Kinder- und Jugendbuchverlage. Ulrich Störiko-Blume

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wird den schwarzen, aktivablehnenden Lesefrust ganz schnell in ein graues, voreingenommenes Desinteresse umwandeln, etwa Haltungen der Art ›Bücher sind langweilig, schwer zu verstehen und haben nichts mit mir zu tun‹.

      Diese Art von Lesefrust ist gefährlich, wenn sie sich bei Kindern einstellt, die Leseglück nie erfahren haben. In jeder individuellen Bildungsgeschichte gibt es Zeitfenster für bestimmte Entwicklungsschritte. Wenn diese Fenster nicht innerhalb eines gewissen Zeitraums aufgestoßen wurden, bleiben sie meistens für immer verschlossen – oder können später nur mit einem gewaltigen Mehraufwand an Energie, Geschick oder Motivation noch geöffnet werden.

      Lesen fürs LebenDer Erwerb der Lesefähigkeit wirkt sich also nicht nur auf die Kinderzeit aus, sondern auf das gesamte spätere Leben. Es lassen sich verschiedene Formen des Lesens unterscheiden:

      • Lesen als elementare zivilisatorische FähigkeitLesen ist ein obligatorisches Kernelement des Ausbildungsauftrags der Schule im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht.

      • Lesen, um sich in der Welt zurechtzufindenHinweisschilder, Gebrauchsanleitungen und schriftliche Mitteilungen liefern notwendige Informationen.

      • Lesen, um Rechte und Pflichten wahrnehmen zu könnenMan muss Verträge lesen, um sie unterschreiben zu können.

      • Lesen als Voraussetzung für das SchreibenWer sich schriftlich mitteilen will, muss schreiben können – das wiederum ist nicht möglich ohne Lesefähigkeit.

      • Lesen zum Erwerb von WissenFachliche, berufliche und wissenschaftliche Qualifizierung kann nicht ohne Lesefähigkeit erreicht werden.

      • Lesen als Aneignung von KulturEin wichtiger Teil unseres kulturellen Erbes, des Bildungskanons, der Gesetze und des gegenwärtigen Kulturschaffens liegt in geschriebener Form vor und entsteht weiterhin auf schriftlichem Wege.

      • Lesen als persönliche BereicherungWer Lesen nicht nur als Pflicht erfährt, dem erschließt sich ein Universum von Möglichkeiten individueller Leseerfahrung.

      • Lesen als UnterhaltungLesen kann zur Entspannung, zum ›Zeitvertreib‹, als Konsumvergnügen, als reiner Spaß genossen werden.

      Welche Art zu lesen der erwachsene Mensch benötigt oder bevorzugt, bleibt ihm überlassen. Aber es ist nicht egal, ob, wann und mit welcher Motivation Kinder lesen lernen. Zugespitzt: Wenn Kinder nicht gerne lesen, werden sie es schwerhaben, in einer komplexen Welt mitzudenken. Texte leben vom Wort, dem Anfang und Element alles Denkens.

      Lesen und Verstehen Oft werden diese Überlegungen, Anstrengungen und Aktivitäten unter dem Begriff #Leseförderung zusammengefasst. Anlässlich der Preisverleihungen der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur hat der Lyriker, Autor und Übersetzer Uwe-Michael Gutzschhahn im Gespräch mit der Akademie-Präsidentin Claudia Maria Pecher im November 2020 den schönen Satz geprägt:

      Die beste Leseförderung ist Leseerfahrung. (Gutzschhahn 2020)

      Bei zu vielen Kindern sind Lesefähigkeit und Leseverständnis zu schwach ausgebildet, von Leselust ganz zu schweigen. Das kann individuelle und milieubedingte Ursachen haben. Um die Defizite auszugleichen und nicht größer werden zu lassen, existieren zahlreiche Initiativen zur Leseförderung. Hinter diesem hölzernen, stets ein wenig betulich klingenden Begriff verbirgt sich tatsächlich ein großes Thema unserer Gesellschaft. Klarer, als es die Autorin Kirsten Boie mit einigen weiteren Erstunterzeichnern am 15.08.2018 formuliert hat, kann man die Wichtigkeit des Lesens kaum auf den Punkt bringen.

