Drug trail - Spur der Drogen. Matthias Kluger
Inmitten seines Abendessens, Enrico angelte gerade geschickt mit Stäbchen die vor ihm aufgetischten Gunkanmaki- und Nigiri-Sushi, läutete sein Handy. Ungestört im hinteren Bereich seines Lieblingsrestaurants nahm er das Telefonat an.
„Enrico Portas.“ Enrico lauschte, vernahm aber zuerst nur ein röchelndes Atmen am anderen Ende der Leitung.
„Ciao, Enrico.“ Erneut schleimiges Einatmen. „Ich darf dich doch Enrico nennen, nachdem ich für deinen Gönner so viel Gutes getan habe?“
„Wer spricht da?“, fragte Enrico, obwohl er bereits vermutete, wer mit fast schon asthmatischem Schnaufen zu ihm röchelte.
„Enrico, mein Freund. Kennst du Dagobert Duck? Du kennst doch Dagobert Duck, oder?“ Enrico hatte keine Gelegenheit, zu antworten, denn abermals übermannte den Anrufer ein heftiger Hustenanfall. Dann fuhr dieser fort: „Nenn mich Dagobert. Nicht, dass ich wie diese Ente in Geld bade, doch für ein frisches Sushi reicht es allemal. Lang zu, mein Freund. Heute bist du mein Gast, auch wenn ich bedaure …“, von Neuem befiel den Fremden, der sich Dagobert nannte, ein Hustenreiz, während Enrico sich suchend im Lokal umblickte, „… bedaure, dass ich dir nicht Gesellschaft leisten kann. Vicente hat mich sehr geschätzt – und ich ihn, musst du wissen. Durch mich hat er viel – und wenn ich viel sage, dann meine ich auch viel, sehr viel – am Syndikat vorbei verdient. Das steht nun dir zu, mein Junge.“
So, wie Dagobert „mein Junge“ betonte, löste es bei Enrico ein Schaudern aus.
„Sicher fragst du dich jetzt, was du dafür tun musst. Ich verrate es dir. Nicht mehr, als es in deinem Lager entgegenzunehmen und auf die Straße zu bringen. Gut, pro Lieferung hatte Vicente ein mageres Salär für mich. Eine Million in kleinen Scheinen. Ich liebe diese ledernen Koffer, die er stets für mich bereitgestellt hat. Kannst du mir folgen, Enrico? Bist du noch dran? Du bist so schweigsam.“
„Was macht Sie so sicher, dass ich den Deal möchte?“, fragte Enrico leise.
„Enrico, Enrico, Enrico. Jetzt enttäuschst du mich. Ich liefere dir Ware im Wert von mehreren Millionen und du hinterfragst mich? Selbst Vicente hat mir vertraut. Und du weißt, Vicente war ein vorsichtiger Mann. Gott hab ihn selig.“
„Sie wissen, was mit Vicente geschehen ist?“
„Dumme Sache, Enrico. Einmal unvorsichtig kann tödlich sein in unserem Metier. Aber du bist wachsam, das spüre ich. Übermorgen, übermorgen 23:00 Uhr kommt die Lieferung in deinem Lager an. Vergiss den Lederkoffer nicht.“
Bevor Enrico antworten konnte, hatte Dagobert auch schon aufgelegt.
Im Fahrstuhl
Als ein Sheriff des MPDC, gefolgt von zwei grimmig dreinblickenden Beamten in schwarzen Wintermänteln, ihn aus der Zelle holte, war Rodrigo Ramirez bereits hellwach. Man hatte ihm ein dunkelgraues Hemd aus kratziger Wolle sowie ein Paar alter Winterstiefel überlassen. Über die Nacht hinweg hatte das ihm verabreichte Beruhigungsmittel in seiner Wirkung allmählich nachgelassen. Übrig geblieben waren einzig stechende Kopfschmerzen.
Gerade mal eine Stunde, bevor die Beamten seine Zelle betraten, kam langsam, ganz zaghaft die Erinnerung an den Vorabend in sein Gedächtnis zurück. Wie eine Blume, die man im Zeitraffer wachsen sieht, erblühten in ihm die grauenhaften Erkenntnisse der Ereignisse des vorangegangenen Tages.
Abermals brannten Tränen, als Bilder von Catalinas reglosem Körper vor seinen rot geränderten Augen erschienen. Sie hatte vor ihm gelegen, hatte sich ein letztes Mal gekrümmt, als ihre Muskeln plötzlich erschlafften. War sie bewusstlos oder …?
Was dann geschah, hatte ohne greifbare Kontrolle stattgefunden. Eine Scheißangst hatte sich seiner bemächtigt, eine Angst, die ihm das Atmen beinahe unmöglich machte. Hektisch war er in seine Jeans geschlüpft und hatte mit zittrigen Händen damit gekämpft, die Knöpfe der Hose zu schließen. Sein Blick war auf das große Badetuch an der Wandhalterung gefallen, das er in Panik heruntergerissen und um den schlaffen, nassen Körper Catalinas gelegt hatte. Stöhnend hatte er sie hochgehoben, als ihm in diesem Moment, warum auch immer, ihre geschlossene Faust aufgefallen war. Hielt sie etwas in der Hand? Doch er hatte sich nicht weiter darum gekümmert. Catalina musste hier raus, in ein Krankenhaus. Und zwar schnell!
