Fahrend? Um die Ötztaler Alpen. Группа авторов
target="_blank" rel="nofollow" href="#ulink_fa414fda-acdd-5c16-8e06-4397fc0cebca">6 Falls sich „Schotten“ oder „Savoyer“ aber „mit wonung vnnd hauß-hablichem wesen niderlassen“, also sesshaft werden würden, so dürften sie – gleich wie die anderen Untertanen auch – ihren Geschäften „frey vnd vnuerhindert“ nachgehen. Die Mobilität wurde hier insofern als kritisch betrachtet, als durch sie obrigkeitliche Kontrollen erschwert oder gar verunmöglicht wurden.7 Ebenfalls wohl aufgrund sozioökonomischer Merkmale und wegen ihrer Mobilität standen die sogenannten „Riffianer“ im Visier der Obrigkeit.8 Sie zögen „mit grossem Spil / Zerungen vnnd Weybern“ von Jahrmarkt zu Jahrmarkt bzw. Kirchtag zu Kirchtag, heißt es in der Landesordnung, was „Mordt / vnd annder vil Args“ zur Folge habe. Einreise nach und Aufenthalt in Tirol war ihnen daher untersagt.9 Selbiges galt auch für nicht näher definierte „Zigeuner“. Wer ihnen Unterkunft gab, sollte bestraft werden, während im Gegenzug Gewalt gegen sie straffrei gestellt und damit legitimiert wurde.10 Über die Zugehörigkeit zu den Gruppen der Schotten, Savoyer, Riffianer oder Zigeuner entschieden wohl die jeweils sesshaften Bevölkerungsteile bzw. deren obrigkeitliche Vertreter. Wesentliches Kriterium für diese Zuschreibungen bildete dabei zweifelsohne der Faktor Mobilität.
Ähnlich verhielt es sich mit Bettler*innen beziehungsweise allgemein Menschen, die auf Almosen angewiesen waren. Jede Gemeinde sollte für die Versorgung ihrer eigenen Armen zuständig sein. Das Betteln in anderen Gemeinden war verboten. Argumentiert wurde dies einerseits mit den Kosten, die Almosenempfänger*innen verursachten, andererseits damit, dass so gewährleistet werden sollte, dass niemand, der eigentlich seinen Lebensunterhalt auch auf anderem Wege verdienen konnte, Almosen bezog. Persönliche Bekanntschaft durch Sesshaftigkeit sollte hier somit als Korrektiv fungieren. Ein weiterer Grund, der ins Treffen geführt wurde, war sicherheitspolizeilicher Natur: Bettler*innen wurden mit „bösen Missstalten und Handlungen“ in Verbindung gebracht.11 Aus diesen Gründen waren es im Besonderen „fremde“, ausländische Bettler*innen, die in der Tiroler Landesordnung problematisiert wurden. Ihnen sollte nach Möglichkeit die Einreise verweigert werden; jene, die sich bereits auf landesfürstlichem Territorium befanden, sollten außer Landes geschafft werden. „Vmbschwaiffendt[e]“, also mobile, ausländische Bettler*innen, die von den Obrigkeiten im Land betreten wurden, sollten bestraft werden.12
Abb. 2: Der Markt als Begegnungsort, dargestellt von Jakob Placidus Altmutter, ca. 1819
„Vagabundinnen“ und „Vagabunden“
Eine Bezeichnung für nicht ortsansässige Menschen, die sich zwar nicht in der Landesordnung, wohl aber in lokalen frühneuzeitlichen Quellen häufig findet, ist die des „Vagabunden“ bzw. der „Vagabundin“. Welche für die zeitgenössischen Schreiber die Kriterien waren, die sie dazu veranlassten, diesen Begriff zu verwenden, ist dabei nicht ganz klar. So wird etwa zuweilen dezidiert erwähnt, dass die so Bezeichneten um Almosen baten bzw. bettelten, während an anderen Stellen von der Ausübung mobiler Gewerbe die Rede ist. Wesentlich war sicherlich das Fehlen eines dauerhaften Wohnsitzes – zumindest in der fraglichen Region. Doch auch darüber hinaus ist der Begriff, wie Beate Althammer auseinandersetzt, von Ambiguität geprägt.13 So handelte es sich in der Regel nicht um eine Selbstbezeichnung, sondern vielmehr um eine von verschiedenen Akteur*innen und unterschiedlichen Situationen beeinflusste Zuschreibung, in deren Zentrum zumindest die Motive der Mobilität und der Armut als Konstante