Biegsam stabil. Obermeier

Biegsam stabil - Obermeier


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Begriffe Faszien und Yoga für die Faszien sind relativ neu, vertrauter sind sie Ihnen wahrscheinlich unter dem Namen Bindegewebe: Physiotherapeuten, Rolfer und Osteopathen haben es seit jeher unter ihren Händen gespürt und behandelt. Die Forschung hat sie lange ignoriert, aber seit knapp zwanzig Jahren beschäftigt sie sich endlich mit ihnen und ist sich heute der enormen Bedeutung und Wichtigkeit des Bindegewebes bewusst: Faszien sind ein eigenständiges Organ!

      Früher wurde der Begriff Bindegewebe eher belächelt und ausschließlich mit Cellulite in Verbindung gebracht – heute weiß man, dass vermutlich die Mehrheit aller Fälle von Rückenschmerzen ihren Ausgangspunkt in den Faszien hat. Generell können Sie sich merken: Muskeln sind elastisch – Faszien sind plastisch.

      Sie sind eine vereinfachte Form der klassischen Yogapositionen und können (für einige Zeit) eine Übungsalternative bieten, wenn aus therapeutischen Gründen klassische und fasziale Asanas (noch) nicht eingenommen werden können oder (noch) nicht geübt werden dürfen.

      Mit dem medizinischen Fachhintergrundwissen der Orthopädie werden die Fachgebiete Traumatologie, Neurologie, Gynäkologie und Innere Medizin verknüpft. Geeignete Yogapositionen werden individuell für den Einzelnen in Betracht gezogen und ausgewählt.

      Orthopädisches Yoga soll Spaß machen, deshalb ist die Yoga-Übungsabfolge teilweise dynamisch und auch mit länger gehaltenen Positionen zusammengestellt.

      Eine Orthopädische Yogastunde zeichnet sich außerdem durch folgende Elemente aus:

      Es gibt eine dynamische Übungsabfolge.

      • Kein Springen in die Yogapositionen! Der Sprung in die Positionen, wie er bei einigen Yogastilen praktiziert wird, ist tabu, da auf vorgeschädigte Gelenke, Gewebe und instabile Körperstrukturen Rücksicht genommen werden muss.

      • Ein leichtes, gelenkschonendes Federn in den faszial ausgerichteten Yogapositionen.

      • Länger gehaltene Asanas, damit der Übende entspannen, dehnen und (auch mental) loslassen kann.

      • Unterstützung und Korrektur in der Ausführung der Stellungen sowie Hilfestellung durch die Leiter der Yogakurse sind obligatorisch.

      • Die Einbeziehung der Atmung in den Yogapositionen und beim Wechseln zwischen den Positionen. Mit Unterstützung einer richtigen Atmung wird die Wirkungsweise des Yoga verstärkt und gleichzeitig eine Überanstrengung und Verletzungsgefahr vermieden.

      Für das Orthopädische Yoga beziehe ich mich auf Kenntnisse und Grundlagen aus der funktionellen Anatomie und der Physiologie. Dazu zählen:

      • Die Wissenschaft der Faszien: Hier geht es auch um die Bedeutung der Faszien für den gesamten Organismus und die Psyche.

      • Die Spiral-Dynamik: Sie verbindet das natürliche Spiralprinzip im Körper mit der Wissenschaft von der Bewegung: Muskelfasern, Bindegewebe, Haut und Knochen bestehen aus Spiralstrukturen. Dieses anatomische Bauprinzip erfordert (und ermöglicht!) eine präzise Körperhaltung und Bewegungsausführung sowohl im Alltag als auch beim Yoga. Bestimmte Muskeln etwa ziehen sich in einer spiralförmigen Linie von unten nach oben und bewirken Drehungen der Strukturen. So kommt es zu Standfestigkeit und einer stabilen, aufgerichteten Haltung von Kopf bis Fuß.

      • Kenntnisse aus der Osteopathie (manuelle Therapie, um die Selbstheilungskräfte des Organismus zu fördern).

      • Kenntnisse der funktionellen Bewegungslehre (zusammenhängende Bewegungsabläufe, weiterleitende [das heißt miteinander verknüpfte] Bewegungen und Bewegungsmuster).

      • Körperachsen und Bewegungsebenen: Dies sind gedachte Hilfslinien und Hilfsebenen, die der Orientierung am menschlichen Körper dienen. Dadurch können Bewegungsrichtungen und das Bewegungsausmaß einzelner Körperteile und Gelenke bei Positions- und Lageveränderungen genau benannt werden.

