Berauschende Bienen. Fabian Kalis
Die Honigbiene ist wohlbekannt für ihren leckeren Honig. Auch die heilenden Eigenschaften von Propolis und Gelée Royale sind immer mehr in aller Munde. Und spätestens seit das große Bienensterben in den Medien Thema ist, denkt man auch an die Wichtigkeit der Bienen in Ökologie und Umweltschutz. Doch die Bienen haben noch eine ganz andere interessante Geschichte: Es geht um Mythen, Kulte, Folklore und das Mysterium des psychoaktiven Honigs. Und um genau diese unbekannten und fast vergessenen Aspekte geht es in diesem Buch.
Wer hätte gedacht, dass eine der ältesten Dichtungen in deutscher Sprache eigentlich ein alter Bienenzauberspruch ist? Oder dass Bienen alten Kulturen als Orakel dienten? In Äthiopien waren es Bienenschwärme, die ein neues Stammesoberhaupt bestimmen durften. In einigen Gegenden Nordeuropas ist es bis heute Brauch, die Bienen bei Trauerfällen in schwarze Tücher zu hüllen. In unserer modernen Zeit sind es Bienen, die an Flughäfen, der Technik weit überlegen, zum Aufspüren von illegalen Drogen genutzt werden.
Der Honig, den viele heute nur noch als klebrigen, süßen Brotaufstrich kennen, hat seit jeher eine tiefe Verbindung mit der Kultur des Menschen. Für Völker auf der ganzen Erde war und ist der Honig ein Geschenk ihrer Götter. Er war in weiten Teilen der Welt lange Zeit das einzige Süßungsmittel. Sein Wohlgeschmack und seine Seltenheit vor der organisierten Bienenzucht machten ihn wahrlich zu etwas Besonderem.
Aber Honig war nicht immer nur ein Genussmittel. Die Menschen wussten schon sehr früh um die heilenden Eigenschaften des Honigs bei verschiedenen Krankheiten; in Krisenzeiten, in denen das Geld als Währung versagt, ist Honig ein beliebter Zahlungsmittelersatz, und gerade in seiner vergorenen Form als berauschender Met erfreut er sich auch heute noch großer Beliebtheit. Rausch ist seit jeher ein Grundbedürfnis des Menschen, und in vielen ursprünglichen Kulturen wurden daher schon immer psychoaktive Stoffe konsumiert, um zu heilen, Visionen zu erlangen oder die Götter um Rat zu fragen. Die Menschen bedienen sich dazu verschiedener Stoffe, meist sind es Pflanzen oder Pilze. Aber auch Honig kann als bewusstseinsverändernde Substanz eingenommen werden. Und dafür ist nicht immer seine vergorene Form vonnöten. Natürlich eignet sich nicht jeder Honig, aber ein paar seltene Honigsorten, die Kennern als Heiligtum und Entheogen dienen, vermögen eine ungeahnte Wirkung auf den Geist auszuüben. In der Antike machte solch ein Honig ein komplettes Heer kampfunfähig. Heutzutage ist das Wissen um solch besondere Honige in Vergessenheit geraten. Lediglich Meldungen über giftigen Honig in Nachrichten und Presse lassen eine Ahnung in diese Richtung zu, denn eine berauschende Wirkung – egal ob durch Pilz, Pflanze oder in diesem Fall Honig – wird von Menschen, die mit Psychoaktiva nichts zu tun haben, oft fälschlicherweise als Vergiftungserscheinung interpretiert.
Doch Bienenprodukte können unseren Geist noch in einer ganz anderen Weise verzaubern. Als Aphrodisiakum genutzt werden sie zu einem Lust- und Liebesmittel. Dies ist überhaupt nicht verwunderlich, ist die Biene doch auch ein Symbol für Fruchtbarkeit. Und ebenso sind insbesondere Honig, aber auch andere Bienenprodukte Bestandteil von Räuchermischungen, die mit ihrem Wohlgeruch auf unsere Psyche einwirken. Auch diese Themen werden im vorliegenden Buch behandelt.
Steinzeitliche Höhlenzeichnung mit Honigsammler (Bicorp, Valencia, Spanien, etwa 10 000 – 6000 v. Chr.)
Bienen in Geschichte und Kultur
Einstein und die Bienen
»Wenn die Biene stirbt, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben.« Diese Aussage wird oft als Zitat von Albert Einstein angegeben und sorgte schon in zahlreichen Berichten und Vorträgen rund um das Bienensterben für einen eindrucksvollen Aufhänger. Verständlich, dass dieser Satz gerne genutzt wird, um die ökologische Wichtigkeit der Biene und ihre Bedeutung für uns Menschen zu verdeutlichen. Es ist eine alarmierende Aussage, und ihre Richtigkeit wird durch den Namen eines so bedeutenden und herausragenden Wissenschaftlers untermauert. Mit diesem Zitat gibt es nur leider ein kleines Problem: Einstein hat das nie gesagt.