Seine blau angelaufenen Lippen bibberten, als er mit nacktem Oberkörper, Catalina auf den Armen, im eiskalten Aufzug lehnte. Ruckartig setzten sich die Seilwinden des Fahrstuhls in Bewegung und ratterten dem Erdgeschoss entgegen. War es das Rumpeln der Kabine, der Schock, der ihn bis ins Mark gefesselt hielt, oder die Eiseskälte, die ihn am ganzen Leib zittern ließ? Erneut war sein Blick auf die Faust ihrer linken Hand gewandert. Rodrigo winkelte sein rechtes Bein an, um Catalina damit zu stützen, stand anschließend auf seinem linken Fuß und bekam so eine Hand frei. Während das Neonlicht in unrhythmischem Takt flackerte, öffnete er vorsichtig ihre Finger. Zum Vorschein kam der kleine Beutel, das Plastiktütchen mit dem weißen Pulver, das ihm den Fick seines Lebens bescheren sollte.
„Oh shit, shit“, zischte Rodrigo. Er zog an der Tüte, als staubige Flocken zu Boden rieselten. Das Scheißding ist offen, durchfuhr es ihn. Sein Blick wanderte wie der eines Geisteskranken durch den Aufzug. Wohin mit dem Päckchen? Unmöglich, mit Drogen im Krankenhaus aufzutauchen. Die Kabine setzte ruckend auf – sie waren im Erdgeschoss angekommen. Jeden Augenblick würde sich die Fahrstuhltür öffnen. Dann wusste er, was zu tun war. Zwischen den Seitenwänden des Aufzugs und dessen Decke befand sich eine schmale Schattenfuge. Genau in dem Augenblick, da sich geräuschvoll die Tür zur Seite schob, hatte er das Plastiktütchen in die schmale Ritze gepresst.
„Rodrigo Ramirez, mitkommen“, forderte ihn der Sheriff in rohem, ungehaltenem Ton auf. Eine kräftige Hand zog ihn ruppig am Unterarm von der Zellenpritsche. Ihm wurden abermals Handschellen angelegt, bevor er stolpernd den drei Beamten folgte. Sein Kopf pochte, als ballerten gleich mehrere Presslufthämmer von innen gegen die Schädeldecke. Vor der Polizeiwache angekommen, blendete ihn das grelle Tageslicht – doch das war nur von kurzer Dauer, denn er wurde unsanft in einen schwarzen, direkt vor dem Eingang parkenden Van gestoßen.
Die Lieferung
Kurz nach 23:00 Uhr kam der Kleintransporter in einer Lagerhalle zum Stehen. Ein Rolltor hinter dem Wagen ratterte nach unten, bis es mit metallischem Laut den Boden kratzte. Zwei unrasierte Latinos stiegen aus. Sowohl dem Aussehen als auch der beinahe identischen Kleidung nach – Jeans, Sweatshirt, dicke braune Lederjacke – sahen sie aus wie ihr reziprokes Spiegelbild. Wie einstudiert gingen sie zur Rückseite des Wagens, öffneten die Hecktüren und begannen damit, mehrere Kartons auszuladen.
Mit steinerner Miene, ohne auch nur ein Wort zu verlieren, beobachtete Enrico, neben drei seiner schwer bewaffneten Jungs, die Szenerie. Insgesamt fasste die Lieferung zwölf gleich aussehende Pappbehälter. Auf eine kurze Anweisung Enricos hin ging einer der Wachleute zu den Kartons, öffnete den erstbesten und bestätigte mit knappem Nicken den ordnungsgemäßen Inhalt.
„Kommt mit.“ Enrico forderte die Lederjacken auf, ihm in das rückwärtig angrenzende Büro zu folgen.
Dort wartete bereits auf einem schlichten Küchentisch mit Plastikauflage ein schwarzer Koffer. Mit leisem Knacken entriegelte Enrico die Schlösser, klappte den Deckel des Koffers nach oben und drehte diesen in Richtung der Latinos.
„Wollt ihr nachzählen?“
„No“, antwortete einer der beiden knapp.
Während die Drogenlieferanten das Gepäckstück entgegennahmen, trat aus einer Ecke der Halle eine dunkle Gestalt hervor. Sie war groß gewachsen, muskulös und besaß kein einziges Haar am Kopf. Einzig eine Narbe, die sich von der linken Braue bis hoch in die Stirn zog, stach heraus. Ulrich.
Er kniete kurz hinter dem Transporter nieder. Dann, so wie er erschienen war, verschwand Ulrich auch wieder.
Im Van
Unsanft landete Rodrigo auf der Rücksitzbank des Vans. Noch ehe er sich versah, wurde ihm eine dunkle Kapuze über den Kopf gezogen.
„Hey,