Fahrend? Um die Ötztaler Alpen. Группа авторов
rel="nofollow" href="#fb3_img_img_f3d3c360-f51e-5cfa-b126-d70061970545.jpg" alt="Illustration"/>
Abb. 3: „Tyroler auf der Reise“ um 1833, Stich von N. Pötschke nach einer Zeichnung von (Carl Friedrich Moritz) Müller
Wanderhändler*innen, Hausierer*innen
Nicht ohne Schwierigkeiten von den in den Quellen genannten „Vagabund*innen“ abgrenzbar waren Wanderhändler*innen und wandernde Dienstleister*innen, die durch das Land zogen und ihre Waren oder Leistungen auf Märkten oder auch hausierend vertrieben. Robert Büchner führt vor allem Quellen aus dem 15., 16. und 17. Jahrhundert als Belege für „Schotten und Niederländer“ sowie vor allem „Savoyer und Welsche“ als wandernde Krämer*innen, aber auch als Dienstleister*innen oder Schausteller*innen auf Tiroler Territorium an. Die Angebotspalette war umfangreich: von Südfrüchten über Geschirr und Stoffe bis zur Unterhaltung – häufig als Beispiel genannt werden etwa Aufführungen mit dressierten Murmeltieren. Der wirtschaftliche Erfolg war demzufolge ebenfalls sehr unterschiedlich. Vielfach bedienten die oft saisonal wandernden auswärtigen Händler*innen die Nachfrage nach Dingen, die der lokale Handel nicht zu decken vermochte, weshalb die Obrigkeiten sie zuweilen trotz an sich geltender Verbote und Restriktionen gewähren ließen. Eine dauerhafte Ansiedelung auf dem Gebiet der Grafschaft Tirol, wie dies die Tiroler Landesordnung – oben wurde es erwähnt – anregte, war offenbar nur wenig attraktiv, erklärt Büchner. Vor allem größere Städte strahlten mehr Anziehungskraft aus.24
Im 18. Jahrhundert wurden die Maßnahmen gegenüber inländischen Hausierer*innen zwar reduziert, dennoch blieb eine Restskepsis der Obrigkeiten bestehen.25 Dass der Hausierhandel auch im lokalen Kontext Konfliktpotenzial barg, das zeigen Beispiele aus Quellen: Durchaus gängig war nämlich unter anderem auch der Handel mit alkoholischen Getränken – zum Missfallen der lokalen Wirtsleute, aber auch der Verwaltung.26 So wurde etwa gegen Ötztaler Kraxenträger vorgegangen, die Branntwein, den sie über das Timmelsjoch ins Tal gebracht hatten, ohne Genehmigung ausschenkten.27 Dieses Problem war auch in anderen Regionen Tirols bekannt. Im Stubaital forderten die Wirte die Gerichtsobrigkeit 1823 auf, sie möge gegen „sogenannte Karrenfahrer – u. Traghausierer“ tätig werden, „welche allerlei Getränke in alle Enden dieses Thales“ brächten, wodurch die „christlichen Sitten“ verdorben und ganze Familien in den finanziellen Ruin gestürzt würden.28
Abb. 4: Der Import und Vertrieb von Südfrüchten war eine Einkommensquelle für mobile Händler*innen aus Tirol.
