Der Mord am Pulverbach. Gisela Garnschröder

Der Mord am Pulverbach - Gisela Garnschröder


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Baden.« Mit einem Juhu tanzte Christian durch die Wohnung und Cäcilia, die gerade herein kam, sagte lächeln:

      »Du machst jetzt deinen Mittagsschlaf und wenn du aufwachst, lesen wir das neue Buch, welches die Oma mitgebracht hat!«

      »Immer schlafen, ich will in den Garten, Mama!«, zeterte Christian aber seine Mutter kannte kein Pardon.

      »Wenn du heute Abend mit Papa zum Baden willst, schläfst du im Wasser ein.«

      Sie lächelte und packte ihren Sprössling energisch unter die Decke, wo er schon nach wenigen Minuten fest eingeschlafen war.

      Kurze Zeit später war Tann in seinem Büro, wo Vera Senft schon ungeduldig auf ihn wartete.

      »Das Fahrrad des jungen Wieners ist genau wie der Junge zweimal überrollt worden, dass hat die technische Untersuchung ergeben. Die Beschädigungen am Fahrrad sind höchstwahrscheinlich von einem Fahrzeug mit Frontschutzbügel verursacht worden. Die Untersuchung nach Lackspuren ist allerdings noch nicht abgeschlossen.« Tann sah mit gefurchter Stirn aus dem Fenster und nickte abwesend.

      »Ich bin sofort davon ausgegangen, dass er mit Absicht überfahren wurde, allein schon wegen der Fesseln an seinen Händen. Wenn es wirklich ein Fahrzeug mit Kuhfänger war, bestätigt das nur meine These. Die Dinger sind nicht mehr erlaubt. Ich könnte mir denken, dass es mit dem Mord am Pulverbach zusammenhängt.«

      »Du meinst, der Junge hat die Männer beobachtet, als sie die Geräte geklaut haben, und sie haben extra ein Fahrzeug mit Frontbügel genommen, um ihn zu töten?«

      »Genau. Es hatte in der Nacht geregnet, die Schuhe des toten Jungen waren ziemlich schmutzig. Ich denke der Junge war auf dem Baugebiet und hat dort etwas beobachtet. Die Täter haben ihn bemerkt, dann gefesselt und geknebelt. Irgendwie hat er es geschafft sich loszureißen, und dann haben sie ihn überfahren.«

      »Die Idee hat nur einen Haken. Woher wussten die Täter in welche Richtung er fährt?« Tann hatte sich in seinen Bürostuhl geworfen und spielte mit seinem silbernen Drehbleistift. Plötzlich griff er sich ein Blatt und machte eine Skizze.

      »Hier ist Steinhagen«, erklärte er, während Vera ihm über die Schulter sah. »Das Baugebiet liegt am Ortsausgang, dort wo der Fahrradweg anfängt. Ich nehme an, der Junge hat bis nach Brockhagen den Radweg benutzt und ist quer durch den Ort bis zur Unglücksstelle an der Vennorter Straße gefahren, schließlich wohnt er dort in der Nähe.« Vera hatte die Zeichnung interessiert betrachtet und meinte nun:

      »Bis dort sind es fast drei Kilometer. Entweder haben die Täter den Jungen verfolgt, oder sie haben ihn gekannt.«

      »Verfolgt, glaube ich nicht«, erklärte Tann bestimmt. »Sicher hat er damit gerechnet und wäre dann irgendwo zwischen den Häusern verschwunden. Die Täter müssen ihn gekannt haben. Nach den wenigen Spuren, die wir an der Straße gefunden haben, muss das Auto ihn direkt am Randstreifen erwischt haben. Wer da fährt, ist entweder betrunken oder macht es mit Absicht. Der Tote lag etwas abseits im hohen Gras, ein Zeichen dafür, dass der Unfallverursacher den Toten dorthin geschleift hat. Es gab zudem keinerlei Bremsspuren.«

      Vera war ans Fenster getreten, schaute kurz hinaus und wendete sich dann wieder ihrem Kollegen zu. »Wir dürfen trotzdem die Möglichkeit nicht ausschließen, dass jemand ihn durch Unachtsamkeit überfahren hat.«

      Tann unterbrach sie heftig und fauchte:

      »Ohne auf die Bremse zu treten? Das glaubst du doch selbst nicht!«

      »Vielleicht hat der Fahrer die Bremse mit dem Gaspedal verwechselt.«

      »Ach, und dann dreht er um und fährt noch mal drüber! Das gibt es doch gar nicht. Für mich ist das Mord!«

      Vera war jetzt fast genauso rot im Gesicht wie ihr Haar und antwortete empört:

      »Ich habe gemeint, dass jemand ihn versehentlich, ich meine…«. Sie geriet ins Stottern, und Tann half ihr:

