Der Mord am Pulverbach. Gisela Garnschröder

Der Mord am Pulverbach - Gisela Garnschröder


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ging abwechselnd. Ich habe den Leuten für die Nachtwache ein Extrageld zukommen lassen.«

      »Das nutzt ihm jetzt auch nichts mehr«, brummte Tann und fuhr fort, »Wusste jemand davon?« Er sah sein Gegenüber fragend an.

      »Klar, jeder im Umkreis wusste, dass bei mir immer eine Wache ist. Wo heute soviel geklaut wird, bleibt einem gar nichts anderes übrig.«

      »Das hat die Täter aber nicht abschrecken können. Wäre ein professioneller Wachdienst nicht besser gewesen?«, erkundigte sich Tann.

      Der Unternehmer seufzte. »Hinterher ist man immer schlauer.«

      »Nach diesem Vorfall wird sich von Ihren Leuten ohnehin keiner mehr darauf einlassen«, kommentierte Tann trocken und ging zu den Arbeitern hinüber, die noch immer geschockt und planlos herum standen.

      »Ist jemand von Ihnen in den letzten Tagen etwas aufgefallen? Eine unbekannte Person oder ein Fahrzeug, was nicht hierher gehört?«

      Betretenes Schweigen, nachdenkliches Schulterzucken.

      »Hier kommen viele Leute vorbei, das ist nichts Besonderes«, meinte Franz, der Auszubildende, der die Aufregung dieses Morgens zu genießen schien.

      »Können Sie sich an jemanden erinnern, der absolut nicht hier her gehört?«

      Die Männer sahen Tann ratlos an und der Polier, der die Polizei gerufen hatte, meinte:

      »In der letzten Woche war jemand da, der sich unseren Minibagger angesehen hat. Er hat sich später mit dem Chef unterhalten, andere Leute bleiben halt stehen und schauen uns bei der Arbeit zu, mich stört es nicht - und ich sehe mir die Leute nicht an.«

      Tann machte sich Notizen und ging weiter zu dem Toten, der noch immer auf dem Boden des Wagens lag, dessen Tür weit geöffnet war. Der Polizeifotograf und die Leute von der Spurensicherung hatten ihre Arbeit beendet, und Tann schaute sich in dem Wagen um. Der Geruch der Leiche war so intensiv, dass er sich wieder ein Taschentuch vor die Nase hielt, trotzdem ließ er sich nicht davon abbringen, alles noch einmal genau unter die Lupe zu nehmen. In der hinteren Ecke stand eine Pritsche, die Decke war zurückgeschlagen und man sah, dass dort jemand geschlafen hatte. Eine Wasserflasche lag am Boden in einer kleinen Pfütze, ein Glas zersplittert daneben, an der Wand hing ein Anorak mit warmem Futter und eine Schirmmütze, eine Arbeitshose lag auf einem Hocker neben der Pritsche und darunter griffbereit ein Baseballschläger, der wohl als Verteidigungswaffe dienen sollte. Sicher gehörte die Kleidung dem Toten, denn er trug nur einen Jogginganzug und grobe Wollsocken. In der Ecke neben dem Fenster standen kräftige Arbeitsschuhe und vor dem Bett lagen Turnschuhe, deren verschmutzte Sohlen vermuten ließen, dass der Ermordete in der Nacht einen Rundgang über die Baustelle gemacht hatte. Tann seufzte vernehmlich, machte sich Notizen und ging noch einmal zu den Bauarbeitern hinüber. Die Männer hatten Bestandsaufnahme gemacht und der Polier überreichte Tann einen Zettel, auf dem die gestohlenen Werkzeuge aufgelistet waren.

      »Das ist nur eine grobe Zusammenstellung, die komplette Übersicht bekommen Sie vom Chef.«, erklärte der Mann knapp und ging zu seinen Leuten zurück.

      In der Nacht hatte es geregnet, und rund um die Baustelle hatten sich mehr oder weniger große Pfützen gebildet. Mit einem verärgerten Blick auf den Matsch begab sich Tann seufzend auf einen Inspektionsgang über die Baustelle, hielt Ausschau nach Fahrzeugspuren und betrachtete prüfend die Schaulustigen am Straßenrand. Es handelte sich hier um ein Neubaugebiet, bei dem erst wenige Häuser bewohnt waren. Der Beamte sah oben ein großes Schild mit der Aufschrift: »Ihr Zuhause am Pulverbach« und grinste verächtlich. Er überlegte einen Moment und ging dann zielstrebig zu einem kleinen Haus, dessen Garage sich noch im Rohbau befand und klingelte. Eine junge Frau öffnete, sie trug ein Kind auf dem Arm.

      »Mein Mann ist nicht zu Hause«, sagte sie kurz und wollte die Tür zumachen, aber Tann schob geistesgegenwärtig den Fuß dazwischen und hielt ihr seinen Ausweis hin.

