Fahrend? Um die Ötztaler Alpen. Группа авторов
den versöhnlichen Ton im Gedicht „Die Hoamat“, in dem sie auf ihre Kindheit in Huben zurückblickt.
Abb. 2: Jenisches Lager am Wegesrand im Vorderen Ötztal
An dieser Stelle soll ein Wort zum Titelbild dieses Bandes nicht fehlen: Wir stellen – symbolisch für die Herangehensweise an dieses komplexe Thema – eine Fotografie von Meinhard Pfaundler aus dem Jahr 1931 an den Anfang dieses Buches (und auf die Titelseite des Projektes): Sie befindet sich mit der Bildbeschriftung „Karrner“ in einem Fotoalbum über Piburg (Gemeinde Oetz) und lässt viele Fragen offen. Nicht nur die Fragen danach, wer auf diesem Foto zu sehen ist oder wo dieses Foto gemacht wurde. Auch die Frage danach, ob es sich wirklich um Jenische handelt oder ob uns einige stereotype Elemente hier in die Irre leiten. Ausgehend von den wenigen Daten, die uns heute noch vorliegen, den wenigen Zeugnissen wie Fotos oder Erinnerungserzählungen sollen Aspekte jener Geschichte von Tirolerinnen und Tirolern rekonstruiert und bewusst gemacht werden, die mitunter gezielt unsichtbar gehalten wurden.
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1 Pescosta 2003, S. 20 u. 30.
2 Jäger 2005, S. 227.
3 Spiss 1993, S. 100.
4 Kluibenschedl 1985, S. 72.
5 Als Paul Rösch, der sich in den späten 1980er Jahren als einer der Ersten umfassend mit den „Korrnern“ im Vinschgau wissenschaftlich auseinandergesetzt hat, Interviews für seine Dissertation (vgl. Rösch 1988) führte, waren wenigen älteren Leuten zwar noch einzelne jenische Worte geläufig, aber als eigenständige Sprache war Jenisch nicht mehr in Verwendung. (Vgl. Rösch und Obwegeser 2019, 49:45 min.) Die Tochter von Alois Federspiel hingegen erzählte davon, dass ihr Vater gelegentlich die Sprache benutzte.
6 Vgl. auch ebd., 38:00 min.
7 Ebd., 41:20 min.
8 Für den Vinschgau konstatiert Paul Rösch etwa, dass viele Jenische im Rahmen der Italianisierung der Faschisten recht früh italienische Namen annahmen. Ebd., 40:35 min.
Das Bild der wandernden „Tirolerin“ – schon durch die Kleidung Inbegriff stereotyper Zuschreibungen. Georg Emanuel Opitz: „Die Tyrolerinn, der Hausmeister und ein Italiäner mit Gypsfiguren in Wien“, 1804–1812
Migration und Mobilität im Tiroler Oberland in der Frühen Neuzeit
Michael Span
Dass Migration und Mobilität so alt wie die Menschheit selbst sind, gilt als allgemein bekannt. Dabei sind ganz unterschiedliche Typen von Wanderungsbewegungen zu unterscheiden. Von der dauerhaften Ein- oder Auswanderung über zyklisch wiederkehrende Migration bis zum Leben als Fahrende ganz ohne festen Wohnsitz, von Migration aus religiösen, politischen, wirtschaftlichen, ökologischen oder gesundheitlichen Gründen bis zu Vertreibung, Versklavung und/oder Verschleppungen, von der Binnenmigration in die nächste Stadt oder das Nachbardorf bis zur Auswanderung auf andere Kontinente. Der Trend zu vermehrter Sesshaftigkeit habe sich – nach einer Phase besonders hoher Mobilität während der Industrialisierung – erst mit dem 20. Jahrhundert, in besonderem Maße nach 1945, verstärkt, erklärt etwa Sylvia Hahn in ihrem Überblick zur Migrationsgeschichte.1
