Drug trail - Spur der Drogen. Matthias Kluger
Catalina noch einen Kuss auf die Stirn und verschwand im Bad.
Es war ein schäbiges Badezimmer in der kleinen Zweizimmerwohnung, deren Miete sie sich gerade mal so leisten konnten.
Schnell zog Rodrigo sein Shirt und die Jeans aus. Das Neonlicht am Spiegel über dem Waschbecken warf ein unnatürlich helles Licht auf die dunkle Haut des Mexikaners. Fletschend prüfte er vor dem Spiegel die Zähne – nicht, dass Reste der Petersilie vom Mittagssandwich diese verunstalteten. Doch alles war perfekt.
Er drehte den Wasserhahn auf und ließ die Brause einige Minuten laufen, bis endlich heißes Wasser kam. Dann stellte er sich, vor lauter Vorfreude laut summend, in die Duschwanne, zog den mit bunten Goldfischen bedruckten Plastikvorhang zu und begann sich von oben bis unten einzuseifen. Während er den Schaum in seinem Gesicht und auf seiner Haut verteilte, ließ ihn ein leises Kratzen aufhorchen. Mit geschlossenen Augen rief er durch den Duschvorhang zur Badezimmertür: „Catalina, bist du das?“ Keine Antwort – stattdessen erneutes Kratzen und Poltern. „Catalina?“ Er blinzelte, um etwas erkennen zu können. „Scheiße“, fluchte Rodrigo, als plötzlich ohne Vorwarnung etwas gegen den Duschvorhang stieß und diesen aus der Wandverankerung riss. Abwehrend streckte er die Arme in die Höhe, während der Plastikvorhang samt Metallschiene und einem zuckenden Leib in die Wanne schlug.
Augenblicklich brüllte Rodrigo wie am Spieß. Hektisch spülte er die brennenden Augen mit Wasser aus und tastete dabei mit einer Hand nach dem Körper, der zitternd halb in der Duschwanne, halb auf dem Badezimmerboden lag. Als er endlich wieder klar sehen konnte, lag Catalina gekrümmt vor ihm. Ihr Kopf musste gegen die Armatur geprallt sein, denn eine klaffende Wunde an ihrer Stirn färbte das Duschwasser rot, bevor es gurgelnd im Abfluss verschwand.
„Catalina, fuck, was ist los? Was ist mit dir? Sag was! Oh, scheiße, scheiße, scheiße.“
Angespannt hantierte er am dünnen Plastik des heruntergerissenen Duschvorhangs, der sich völlig durchnässt um den Wasserhahn gestülpt hatte. Als er den Regler endlich zu fassen bekam, drehte er das brausend heiße Nass ab.
Catalina lag mit ihrem Oberkörper auf seinem linken Fuß. Im Versuch, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, zog er ihn hervor und stieg vorsichtig aus der Wanne. Ein Zittern hatte Catalina derart heftig erfasst, als würden permanente Stromschläge durch ihren Körper gejagt.
„Catalina, scheiße, verdammt, was ist mit dir? Sag doch was!“
Rodrigo kniete sich vor sie, umschloss mit beiden Händen ihr Gesicht und sah das Weiß ihrer nach oben verdrehten Augäpfel. In diesem Moment brach ein Schwall Erbrochenes aus Catalina heraus, direkt auf seine nackten Oberschenkel.
„Ohhh, shit. Shit, Catalina, Catalina, verdammt, sag doch was!“
Völlig von Sinnen schüttelte er sie an den Schultern. Ihr Kopf wackelte dabei hin und her, während der saure Dunst ihres ausgeworfenen Mageninhalts beharrlich in seiner Nase biss. Instinktiv griff er nach einem Handtuch und presste es auf die blutende Platzwunde an ihrer Stirn.
Catalina begann heftiger zu atmen. War das ein gutes Zeichen? Dann krümmte sie sich zusammen, gerade so, als wolle sie wie eine Katze eingerollt in den Schlaf übergehen. Doch Catalina schlief nicht, sie lag nur still da.
Banale Story
Qualle schien sichtlich enttäuscht.
„Was?“, fuhr Oliver ihn an, da er mit seinem schlechten Gewissen haderte. Wäre er vormittags ans Handy gegangen, hätten sie jetzt unter Umständen mehr Material für die morgige Ausgabe. Aber es war schließlich um Eve gegangen, seine Tochter – und Weihnachten. „Keines der anderen Blätter hat mehr als wir. Die Beamten vor Ort haben alles derart dicht gemacht, als wäre ein fucking Außerirdischer gelandet.“ Oliver schmiss verärgert den Kugelschreiber über seinen Tisch.
„Ich sag doch gar nichts, Boss“, nörgelte Qualle gespielt beleidigt, um sich dann an Jenny und Frank zu wenden, die ebenso offenkundig frustriert am Besprechungstisch gegenüber lehnten. „Immerhin konntest du die beiden ersten Fragen bei Hobbs landen. Das ist doch schon was.“ Qualle reckte lobend den Daumen in die Höhe.