      »Kripo Gütersloh, ich hätte Ihnen gern ein paar Fragen gestellt.« Im Gesicht der Frau machte sich Entsetzen breit.

      »Kripo? Ist etwas passiert?«

      »Dort drüben in dem Bauwagen wurde ein Mann erschlagen. Haben Sie in der Nacht etwas gehört? Geräusche von Autos oder Ähnliches?«

      Jetzt öffnete sie die Tür.

      »Kommen Sie doch herein.« Mit einem Blick auf seine, von der Baustelle verdreckten Schuhe, sagte er lächelnd:

      »Ich möchte Ihnen nicht alles schmutzig machen, ich bleibe lieber an der Tür. Also was haben Sie gehört?«

      »Am Wochenende nicht, aber in der Nacht davor war ein Wagen da, können auch zwei gewesen sein.« Sie setzte das Kind ab und es krabbelte über den Boden zur geöffneten Wohnzimmertür, sie lief hinterher und nahm es wieder auf den Arm. Tann grinste. »Ein Junge, nicht wahr?« Sie nickte.

      »Er ist im Moment ganz schön nervig.« Tann lachte fröhlich.

      »Ich habe auch so einen Draufgänger zu Hause. Meine Frau ist manchmal ganz verzweifelt. Wie alt ist er denn?« Der Kleine spürte die Aufmerksamkeit und strahlte ihn an. »Papa!«, brachte er heraus und seine Mutter lachte: »Das ist nicht der Papa, der Mann ist von der Polizei«, und zu Tann gewandt, »eineinhalb«, und dann, als habe sie erst jetzt begriffen, fuhr sie fort: »Der Mann ist tot, sagten Sie? Das ist ja schrecklich.«

      »Es wurden Baugeräte gestohlen, der Mann wird die Täter dabei überrascht haben.«

      Sie war blass geworden.

      »Der Kleine hat geschrien, so gegen ein Uhr am Freitagmorgen, da war es ziemlich laut draußen. Ein Automotor lief und Männerstimmen waren zu hören, ich habe dann das Fenster zu gemacht und dem Jungen Tee gegeben, danach war alles still.«

      Tann notierte sich die Aussage und verabschiedete sich mit einem Lächeln.

      »Einen schönen Tag noch und viel Spaß mit dem Kleinen.«

      »Danke, den werde ich haben«, grinste sie und schloss die Tür.

      Tann stapfte auf das nächste Haus zu, nach mehrmaligem Klingeln versuchte er es woanders. Nach einer Stunde gab er frustriert auf. Seine Schuhe waren völlig verdreckt und nass bis zu den Socken. In nur zwei Häusern hatte er Leute angetroffen, und keiner von ihnen hatte etwas gehört, außer der jungen Frau mit dem Kind. Er ging zu seinem Wagen und versuchte gerade mit Papiertaschentüchern den Schmutz von den Sohlen abzureiben, als Vera Senft mit ihrem Kleinwagen heran geschossen kam.

      »Feine Arbeitsteilung«, fuhr er sie schroff an. »Ich darf mir die Schuhe ruinieren und Madame mit dem Rektor Kaffee trinken!« Vera grinste frech und antwortete mit Blick auf Tanns ramponierte Schuhe:

      »Ein guter Beamter hat für alle Fälle immer seine Gummistiefel im Kofferraum!«

      Er sah sie wütend an, musste dann aber lachen, weil sie einen seiner Lieblingssprüche benutzt hatte: »Den Satz kennst du noch?«

      Sie nickte. »Der Rektor konnte mir leider nicht weiter helfen. Er kannte den verunglückten Jungen kaum. Ich habe mehrere Schüler seiner Klasse befragt, auch Fehlanzeige, aber seine Klassenlehrerin gab mir die Adresse von seiner Freundin Cora Meier.«

      »Und? Was hat sie gesagt?«

      »Sie war nicht in der Schule. Krank. Wir können heute Nachmittag hinfahren. Bist du mit der Befragung der Anwohner schon durch?«

      »Nicht ganz, aber drüben war niemand zu Hause.« Er wies auf die beiden Häuser, an denen er ergebnislos geklingelt hatte.

      »Fein, dann bleibe ich hier und übernehme das.« Sie holte mit einem triumphierenden Blick Gummistiefel aus dem Kofferraum ihres Wagens und schlüpfte hinein. Tann grinste, stieg in seinen Wagen und fuhr davon, während seine Kollegin direkt auf einen Mann zuging, der gerade mit seinem Wagen vorgefahren war.

      Tann machte einen Abstecher zu Hause vorbei, um sich trockene Socken und Schuhe anzuziehen, zur Begeisterung seines Sohnes, der ihm mit Freudengeschrei entgegenkam.

      »Bleibst du heute da, Papa?«, erkundigte er sich jubelnd. Josef


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