Doch woher kommt es dann? Und warum wird Einstein als Urheber dieser Aussage erdichtet? Wenn man ein wenig recherchiert, lässt sich zurückverfolgen, wann und wo dieses Zitat in Schriften und Berichten verwendet wurde, und man stellt fest: Die Formulierung variiert gerade in früheren Erwähnungen stark. So lautet sie an manchen Stellen nur kurz: »Stirbt die Biene, stirbt der Mensch«, andere hingegen schreiben, dass Einstein die exakte Zeitspanne vom Verschwinden der Bienen bis zum Tod aller Menschen sogar mit einer bestimmten Formel berechnet habe. Gelegentlich fehlt sogar der berühmte Name unter dem Zitat.
Die Kernaussage über die enorme Wichtigkeit der Bienen in unseren Ökosystemen und für unser Überleben als Spezies Mensch bleibt jedoch auch in anderen Formulierungen und ohne Einsteins Genie erhalten. Die Biene spielt in der Tat eine entscheidende Rolle in unserer Welt. Man geht davon aus, dass circa 80 Prozent der Pflanzen auf die Bestäubung von Bienen angewiesen sind. Da kann sich jeder selbst eine Vorstellung davon machen, wie es aussähe, wenn diese Bestäubungsleistung der Bienen plötzlich wegfiele und vier Fünftel der uns bekannten Pflanzen langsam von der Erde verschwinden würden. Eine Zukunft, die weder für uns Menschen noch für viele andere Lebewesen erstrebenswert klingt. Eine Vorahnung solcher Zustände findet sich bereits in der chinesischen Provinz Sichuan, in der man erfolgreich sämtliche Bienen (und auch die meisten anderen Insekten) ausgerottet hat. Hier übernehmen nun Tausende fleißiger Menschen mit Pinselchen und einer Tüte voll Pollen die Arbeit der Bienen auf den Obstplantagen und bestäuben in endloser Arbeit Blüte für Blüte einzeln per Hand.
Doch wie hat es nun Einsteins Name unter dieses Zitat geschafft? Liegt es vielleicht daran, dass wir den Inhalt dieser Aussage so erschreckend finden, dass wir erst daran glauben, wenn ein so hochkarätiger Wissenschaftler sie aufgestellt hat? Würden wir sonst sagen, dass es sich um eine falsche These handeln muss? Vermutlich ja.
Haben wir uns bereits so weit von der Natur entfernt, dass wir die Wichtigkeit der Bienen nur über eine logische Herangehensweise verstehen? Brauchen wir tatsächlich falsche Zitate, damit uns klar wird, welchen Schatz und Segen wir an den Bienen haben? Können wir uns nicht selber vorstellen, wie wichtig die Bienen sind? Braucht es erst wissenschaftliche Untersuchungen von namhaften Forschern, damit wir glauben können, dass etwas sein kann?
Die in diesem Buch aufgezeigten Mythen, Mysterien und Kulte, das Verständnis und die Bräuche fremder und alter Kulturen zeigen, wie tief Menschen und Bienen eigentlich verbunden sind. Ich hoffe, dass dieser Ausflug in fast vergessene Welten und faszinierende Fakten rund um die Bienen dazu beitragen kann, dass wir die kleinen Tiere wieder mehr mit dem Herzen verstehen und ihnen die Beachtung und den Respekt zukommen lassen, den sie verdienen – nicht nur, weil es aus logischen Umweltschutzaspekten sinnvoll erscheint, sondern weil sie ein Teil der menschlichen Kultur sind, uns in Mythen und Geschichten begleiten, uns mit wohlschmeckenden und heilsamen Köstlichkeiten verwöhnen, uns Einblicke in andere Wirklichkeiten schenken können und wir durch dieses ganzheitliche Herangehen eine tiefe und emotionale Verbindung mit ihnen eingehen können.
Kurze Geschichte der Bienenhaltung
Honig wird seit mindestens 9000 Jahren nachweislich von den Menschen genutzt. Dies beweist eine Höhlenmalerei, die in der Nähe von Valencia entdeckt wurde und die Szene einer Honigjagd darstellt (siehe Abb. 1, S. 12). Es ist aber davon auszugehen, dass die Menschen den süßen Stoff der Bienen schon wesentlich früher kannten. Immerhin sind auch zahlreiche Tiere vom süßen Leckerbissen der Bienen angetan. Die Menschen haben sehr wahrscheinlich schon vor dem Auftauchen des Homo sapiens den Honig gekannt und genossen. Die meisten Bienen leben hoch in den Bäumen, und unsere Vorfahren waren kleine, auf Bäumen lebende Primaten. So ist es naheliegend, anzunehmen, dass ihnen der Honiggenuss nicht fremd war. Auch heute lebende Primatenarten sind sehr interessiert an den süßen