Berauschende Bienen. Fabian Kalis
der Beherrschung des Feuers neue Welten erschloss, ergab sich im Hinblick auf die Honigernte ein enormer Vorteil. Die Honigbienen waren durch Rauch weniger stichbereit, und der Honig ließ sich nun mit viel weniger Schmerz und Gefahren ernten. Die Behandlung der Bienen mit Rauch, um sie vom Stechen abzuhalten, ist ein uraltes Ritual, das bis heute fast unverändert von Imkern, Bienenhaltern und Honigjägern auf der ganzen Welt praktiziert wird. Was sich bewährt hat, bleibt eben bestehen.
Lange Zeit haben die Menschen den Honig ausschließlich von wildlebenden Bienenvölkern und nur für den eigenen Bedarf gesammelt. Diese Art nennt sich Honigjagd und wird noch heute von einigen indigenen Völkern praktiziert. So eine Honigjagd ist immer ein gefährliches Unterfangen; tödliche Stürze sind keine Seltenheit. Die zu erbeutende Honigmenge ist bei dieser Form aber eher gering. Es ist also kein Wunder, dass dieses kostbare Gut in den frühen Kulturen so einen hohen Wert hatte. Auch die fast unerreichbare Höhe, in der wild lebende Bienen ihr Wabenwerk errichten, lässt die Verbindung der Bienen mit den Welten der Götter erahnen. Honig musste wahrlich eine Götterspeise sein. Die Honigjagd war also ein Risiko, das sich lohnte.
Mittelalterliche Imker mit Körben, Federzeichnung von Pieter Bruegel dem Älteren (um 1568)
Aus der Honigjagd entwickelte sich dann in einigen Teilen der Welt langsam die Waldbienenzucht. Man begann künstliche Nistplätze für die Bienen zu schaffen, indem man Bäume aushöhlte. In diese künstlichen Bienennistplätze zogen dann wilde Schwärme. Dadurch wurde die Anzahl der in einem Gebiet lebenden Bienenvölker vermehrt. In Europa entwickelte sich im frühen Mittelalter aus der Waldbienenzucht langsam die Zeidlerei. Das Wort Zeidler kommt vom altdeutschen Wort zeideln («Honig schneiden»). Die Zeidler begannen als Erste, Honig und das Bienenwachs wildlebender Völker gewerbsmäßig zu sammeln. Der hohe Bedarf der Kirche an Bienenwachs trieb die Entwicklung der Zeidlerei stark voran, bis sich aus ihr die heutige Imkerei entwickelte: das Halten von Bienen in künstlichen Behausungen am häuslichen Stand und damit auch die Zucht der modernen Honigbiene. Die ersten Imkereien waren daher nicht selten in den Gärten der Klöster und Kirchen zu finden und wurden von den Mönchen selbst bewirtschaftet. Die Bezeichnung Imker kommt dabei vom niederdeutschen Imme (»Biene«) und dem mittelniederdeutschen Kar (»Korb«), bedeutet also eigentlich »Bienenkorb«.
War Honig in den meisten Teilen der Welt zunächst noch das einzige Süßungsmittel, wurde er später immer mehr durch das Aufkommen des industriell raffinierten Kristallzuckers – zunächst aus Zuckerrohr, später auch aus der Zuckerrübe – verdrängt. Der Honig verlor seine Bedeutung als Süßungsmittel aufgrund seines im Vergleich zum raffinierten Zucker hohen Preises. Durch die Industrialisierung der Landwirtschaft, von der auch die konventionelle Imkerei nicht verschont blieb, sank der Honigpreis immer mehr. So wurde aus der einst kostbaren Speise der Götter nach und nach ein alltäglicher Brotaufstrich. Heute kennen daher nur noch sehr wenige die Bedeutung und den Wert des Honigs in früheren Kulturen.
Martin Luther und der Untergang der Zeidlerei
Wie erwähnt hatte insbesondere der hohe Bedarf der Kirche an Bienenwachs einen starken Einfluss auf die Entwicklung der Zeidlerei. Die Zeidler genossen bald ein hohes Ansehen und gehörten zu den Ersten, die Bürgerrechte und eine eigene Gerichtsbarkeit zugesprochen bekamen. Ihnen war es erlaubt, eine Waffe zu tragen, über die ihnen anvertrauten Wälder zu wachen und Urteile über Honigdiebe direkt an Ort und Stelle zu fällen und vollstrecken. Für die Zeidlerei war dies eine goldene Zeit. Zeidler lebten ein gutes Leben mit vielen Rechten und Privilegien. Die Kirche hatte einen unendlichen Bedarf an Bienenwachs, dessen einzige Quelle zu jener Zeit die Zeidlerei war. Natürlich war es mühselig und brachte geringe Ausbeute, als Zeidler ein wildlebendes Bienenvolk um Bienenwachs und Honig zu bringen, und obendrein war es gefährlich. Bienenwachs und Honig waren daher Luxuswaren. Doch die Kirche verfügte dank des blühenden Ablasshandels über genügend finanzielle Mittel, um sich dies leisten zu können.