      Auf der Website www.change.org kann man zusehen, wie sich die Zahl der Unterschriften dem Ziel 150.000 nähert. Die Resonanz auf diese von zahlreichen bekannten Politikern, Autoren, Bildungsforschern und anderen Interessierten erstunterzeichnete Petition war erheblich. Dennoch musste Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des #Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, ein gutes Jahr seit der Übergabe der Hamburger Erklärung an die Vertreter der Politik feststellen, dass nichts passiert sei: »Es ist höchste Zeit für einen Lesepakt, bei dem Politik, Bildungsinstitutionen sowie breite Teile der Zivilgesellschaft Hand in Hand arbeiten.« (Börsenblatt vom 03.12.2019). Um diesem Ziel einen Schritt näherzukommen, haben Börsenverein und Stiftung Lesen am 03.03.2021 erstmalig einen (digitalen) Nationalen Lese-Summit abgehalten. 150 Organisationen bis hin zum Bundesministerium für Bildung und Forschung wollen gemeinsam dem Lesen größere Sichtbarkeit verleihen. Was dabei über die bekannten ›Sonntagsreden‹ hinaus konkret am Einsatz für das Lesen verbessert wird, bleibt abzuwarten.

       Hamburger Erklärung

      Seit dem vergangenen Dezember wissen wir: Knapp ein Fünftel der Zehnjährigen in Deutschland kann nicht so lesen, dass der Text dabei auch verstanden wird (18,9%, Internationale IGLU-Studie 2016). Im internationalen Vergleich ist Deutschland damit seit 2001 von Platz 5 auf Platz 21 aller beteiligten Länder abgerutscht und liegt unter dem EU- wie dem OECD-Durchschnitt. Zudem ist Deutschland das Land, bei dem das Ergebnis am stärksten von der sozialen Herkunft abhängt. Wer nach der Grundschulzeit nicht sinnentnehmend lesen kann, wird es in den weiterführenden Schulen nicht lernen. Denn hier wird Lesen nicht mehr gelehrt, sondern vorausgesetzt.

      Lesen ist noch immer DIE Schlüsselqualifikation für die Teilhabe an der Gesellschaft. Die betroffenen 18,9 % der Kinder werden einmal unsere Erwachsenen sein. Neben den Folgen, die eine fehlende Lesefähigkeit für jeden Einzelnen von ihnen haben wird, sind auch die Folgen für die Gesellschaft insgesamt erschreckend. Ohne die Möglichkeit, einen qualifizierten Beruf zu erlernen, werden die meisten dieser Menschen vermutlich jahrzehntelang auf staatliche Unterstützung angewiesen sein. Umso wichtiger, dass JETZT in die Bildungspolitik investiert wird.

      Die 16 Länder, die Deutschland im Ranking seit 2001 überholt haben, beweisen, dass und wie es möglich ist, die Lesefähigkeit aller Kinder signifikant zu steigern. Ein Land wie Deutschland, dessen wichtigste wirtschaftliche Ressource ein hoher Bildungsstand seiner Bevölkerung ist, kann das Thema nicht länger marginalisieren. Der Verweis auf gewachsene Probleme in der Schülerschaft reicht nicht aus. Auf die Analyse muss die Lösung folgen, und diese Lösung darf nicht länger an Elternhäuser und Ehrenamtliche delegiert werden. Nur die Schule erreicht wirklich alle Kinder.

      Die Unterzeichner fordern die Politik in allen Bundesländern, die Bundesministerin für Bildung und Forschung, die Kultusministerkonferenz und die Bildungsminister aller Bundesländer daher dazu auf, für folgende Punkte Sorge zu tragen:

      •Das Lesenlernen und Lesen muss sehr viel stärker in den Fokus der Bildungspolitik rücken.

      •An den Grundschulen müssen frühzeitig Fördermaßnahmen in Kleingruppen eingeführt werden, die sich auf die reichlich vorliegenden Erkenntnisse der Leseforschung und die Erfahrungen der Lehrer stützen.

      •Diese Förderstunden dürfen nicht für Vertretungsunterricht zweckentfremdet werden.

      •Es müssen ausreichend Grundschullehrer eingestellt werden, um dieses Ziel umzusetzen. Das heißt: An den Hochschulen müssen deutlich mehr Studienplätze für die Lehrerausbildung geschaffen werden.

      •Es muss Schulbibliotheken, Lesungen und Lektüreprogramme gerade auch an solchen Schulen geben, deren Schülerschaft eher bildungsfern ist. Die Lektüre altersgerechter Bücher vermittelt die Fähigkeit, komplexere Zusammenhänge aus längeren Texten zu entnehmen. So kann man später zum Beispiel Zeitungsartikel lesen und verstehen.

      •Für all diese Zwecke müssen jetzt genügend Mittel in den Haushalten ausgewiesen werden. Das Lesen darf nicht den derzeitigen (kosten)intensiven Bemühungen um die Digitalisierung der Schulen zum Opfer fallen.

      Unverbindliche Absichtserklärungen reichen nicht mehr aus. Deutsche Grundschulen müssen es schaffen, alle Kinder das Lesen zu lehren!

      Quelle: https://lesefuechse.org/wp-content/uploads/2018/09/Hamburger-Erkl%C3%A4rung_Jedes-Kind-muss-lesen-lernen_150818.pdf


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