standen, wenngleich Letztere zuweilen als lediglich vorgetäuscht oder aber selbst verschuldet unterstellt wurde.14 Armut per se war allerdings nicht das entscheidende Kriterium für die prekäre soziale Stellung, die Vagabundierenden zugewiesen wurde. Wesentlich sei, dass sie zumeist nicht als Teil einer „integrierten“ Armut, einer Form der Bedürftigkeit, die als „normal“ betrachtet wurde, da die ökonomischen Unterschiede zwischen manifest armen und anderen Teilen der Bevölkerung lediglich gering waren, verstanden worden seien. „Vor allem in Gesellschaften, in denen große Teile der Bevölkerung nahe am Existenzminimum leben, muss Armut kein Makel sein“, so Althammer.15 Vagabundierende werden dementgegen von der Historiografie zur frühen Neuzeit in der Regel „als Prototypen der marginalen Armut“ betrachtet, als Angehörige von „Randgruppen“, die von einer kontinuierlich neu ausverhandelten Norm abwichen. Die Frage, ob und in welcher Weise diese Abweichung in historischer Perspektive als Problem betrachtet wurde, ist damit in weiterer Folge verbunden. Zumindest ab der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert lassen sich jedenfalls wachsende Bestrebungen verorten, eine Inklusion der Betroffenen zu erreichen: „Der Vagabund galt nicht allein als Problem wegen seiner Armut, sondern vor allem wegen seiner Devianz, seiner Abweichung von der Norm einer ordentlichen und nützlichen Existenzweise.“16
Die Spuren von Vagabund*innen finden sich im lokalen Kontext beispielsweise in den Kirchenmatriken. Das Totenbuch von Längenfeld im Ötztal berichtet etwa von Todesfällen von Vagabund*innen, wie dem des 1679 verstorbenen Wolfgang Jenewein17, dem des als Vagabund und Bettler bezeichneten Franz Grienauer18, der im Sommer 1765 auf der Suche nach Almosen in den Lehnbach in Längenfeld im Ötztal stürzte und starb, oder dem der Vagabundin Maria Hueberin19 aus Pfaffenhofen im Jahr 1772. Auch in den Taufbüchern des Ortes werden immer wieder Kinder genannt, deren Eltern (oder zumindest ein Elternteil) als Vagabund*innen bezeichnet werden.20 Zumeist ist dabei nicht ersichtlich, dass derartige Taufen oder auch Todesfälle von der zuständigen Geistlichkeit in einer besonderen Weise gehandhabt worden wären. Beim Eintrag zu einer Taufe in Längenfeld am 18. Mai 1716 wird jedoch erkennbar, dass die Mobilität der involvierten Personen von der kirchlichen Obrigkeit als problematisch betrachtet wurde: Den Angaben der Mutter des Täuflings wurde mit offener Skepsis begegnet, die zwar im Falle möglicherweise „illegitimer“, also unehelich geborener, Kinder durchaus nicht unüblich war, die sich durch die Migrationsgeschichte der Mutter jedoch noch verschärfte. Weder der Name, den diese angab – Maria Schreterin –, noch deren Herkunft aus Salzburg und auch nicht ihre Ehe mit einem gewissen Johann Michael Saxenhamer, der laut ihren Angaben von Soldaten verschleppt worden war, wurden als erwiesen betrachtet. Erforderliche Unterlagen konnte die Frau nicht vorlegen.21
Bemerkenswert sind vor diesem Hintergrund die kirchlichen Aufzeichnungen einiger anderer Orte im Tiroler Oberland: So wurden in Flaurling (1740–1796), Inzing (1767–1818) und Hatting (1786–1814) für die Taufen der Kinder von Vagabundierenden eigene Rubriken in den Taufbüchern angelegt, sodass es mit dem separaten „Liber Vagantium“ bzw. „Liber Vagorum Baptizatorum“ jeweils eine dritte Abteilung neben den Verzeichnissen der ehelich und der unehelich geborenen Kinder der Orte gab.22 In Ranggen (1729–1783) wurden „Vagi & Illegitimi“, also die Kinder von Vagabundierenden und jene, deren Eltern nicht miteinander verheiratet waren, zusammengefasst.23 Dass mit den Eintragungen in diese separaten Listen ein