Doch dann sollte ein Mönch mit dem Namen Martin Luther alles verändern. Sein Wirken ist samt den weitreichenden Folgen für die Kirche heute noch wohlbekannt. Doch mit der Reformation der Kirche durch Luther verlor die katholische Kirche mehr und mehr ihre unantastbare Stellung, die Menschen begannen sie zu hinterfragen und zu widersprechen. Das Geschäft mit dem Sündenerlass florierte nicht mehr. So fehlte immer mehr das Geld für den verschwenderischen Verbrauch an Bienenwachskerzen in der Kirche. Sparmaßnahmen mussten her. Wo vorher hunderte Kerzen die dunklen Klöster erhellt hatten, mussten nun einsame kleine Lichtlein die Nachtwache übernehmen. Das Bienenwachs der Zeidler war einfach zu teuer geworden.
So wurde die Wandlung des Zeidlertums zur Imkerei, einer moderneren Form der Bienenwirtschaft, beschleunigt; in den Imkereien war es möglich, Bienenwachs und Honig mit viel geringerem Aufwand und mit einer größeren Ausbeute zu ernten. Ebenso waren es nun meist die Mönche selbst, die die Bienen in ihren Klostergärten hielten. Martin Luther hat also nicht nur die Kirche reformiert, sondern auch indirekt für den Untergang der Zeidlerei gesorgt.
Bienen als Wegweiser
Es ist nach wie vor ein ungelöstes Rätsel, wie genau die frühen Menschen die schier unendliche Fülle an Pflanzen und Pilzen so exakt als essbar, giftig oder heilsam eingestuft haben. Die bloße Anwendung des Prinzips von Versuch und Irrtum scheint bei der Menge an Pflanzen und Pilzarten nicht haltbar. Vielmehr ist es denkbar, dass die Menschen sich den Gebrauch der Pflanzen bei den Tieren abgeschaut haben. Je nach Lebensraum wurden dabei verschiedene Tiere beobachtet, doch nicht jedes Tier eignet sich hierfür gleichermaßen, da es durchaus Tierarten gibt, bei denen Stoffe auf dem Speiseplan stehen, die für Menschen giftig sind.
Der amerikanische Ethnobotaniker Jonathan Ott hat die Hypothese aufgestellt, dass es die Bienen waren, die den Menschen dieses Wissen brachten. Insbesondere psychoaktive Pflanzen, die einen berauschenden Honig produzieren, wurden über den Umweg des Honigs ausfindig gemacht.
Das Honigernten selbst haben sich die Menschen wahrscheinlich ebenfalls schon sehr früh von den Tieren abgeschaut. Wenn ein Honig aus dem Nektar bestimmter Pflanzen nun eine besondere Wirkung hatte, brauchte man nicht lange nachzudenken, um auf die Idee zu kommen, den Bienen zum Ursprung dieses Nektars zu folgen. Schon kannte man die Stammpflanze zu der Wirkung und konnte die Pflanze entsprechend anwenden.
Auch die heilsamen Eigenschaften verschiedener Pflanzen gelangen über den Nektar in den Honig. So sind bestimmte Honigsorten besonders gut zur Behandlung bestimmter Krankheiten geeignet. Lindenhonig hilft beispielsweise ebenso wie die Lindenblüten selbst hervorragend bei Erkältungskrankheiten. Es ist daher anzunehmen, dass auch medizinisch nutzbare Pflanzen so über die Bienen von den Menschen entdeckt wurden. Man kann also davon ausgehen, dass die Bienen den Menschen zumindest ein Wegweiser auf dem Weg bei der Entdeckung der unzähligen Heil- und Zauberpflanzen waren.
Ohne Honig kein Honig
Bei den Baka, einem Pygmäenvolk, das im Kongo, in Kamerun, Gabun und der Zentralafrikanischen Republik lebt, gibt es ein Sprichwort, das übersetzt »Ohne Honig kein Honig« lautet. Die Baka betreiben eine traditionelle Honigjagd, das heißt, sie sammeln den Honig von wild lebenden Bienenvölkern. Diese leben hoch oben in den Kronen der Baumgiganten. Die Honigjagd ist bei den Baka traditionell Männerarbeit. Die Männer ziehen in kleinen Gruppen los und machen einen Baum mit einem Bienenvolk ausfindig. Sobald sie eines entdeckt haben, beginnen sie mit den Vorbereitungen für die Honigernte hoch oben in den Bäumen. Es werden Körbe geflochten und lange Lianen daran gebunden. Die Männer machen ein Feuer unter dem Baum, auf das sie viele frische Blätter legen, so dass es ordentlich zu rauchen beginnt.
Einer der Männer klettert nun den bis zu 50 Meter hohen Baum hinauf. Oben angekommen, beginnt er den kostbaren Honig zu ernten, während er von Tausenden stechbereiter Bienen umschwirrt