      In der Übungspraxis bringt Orthopädisches Yoga den Körper zunächst absichtlich in eine gewünscht instabile Yogaposition – und somit in ein gewolltes Ungleichgewicht. Damit werden Reflexe zur Aktivierung der tiefen Muskulatur aktiviert, welche den Körper automatisch korrigieren und die nötige stabilisierende Muskulatur kräftigen.

      In der Tiefe arbeitet Orthopädisches Yoga mit der Funktionsweise der Faszien. Faszien umhüllen jeden Muskel, jeden Knochen, alle Nerven und Organe, vernetzen sie miteinander und gehen zudem selbst ineinander über. Sie haben direkten Einfluss auf unser vegetatives Nervensystem: Achtzig bis fünfundachtzig Prozent aller Nerven enden in den Faszien und bilden einen sogenannten Außenposten des vegetativen (oder autonomen) Nervensystems. (Autonom bedeutet, dass wir keine bewusste und willkürliche Kontrolle über unsere lebenswichtigen Körperfunktionen – Atmung, Verdauung und andere Organfunktionen – haben, das autonome Nervensystem arbeitet und handelt selbstständig!)

      Zugleich beeinflusst das vegetative Nervensystem die Faszienspannung, die zudem durch die Psyche gesteuert wird. Durch Stimulierung der Sensoren des Parasympathikus (das ist der Teil des vegetativen Nervensystems, der für die Regeneration und Erholung des Körpers verantwortlich ist), setzt der Entspannungsmodus ein. Umgekehrt hat Stress, und damit eine dauerhafte Erregung des Sympathikus (das ist ein weiterer Teil des vegetativen Nervensystems, welcher verantwortlich für den Flucht-, Kampf- und Höchstleistungsbereitschafts-Modus des Körpers ist) negative Auswirkungen auf die Faszien und den gesamten Organismus.

      Stress erhöht die Grundspannung der Faszien, wir fühlen uns angespannt und finden keine innere Ruhe. Haben wir gelernt, die Faszien zu entspannen und loszulassen, tritt der Parasympathikus in Aktion – und wir fühlen uns wohl und entspannt. Gedehnte Faszien werden buchstäblich glückliche Faszien: Durch das Dehnen erreichen Sie die Faszien, Glückshormone (Endorphine) werden ausgeschüttet und Entspannung sowie Wohlbefinden stellen sich ein.

      Für viele von uns ruft das Wort Orthopädie einen klassischen Bilderkanon hervor: weißer Kittel, Spritzen, Krücken, Rollator, Schmerzen. Einige kennen aus der Kindheit noch orthopädisches Haltungsturnen. Für die meisten ist und war beides ein Gräuel!

      Yoga hingegen wird vom Durchschnitt der Bevölkerung oft mit dem Bild der biegsamen und gelenkigen jungen Frau verbunden, die extreme Verrenkungen vollführt und Kleidergröße XS trägt. Oder das andere Extrem: Esoterik, geistig etwas entrückte Menschen. Ja, es gibt viele bunte Yoga-Stilrichtungen, und nicht selten scheinen sich diese Stereotypen in gelebte Wirklichkeit zu verwandeln.

      Orthopädisches Yoga möchte Menschen ansprechen, die für ihren anstrengenden und oft belastenden Alltag sowohl auf körperlicher als auch auf mentaler Ebene einen Ausgleich finden wollen. Physiologisch und anatomisch gesund, steht bei den einfachen, aber spezifisch ausgerichteten Yogapositionen Spaß an der Bewegung und dem Dehnen im Vordergrund: Der Kopf darf frei werden. Während der Körper gekräftigt und ein Rundum-Wohlgefühl entwickelt wird, kann zugleich ein gutes Körpergefühl und das richtige Einordnen von Körpersignalen erlernt werden. Dabei zeigt Orthopädisches Yoga dem Übenden, wo Verletzungsgefahren drohen und wie einzelne Asanas angepasst und verändert werden können. Daher können auch Einsteiger mit körperlichen Beschwerden, ungelenkige und „steife“ Menschen, Erfahrene, die sich verletzt haben, oder Geübte, bei denen plötzliche Beschwerden auftreten, Orthopädisches Yoga praktizieren. Sowohl die Studentin, die berufstätige Mutter, die golden agers, der Manager und der Handwerker, sogar der Berufssportler, für den Yoga ein Ausgleich und eine Erweiterung ist, können Orthopädisches Yoga für sich entdecken und sich damit wohlfühlen.

      Der


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