Kinder- und Jugendbuchverlage. Ulrich Störiko-Blume
6.6Frauen und Männer in Kinder- und Jugendbuchverlagen
Vorwort der Herausgeber
Der Kinder- und Jugendbuchmarkt nimmt den zweiten Rang im Bereich der Publikumsverlage ein. Damit hat dieses Marktsegment nicht nur kulturelle Bedeutung, sondern besitzt auch ökonomische Relevanz. Seit Jahrzehnten verzeichnet man steigende Umsätze und der Marktanteil des Kinder- und Jugendbuchs liegt aktuell bei rund 17 % des Gesamtumsatzes der Branche. Doch nicht Daten stehen im Vordergrund dieses Titels, sondern Menschen, die mit ihrer Individualität das Marktgeschehen prägen: Autorinnen und Autoren, Programmleiter, Lektorinnen, Übersetzerinnen und freie Mitarbeiter, um nur einige von ihnen zu nennen.
Aus pragmatischen Gründen werden im Folgenden keine *Sternchen, Versal-Is oder andere Signale eingesetzt, die auf geschlechtliche Diversität hinweisen. Da wiederholt Berufsbezeichnungen genannt werden, würden solche Markierungen die Aussagekraft nicht erhöhen. Der Autor ist sich bewusst, dass in allen Berufsrollen Menschen beiderlei Geschlechts oder mit unterschiedlichen geschlechtlichen Orientierungen arbeiten. Dies wird auch von den Herausgebern respektiert und ausdrücklich begrüßt. Ferner werden im Fließtext durchgängig die Abkürzungen KJB sowie KJBV für ›Kinder- und Jugendbuch‹ bzw. ›Kinder- und Jugendbuchverlag‹ verwendet, um ein unnötiges Aufblähen des Textkorpus zu vermeiden.
Ulrich Störiko-Blume betreibt seit 2015 die ProjektAgentur, die Manuskripte an Kinder- und Jugendbuchverlage vermittelt. Seine Erfahrungen hat er als Lektor und Verlagsleiter in bekannten Verlagen sowie in einschlägigen Verbänden der Branche gesammelt. Er hält Vorträge, schreibt Artikel in Fachzeitschriften und wirkt als Dozent am Zentrum für Buchwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München.
April 2021 | Klaus-W. Bramann und Anke Vogel |
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Einführung
Die Formel 6 x M besagt: Die Buchbranche ist ein von Menschen betriebenes komplexes Aktionsfeld; in ihm arbeiten Macher mit bestimmten Motiven, die Medien produzieren; sie haben Mechanismen entwickelt, mit denen sie die Märkte bedienen.
Ein spezielles Marktsegment bilden die Kinder- und Jugendbücher. Hier nehmen Schriftsteller und Illustratoren ihre potenziellen Leser auf eine besondere Weise ernst; hier (er)finden sie für Kinder und Jugendliche Geschichten; hier bemühen sie sich, ihnen die Welt zu erklären; dabei gehen sie sehr bewusst mit der Sprache um; gemeinsam mit ihren Verlagen suchen sie die adäquate Buchform.
Kinder- und Jugendbuchverlage sind wie Katalysatoren: Sie verwandeln die Schöpfung der Autoren vom Manuskript-Stadium in fertige Bücher. Sie betreuen die Interaktion zwischen Autoren, die Kindern und Jugendlichen etwas zu sagen haben, und den jungen Lesern, die mehr über die Welt wissen wollen, als sie selbst jemals werden erfahren können. Verlage bringen ›gute‹ Geschichten ›in Form‹ – das ist ihre genuine Leistung. Mit ›gut‹ ist hier gemeint: der Stoff kommt an; die Figuren bewegen; die Verbindung von Inhalt und Form fasziniert; und man ist bereit, hierfür Geld auszugeben.