      »Du meinst, es war ein normaler Unfall und im Schock hat er gewendet, um keine Zeugen zu haben.«

      Sie stieß die Luft durch die Zähne und antwortete verbissen:

      »So ungefähr. Es ist eine Sauerei, aber ich versuche mir vorzustellen, wie es zustande kam. Da dürfen wir keine Möglichkeit auslassen.«

      »Du hast recht. Aber ich mache mir auch Gedanken, warum ein Siebzehnjähriger zu der späten Stunde allein durch die Gegend fährt.«

      »Hat seine Mutter nichts gesagt?«

      »Sie ist Nachtschwester im Städtischen Krankenhaus in Gütersloh. Als sie gegen neun Uhr am Donnerstagabend das Haus verlassen hat, war ihr Sohn noch da. Sie hatte keine Ahnung, dass er noch weg wollte.«

      Vera hatte sich in den Stuhl vor Josef Tanns Schreibtisch geworfen, wobei sie ihre langen Beine ungeniert von sich streckte. Sie las noch einmal den Bericht der Rechtsmedizin durch, und Tann beobachtete sie schweigend. Zur schmalen, dunkelbraunen Hose trug sie einen braunen Pulli und eine dazu passende, beigefarbene Weste. Tann stellte insgeheim fest, dass ihr Outfit gut zu ihren grell rot gefärbten Haaren passte und er überlegte, ob seine Frau, die von Natur aus über üppiges, rotes Haar verfügte, was ihr bis auf die Schultern fiel, auch bereit wäre, das Tomatenrot von Vera auszuprobieren. Bei diesem Gedanken musste er unbewusst grinsen und Vera, die es auf sich bezog, fauchte ihn an: »Was gibt‘s denn da zu lachen?«

      Er setzte sich aufrecht und war gleich wieder ernst:

      »Ich war mit den Gedanken etwas abgeschweift. Hatte nichts mit unserm Fall zu tun.« Vera zog die Brauen hoch, legte den Bericht zur Seite und meinte nachdenklich:

      »Ist dir aufgefallen, dass der Tote am Pulverbach etwa um die gleiche Zeit starb, wie der Schüler?«

      »Natürlich. Deshalb bin ich fast sicher, dass der Schüler etwas gesehen hat und dabei erwischt wurde.«

      »Wenn der Schüler von den Baustellenräubern gefesselt wurde, hätte die Spurensicherung doch etwas finden müssen. Im Bericht steht, dass der Junge an den Handgelenken Spuren eines Sisalstrickes an der Haut hatte. Die Spurensicherung am Pulverbach hat nichts dergleichen ergeben.«

      »Es hatte am Wochenende stark geregnet, und rund um den Bauwagen war da nichts.« In einer plötzlichen Eingebung stand Tann auf und sagte:

      »Du hast recht. Wir fahren noch mal hin.«

      Vera erhob sich langsam und schüttelte den Kopf: »Jupp, das bringt doch nichts. Wenn die Spurensicherung nichts gefunden hat, finden wir auch nichts.«

      »Man kann nie wissen!«, grinste Tann und war schon an der Tür.

      Vera hechelte hinterher, machte einen Abstecher in ihr Büro und holte ihn erst auf dem Parkplatz ein.

      »Hey, kannst du nicht warten?«, fauchte sie und warf sich schmollend auf den Beifahrersitz. Tann startete ungerührt und stellte mit einem Seitenblick auf seine Kollegin fest:

      »Deine Kondition scheint doch nicht so gut zu sein, wie ich gedacht habe.«

      »Mistkerl! Du weißt genau, dass ich noch in meinem Büro war«, lachte Vera auf und vertiefte sich in ihren Taschenspiegel, um die Lippen nach zu ziehen. Tann fuhr wortlos links auf die Herzebrocker Straße und nahm am Nordring die Spur Richtung Bielefeld, bog dann an der Brockhagener Straße ab. Als sie Blankenhagen passiert hatten, packte Vera energisch ihre Tasche unter den Sitz und meinte:

      »Wir könnten doch vorher bei Cora Meier vorbeifahren. Sie wohnt in Niehorst und kann uns vielleicht sagen, was Volker Wieners zu so später Stunde in Steinhagen gemacht hat.«

      »Keine schlechte Idee. In der Schule konnte man uns da ja nicht weiterhelfen.«

      Wenige Minuten später standen sie vor einem gepflegten Häuschen am Lühnstroths Weg.

      Eine Frau mittleren Alters öffnete und rief sichtlich überrascht aus:

      »Polizei? Ist etwas passiert?«

      »Frau Meier?« Die Angesprochene nickte. Vera hielt ihren Ausweis hoch und erklärte:


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