Auch im Tiroler Raum waren Migration und Mobilität in der (Frühen) Neuzeit üblich. Tatsächlich ist es sogar so, dass die Alpenregion in besonderer Weise von unterschiedlichen Wanderungsbewegungen geprägt wurde. Und einige Aspekte dieser alpinen Migrationsgeschichte – beispielsweise die saisonale Arbeitsmigration von Tiroler*innen – trugen einerseits bereits früh zur Ausbildung stereotyper Bilder bei und fanden andererseits auch in einschlägiger Grundlagenliteratur bereits Erwähnung.2
Im Folgenden sollen einzelne Schlaglichter auf Aspekte dieser Geschichte geworfen und so versucht werden, diese in ihrer Mehrdimensionalität zu umreißen und im Tiroler Oberland in der Frühen Neuzeit zu verorten. Dies soll anhand relevanter Literatur zur Thematik erfolgen, deren Grundgerüst durch konkrete Quellenfunde zur Region ergänzt wird. Grundsätzlich mitzudenken gilt es dabei, dass die Region sowohl Ziel- als auch Ausgangsort von Migration sein konnte. In vielen Fällen war sie beides zugleich, denn keineswegs gab es nur transregionale bzw. grenzüberschreitende Wanderungsbewegungen.
Im Folgenden wird der Ausgang bei der Tiroler Landesordnung aus dem 16. Jahrhundert genommen, die für den in diesem Band behandelten Raum bis weit in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts als rechtliche Grundlage diente. Hier kommt vor allem die sicherheitspolizeiliche Dimension von Wanderungsbewegungen auf landesfürstlichem Territorium respektive in dieses zum Ausdruck. Dabei wird bereits deutlich, dass die Obrigkeit vor allem mobilen Formen von Handel und Dienstleistungsgewerben sowie Bettler*innen ihre Aufmerksamkeit widmete. Auf die Spuren, die diese Personengruppe als „Vagabund*innen“ in den lokalen Quellen hinterließ, wird in diesem Beitrag ein besonderer Fokus gelegt.
Abb. 1: Bettler vor der Stampfanger-Kapelle bei Söll, Bleistiftzeichnung, um 1820
Migrationsbewegungen, ob in Form einer einmaligen dauerhaften Auswanderung oder als wiederkehrende, saisonale Wanderung, die aus der Region hinaus führte, wurden in der Tiroler Landesordnung indes im Grunde nicht berührt.3 Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Menschen aus dem ländlichen Raum in großer Zahl als Arbeitsmigrant*innen auf der Suche nach Einkommensmöglichkeiten die Grenzen der Grafschaft hinter sich ließen. Unterschiedlichen Ausformungen dieser Wanderungsbewegungen soll im Folgenden ebenfalls Raum gegeben werden.
Entstehen soll so ein konziser Einblick in die Vielschichtigkeit des Themenfeldes Migration und Mobilität, der die eingangs angeführte, triviale Diagnose der historischen Normalität von Wanderungsbewegungen konkretisiert und im regionalen Kontext verankert darstellt.
Die Region als Ziel von Wanderungen
Migration und Mobilität als Problem – die Tiroler Landesordnung
„Schotten“, „Savoyer“, „Juden“, „Bettler“, „Zigeuner“, „Riffianer“ – die Tiroler Landesordnung in ihrer Form von 1573 nennt gleich mehrere Gruppen, für die offenbar aufgrund ihrer Mobilität besonderer Regelungsbedarf gesehen wurde. Am deutlichsten wurde dies im Zusammenhang mit den „Schotten“, so wurden zeitgenössisch wandernde Händler genannt, die keineswegs aus Schottland stammen mussten,4 und „Sophoyren“ (Savoyern), für die dasselbe in Hinblick auf Savoyen galt,5 formuliert. Ihnen wurde untersagt, ihre Geschäfte von Haus zu Haus, abseits offizieller