elf Uhr abends das Erscheinen eines gigantischen Feuerballs beobachtet, der später seine Bahn von Sussex bis nach Frankreich zog, vorbei an Paris, wo er weitere 50 Kilometer südwestlich in einer heftigen Explosion verschwand. Einige Augenzeugen behaupteten, der Feuerball sei mindestens so hell gewesen wie der Vollmond.
Chladni überlegte unter Berücksichtigung der damals geltenden Gesetze der Physik, wie die Phänomene erklärbar sein könnten. Riefen Nordlichter solche Leuchterscheinungen hervor? War Elektrizität im Spiel? Chladni ging die verschiedensten Ideen durch und schloss eine nach der anderen aus. Er hielt sie alle nicht für überzeugend. Der deutsche Physiker befasste sich insbesondere auch mit dem von Peter Simon Pallas geborgenen Ungetüm aus Eisen, und dieses Fundstück war letztlich titelgebend für sein im April 1794 publiziertes Buch: „Über den Ursprung der von Pallas gefundenen und anderer ihr ähnlicher Eisenmassen und über einige damit in Verbindungen stehende Naturerscheinungen.“
So sperrig die Überschrift am Buchdeckel klang, der Inhalt des Textes war aufsehenerregend und stellte eine Provokation für die zeitgenössische Fachwelt dar. Denn Chladni behauptete: Es gebe nur eine einzige plausible Erklärung für auf die Erde fallende Steine. Sie kämen aus den Weiten des Weltalls und würden als Meteoriten auf unserem Planeten einschlagen.
Im Wesentlichen formulierte Chladni drei Postulate. Erstens: Massen aus Stein oder Eisen stürzen tatsächlich vom Himmel herab. Zweitens: Feuerbälle entstehen, wenn solide Körper in der Erdatmosphäre abgebremst werden. Drittens: Die erwähnten soliden Massen haben ihren Ursprung weit draußen im Kosmos, entweder als kleine Objekte oder als Bruchstücke von Planeten, die zum Beispiel bei Kollisionen im All abgesprengt werden. Wörtlich schrieb er: „Das gesamte Beweismaterial macht es erforderlich, die Ansicht aufzugeben, dass im Weltenraum (Sonnensystem) nur die großen Weltkörper (Planeten, Monde) existieren.“
Diese Ausführungen waren hochgradig visionär, und Chladni befand sich fraglos auf der richtigen Fährte. Dennoch: Die Kollegenschaft war gar nicht begeistert. Sie kritisierte, Chladni stütze sich bei seinen Schlussfolgerungen auf Anekdoten und Ammenmärchen. Schon früher waren die Augenzeugenberichte häufig einfacher Menschen vom Land mit größter Skepsis ins Reich des Aberglaubens verwiesen worden. Man verspottete deren Schilderungen als Hirngespinste und irrationale Folklore, die der Aufmerksamkeit ernsthafter Gelehrter nicht würdig seien. Vor allem jedoch monierten viele Wissenschaftler: Chladnis Thesen widersprächen schlicht den Naturgesetzen. Und an denen sei ja wohl nicht zu rütteln.
Denn trotz aller Errungenschaften der Aufklärung, trotz der zunehmend rationalen Sicht auf die Welt hingen manche Dogmen der Antike mächtig nach, und vermeintlich unumstößliche Gebäude der Physik waren fest in den Köpfen verankert. Zum einen durchdrang die Philosophie des Aristoteles immer noch das Denken: Die Welt sei eine durch und durch göttliche und daher in jeder Hinsicht perfekt. In diesem Modell gab es keinen Platz für hässlich verbeulte, missgestaltete Steine, die durchs All schlingern und unvorhersehbar auf die Erde treffen. Zum anderen vertrug sich die Theorie der Gesteinsbrocken aus dem Kosmos nicht mit der Gravitationslehre von Isaac Newton: Sollten seine Gesetze der Schwerkraft Gültigkeit behalten, musste der Weltraum zwischen den Planeten leer sein. Umherdriftende Felsen hatten darin definitiv nichts verloren. Newton hatte festgeschrieben: Damit die Bewegung der Himmelskörper langfristig stabil bleibe, müsse der Himmel frei sein von sonstiger Materie, ausgenommen vielleicht ein paar Dämpfe oder Gase. Heute wissen wir, dass die Theorie des einstigen Säulenheiligen der Physik nur eingeschränkt richtig ist. Doch damals war