„Ach, Qualle, du bist süß.“ Jenny stieß sich vom Besprechungstisch ab, ging einen Schritt auf den Assistenten Olivers zu und kniff ihn in die dicke Wange.
„Wie sind die Fotos geworden?“, fragte Oliver an Frank gewandt.
„Wenn wir einen Leichenwagen auf Seite eins drucken wollen, passt das Bildmaterial.“
„Okay. Ich schlage vor, wir ziehen ein Archivbild von Logan Winston, den Leichenwagen gibt’s als Miniaturbild. Ohne in Spekulationen zu verfallen, bekommen wir mit der Story nicht mehr als eine halbe Seite gefüllt. Seite drei dann noch den Lebenslauf. Geburt, wesentliche Eckpfeiler seiner Karriere, Abgang.“
„Keine Spekulationen?“, setzte Jenny nach.
„Du hast den Präsidenten gehört. Rücksichtsvolle Berichterstattung im Sinne seiner Familie. So hat er sich doch ausgedrückt, oder?“
„Schon, aber müssen wir uns daran halten? Ich hab das mehr als Bitte ver…“
„Welche Hypothesen willst du aufstellen?“, unterbrach Oliver sie. „Director Hobbs hat ausdrücklich betont, dass Winston eines natürlichen Todes gestorben ist. Wo nichts ist, werden wir auch nichts finden!“
„Aber du hast doch selbst gesagt, dass da irgendwas faul ist. Straßensperren, die ganze Abschottung, als sei unser Vizepräsident mit einem hochansteckenden Virus infiziert gewesen. Das Ganze stinkt doch zum Himmel!“, widersprach Jenny.
Frank nickte zustimmend, während Oliver an seine eigene Abfuhr im George Washington Hospital dachte. Tatsächlich hatte man den Leichnam zur Obduktion dorthin gebracht. Doch kein Kommentar der Ärzte, nicht mal auf die Station wurde er vorgelassen.
„Vergesst die Riesenstory. Das ist kein Material für den Pulitzer. Ein andermal vielleicht. Klimpert zwanzig Spalten runter, dann legt euch schlafen. Ich für meinen Teil mach Feierabend. Qualle, hast du ’ne Zigarette für mich?“
Zögernd zog Qualle ein faltiges Päckchen aus seiner Brusttasche und reichte es Oliver. Eigentlich hatte sein Boss damit aufgehört.
Blackout
Rodrigo rieb seine eiskalten Handflächen aneinander. Alleingelassen saß er vornübergebeugt im Flur des George Washington Hospitals. Trotz des alles überlagernden Geruchs nach Desinfektionsmittel hatte er noch immer den säuerlichen Duft des Erbrochenen Catalinas in der Nase. In seinem Kopf drehte sich alles. Außerstande, einen klaren Gedanken zu fassen, schossen in seinem Schädel Bilder der letzten Stunden wie Stroboskopblitze wild durcheinander. Bildsequenzen von Catalina, wie ihr regloser Körper vor ihm gelegen hatte. Wie er sie immer wieder geschüttelt und dabei um Hilfe geschrien hatte. Offensichtlich hatte er seine Jeans angezogen, ein Handtuch um Catalinas nasse, schlaffe Gestalt gelegt. Ein weiterer Lichtblitz und er stand auf einmal mit nacktem Oberkörper barfuß im Aufzug – Catalina in seinen Armen – regungslos. Keine Ahnung, wie er in der Eiseskälte zum geparkten Wagen gekommen war. Die Autofahrt ins Krankenhaus – dasselbe schwarze Loch der Amnesie. Wie war er nur hierhergekommen? Jetzt zuckten kurz die Bilder der heraneilenden Schwester vor seinem Auge. Dann erneute Dunkelheit. Als er wieder aufgewacht war, hatte man ihm eine Decke um die Schultern gelegt und etwas in seinen Arm gespritzt. Ein Beruhigungsmittel, erklärte ihm die freundliche Schwester, bevor sie ihn auf den Stuhl in diesen gottverdammten Korridor abgeschoben hatte. Das weiße Neonlicht brannte in seinen verheulten Augen. Wo war Catalina jetzt? Konnten sie ihr helfen?
Er musste etwas unternehmen. Irgendetwas. Würde er weiterhin hier sitzen bleiben, lief er Gefahr, wahnsinnig zu werden.
Gerade als er aufstehen wollte, erschrak er wegen zweier Männer, die direkt vor ihm standen und auf ihn herabsahen. Woher waren die so plötzlich gekommen? Sie sprachen mit ihm, doch er konnte lediglich ein dumpfes Gemurmel vernehmen. Jetzt packte ihn einer der Männer an der Schulter, zog ihn hoch und drehte ihm die Arme auf den Rücken. Was um Himmels willen geschah hier? Was hatten die Männer mit