Deutschland hat den besten Buchhandel der Welt – das soll kein Eigenlob sein, sondern so bestätigen es immer wieder Kollegen aus anderen Ländern. Das Netz der Buchhandlungen ist so dicht wie nirgends sonst. Praktisch jede Buchhandlung liefert fast jedes Buch über Nacht, und das überall zum festgelegten #gebundenen Ladenpreis. In allen Wirtschaftskrisen der Vergangenheit verlief die Buchhandels-Konjunktur besser als die allgemeine Konjunktur, auch besser als die des Einzelhandels mit Konsumgütern, zu denen Bücher statistisch zählen. Das hat sich auch während der Lockdown-Zeit in der Corona-Pandemie 2020/2021 gezeigt, als der Umsatzeinbruch in Grenzen gehalten werden konnte, wobei das KJB mit knapp 5 % ein beachtliches Wachstum verzeichnete. Dafür gesorgt hat aber nicht die Logistik von #Amazon, sondern der Einfallsreichtum und das erhebliche Zusatz-Engagement vieler Buchhandlungen. Die Buchbranche steht relativ gut da, u.a. auch deshalb, weil die Distribution analoger Bücher hocheffizient organisiert ist, vergleichbar nur der Medikamenten-Lieferung an die Apotheken. Der Wettbewerb sorgt dafür, dass an der Kostenoptimierung der Prozesse ständig gearbeitet wird.
1.1
Verlegen heißt: Büchern Chancen geben
Was heißt Verlegen, und mit welcher Zielsetzung werden Verlage, insbesondere Kinder- und Jugendbuchverlage (im Folgenden KJBV) betrieben? Die Wege und Methoden, die programmatischen und die unternehmerischen Ziele mögen sich noch so sehr unterscheiden – die Kernaufgabe lautet: Finde Autoren, lass sie Geschichten schreiben und bring diese als Bücher zu den Lesern! Über die Existenzberechtigung eines Verlages entscheidet in unserem System zum Glück keine Behörde oder Kommission, sondern der Markt. Der Markt ist kein ideologisches Konstrukt, erst recht kein gottähnliches Wesen, und man sollte ihn keinesfalls idealisieren – so als ob er immer nur Gutes hervorbrächte. Der Markt hat durchaus negative Seiten. Auf den #Bestsellerlisten ganz oben stehen jede Menge Bücher, über deren Qualität man erheblich unterschiedlicher Meinung sein kann. #Filialisten zwingen selbstständige Buchhandlungen zur Aufgabe oder zum Verkauf ihres Geschäfts. Große Verlage schlucken kleine. Bücher, die gewisse Drehzahlen nicht erreichen, werden gnadenlos remittiert und landen entweder auf dem Ramschtisch oder im Schredder. Viele Autoren können von den Honoraren aus dem Verkauf ihrer Bücher nicht leben.
Aber auf ebendiesem Markt werden auch Bücher von literarischen Autoren gekauft, versetzen sich lesende Kinder in das Leben von Gleichaltrigen auf der Flucht aus ihrem vom Krieg erschütterten Heimatland, werden Augen und Sinne geöffnet für die Schönheit und Verletzlichkeit unseres Planeten, wird gelacht und geweint. Verlage sind nicht zum Verhindern von Publikationen da – so wird das ja oft von abgelehnten Manuskripteinsendern dargestellt. Verlage wählen aus, in der Regel aus guten Gründen. Und die Buchhandlungen wiederum stellen aus deren Programmen ihr – ebenfalls ausgewähltes – Sortiment zusammen.
Ein Markt lässt sich verstehen als ein Ort, an dem Angebot und Nachfrage aufeinandertreffen. »Der Markt liest nicht« hat der frühere Hanser-Verleger Michael Krüger einmal zutreffend formuliert. Hans-Joachim Gelberg, Gründer und langjähriger Leiter von Beltz & Gelberg, hat sinngemäß gesagt: Bücher werden nicht geschrieben, weil es einen Markt gibt, sondern weil Autoren etwas mitzuteilen haben.
Markt ist, wo das Angebot der Schreibwilligen auf die Nachfrage der Lesewilligen trifft. Jeder kann schreiben, was er will. Jeder kann drucken lassen, was er will. Jeder kann heute als Self-Publisher (siehe Kap. 2.4) ins Netz stellen, was er will. Zum Glück haben wir diese für ein demokratisches Gemeinwesen konstitutive Freiheit (sofern dabei die Gesetze respektiert werden). Aber nur, weil das Verbreiten von Büchern so einfach geworden ist, bedeutet das noch lange nicht, dass man die Veröffentlichung jeder beliebigen Schrift durch jeden beliebigen Autor begrüßt.
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