Die Region als Ausgangspunkt von Wanderungen
Dauerhafte Auswanderung
Am 13. März 1795 bekannten Johann Kien und seine Ehefrau, Genoveva Hoferin, im Rahmen eines Gerichtstermins in Rietz, dass sie ihrem Bruder bzw. Schwager, Anton Kien, 95 Gulden aus einer Erbschaft schuldig waren. Solche und ähnliche Einträge finden sich in den Verfachbüchern im Tiroler Landesarchiv zuhauf. Dieser spezielle Fall weist jedoch eine Besonderheit auf: Anton Kien befand sich zum Zeitpunkt des Gerichtstermins Tausende Kilometer entfernt von Rietz, in „Philadelphia in Nordamerika“.29
Ähnliche Hinweise auf ausgewanderte Untertanen finden sich häufiger in den gerichtlichen Aufzeichnungen zu Verlassenschaft sabhandlungen, etwa aus dem Gericht Petersberg, welches im Wesentlichen das Ötztal, einen Abschnitt des Inntals zwischen Karres und Rietz sowie das Mieminger Plateau umfasste. Neben dem genannten Anton Kien finden sich hier in den Jahren um 1800 zum Beispiel auch Maria Josepha Kuenin30 aus Längenfeld, die einen Kaufmann aus Pavia in der Nähe von Mailand geheiratet hatte, oder Kaspar Neurauter31, der als Seemann in den Niederlanden angeheuert hatte. Diese Quellenfunde zeigen, dass Emigration aus der Region im 18. und 19. Jahrhundert durchaus nicht unüblich war, und auch, dass der geografische Radius dabei sehr weit gefasst war. Darüber hinausgehende Informationen zu den Ausgewanderten und deren Familien finden sich ohne vertiefende Nachforschungen in zusätzlichen Quellenbeständen jedoch nicht im Verwaltungsschriftgut der Herkunftsregion. Überhaupt ist verlässliches Zahlenmaterial zu Auswanderungen aus der Habsburgermonarchie für die Zeit vor der Mitte des 19. Jahrhunderts rar.32
Abb. 5: Diese zwei namentlich heute leider nicht mehr bekannten Frauen waren nach Chicago ausgewandert und sandten um 1900 dieses Foto an ihre Familie im Gasthof Hirschen in Längenfeld.
Im lokalen Kontext führten mitunter Erbfälle dazu, dass zwischen Verwandten nach einer Auswanderung wiederum Kontakt hergestellt wurde, die sonst nur in losem – zuweilen wohl auch gar keinem – brieflichen Austausch standen.33
Saisonale Migration
Wesentlich häufiger als dauerhafte Auswanderungen über weite Distanzen hinweg waren in der gesamten Frühen Neuzeit verschiedene Formen zyklischer bzw. saisonaler Migration. Sylvia Hahn weist in ihrem Überblickswerk zur Migrationsgeschichte darauf hin, dass auch die Bevölkerung Tirols schon früh, nämlich von Joseph Rohrer in seinem Werk „Uiber die Tiroler“ aus dem Jahr 1796, als in dieser Hinsicht sehr mobil charakterisiert wurde:34 „Es ereignet sich nämlich in mehreren unfruchtbaren Thälern alljährig der Fall, daß sie auf einige Monathe von ihren männlichen Einwohnern, wie unsere Donauufer von den wilden Gänsen verlassen, und erst nach einer geraumen Zeit wieder besucht werden.“35 Verschiedene Wege des Nebenerwerbs waren notwendig, da die Landwirtschaft alleine nicht ausreichte, um alle Bewohner*innen des Landes zu ernähren,36 so Rohrer, das betreffe im Besonderen auch den „sehr unfruchtbaren Imsterkreis“, also auch das Tiroler Oberland.37 Als Händler*innen und Hausierer*innen, als Handwerker oder aber Hilfskräfte in der Landwirtschaft suchten viele Menschen im Ausland oder zumindest außerhalb ihrer unmittelbaren Herkunftsregion Verdienstmöglichkeiten. Besonders prominent werden in der Literatur Bauhandwerker aus Tirol und Vorarlberg erwähnt, die entweder einzeln oder in Gruppen von bis zu über 100 Personen auf Baustellen in verschiedenen Regionen Europas tätig waren, von Süddeutschland nordwärts bis nach Luxemburg, im vorderösterreichischen Gebiet sowie im Osten und auch Süden Frankreichs.38
Die zahlenmäßig bedeutendste saisonale Wanderungsbewegung machten jene aus, die sich in der Landwirtschaft verdingten – zumindest bis um 1800. Die Auswirkungen des Erbrechts auf die Bodenbesitzstrukturen waren dabei ein wesentlicher Faktor. War Grund und Boden stark aufgesplittert, wie in Gebieten mit Realteilung, etwa dem Tiroler Oberland, begünstigte das saisonale Migration. Aus diesen Regionen zogen die Menschen nicht selten in solche, in denen konzentriertere Besitzstrukturen saisonale Helfer*innen in der Landwirtschaft erforderlich machten, um dort ihr Geld zu verdienen. Die Poebene