YOLO. Paul Sanker

YOLO - Paul Sanker


Скачать книгу
den Pfandleiher mit dem Stinkefinger, dann rannte er um die nächste Hausecke. Mit Wuttränen in den Augen machte er sich auf den Weg nach Hause. Unterwegs rempelte er eine alte Frau an, die mit ihrem Dackel spazieren ging.

      »Pass doch auf, du dumme Schachtel!«, giftete er sie an, worauf ihn der Hund wütend ankläffte.

      »Schnauze, du Flasche!«, schrie er, hastete weiter, böse vor sich hinfluchend und mehrmals auf die Straße spuckend.

      Erst daheim beruhigte er sich langsam wieder und schmierte sich ein paar Brote mit Erdnussbutter als Trostspender. Noch mit Tränen in den Augen setzte er sich an seinen Computer.

      Hard2drive ritt durch den Wald von Sleepysoul. Er wollte allein sein und ohne seine Gilde durch die Fantasywelt reisen, um seine Enttäuschung zu verarbeiten. Vielleicht bekam er Gelegenheit, ein paar Gnome oder Trolle zu zerhäckseln. Auf jeden Fall musste irgendwer für die Demütigung büßen, die er bei diesem verlausten Pfandleiher erlitten hatte.

      Obwohl im Real Life Frühling war, umgab den Krieger hier ein bunter Herbstwald. Pausenlos fielen Blätter von den Buchen und Eichen um ihn herum. Der Waldweg war bedeckt von einem dichten Laubteppich. Das Gebiet, das er gerade durchquerte, hatte Hard2drive zuvor noch nicht erforscht.

      Das Geniale an Kingdom of Fantasy war die revolutionäre eternity-at-random-Technik oder kurz ear. Es bedeutete, der Spieler erreichte nie das Ende der virtuellen Spielewelt, weil es kein Ende gab. Der Computer generierte immer aufs Neue Landstriche und Zauberwelten.

      Es gab einige Spieler, die lediglich weiter und weiter reisten, dadurch ständig Länder, Meere, Berge und Kontinente erschufen und sich an den immer neuen Anblicken und Entdeckungen berauschten. Sie lösten gar keine Quests mehr und gingen Kämpfen aus dem Weg, um ja nicht von ihrer schöpferischen Arbeit, eine neue Welt zu erschaffen, abgelenkt zu werden.

      Viele von ihnen waren schon so weit gereist, dass sie den Weg zurück in ihr Ausgangsgebiet nicht mehr finden würden, selbst wenn sie es wollten. Ab und zu meldeten sich diese Forscher und Entdecker über den Chatmodus und berichteten über erstaunliche Völker, Tiere und Pflanzen, die ihnen auf ihrer ewigen Odyssee begegneten.

      Mit diesen Leuten, die in Henriks Augen Spinner waren, hatte er nichts gemeinsam. Sein Bestreben war es, immer stärker und mächtiger zu werden, um es mit jedem Gegner aufnehmen zu können. Dafür durchspielte er eine Quest nach der anderen, um mächtige und einzigartige Gegenstände zu finden, die ihn im Kampf unbesiegbar machten.

      Hard2drive erreichte soeben ein Dorf, das in einer breiten Waldlichtung lag und von einem Flusslauf durchzogen wurde. Die Bewohner waren freundlich gesinnt und gehörten der Rasse der Elben an: hochgewachsene, edle Geschöpfe mit langen, wallenden Haaren und bunten, weiten Gewändern, die vorwiegend Ackerbau und Viehzucht betrieben.

      Die Welt des Kingdom of Fantasy befand sich etwa auf dem Entwicklungsstand des Mittelalters. Es gab keine Industrie, keine Fabriken. Die Bevölkerung lebte vorwiegend in Dorfgemeinschaften. Regiert wurde das Land von Fürsten. Sie hausten in Burgen oder Festungen, die sich in der Nähe von Siedlungen befanden. Die Herrscher waren vor allem Spieler, die sich ihre Position in langen, erbitterten Kämpfen erstritten hatten. Daneben gab es aber auch viele sogenannte Gilden oder Bruderschaften, wobei es sich letztendlich um herumvagabundierende Banden von Kämpfern und Banditen handelte. Sie erfüllten ihre Quests, indem sie plünderten oder im Auftrag der Fürsten in die Schlacht zogen.

      Vor einem Gasthof hielt Hard2drive an und stieg vom Pferd. Ein Stallbursche kümmerte sich um das Tier, während der Paladin den Gasthof betrat. Die meisten Gäste an den Tischen und an der Theke waren wie der Wirt und das Schankpersonal Computercharaktere. Sie konnten nicht aktiv am Spiel teilnehmen, sondern auf Anforderung immer nur die gleichen Handlungen ausführen, zum Beispiel Nahrungsmittel und Waren verkaufen. Andere erteilten Auskünfte zur aktuellen Quest oder lieferten Wegbeschreibungen zu Personen oder Ortschaften, die ein Spieler suchte.

      Lediglich ganz hinten, am letzten Tisch, saß neben dem lodernden Kaminfeuer ein weiterer Spieler. Es handelte sich um einen Druiden im sechzigsten Level, der interessiert zu Hard2drive herübersah.

      Druiden hatten die Fähigkeit, sich in Tiere zu verwandeln, zum Beispiel in Wölfe, Bären oder Adler und nahmen im Kampf deren Eigenschaften an. Weiterhin waren sie hervorragende Fallensteller, in deren Hinterhalt schon so mancher Feind elendiglich verendet war. In einer Gilde wurden sie vorwiegend als Kundschafter eingesetzt, da sie in Tiergestalt enorm schnell und ausdauernd waren und weite Strecken in kurzer Zeit zurücklegen konnten.

      Der Druide winkte Hard2drive freundlich zu und gab ihm ein Zeichen, dass er sich zu ihm setzen solle. Hard2drive kam näher, blieb schweigend vor dem Mann stehen und wartete ab.

      Tulsadoom: Seid gegrüßt, edler Paladin. Mein Name ist Tulsadoom von der Gilde der ehrwürdigen Schlangenmutter. Es ist mir eine Ehre, den großen und mächtigen Hard2drive kennenzulernen, dessen Heldentaten in der Schlacht von Parthenon in den Hallen der Ahnen besungen werden und dessen Ruhm in unserer virtuellen Welt unvergänglich sein wird.

      Der Druide lächelte breit und zeigte dabei zwei Reihen blendend weißer Zähne. Zusammen mit seinem weißblond gelockten Haar und der kaffeebraunen Haut sah er aufreizend arrogant und irgendwie verlogen aus.

      Hard2drive gefiel der Kerl nicht, deshalb sagte er weiterhin kein Wort.

      Tulsadoom: Aber wollt Ihr Euch nicht setzen, Euer Hochwohlgeboren? Es wäre mir eine große, wenn auch unverdiente Freude, Euch an meinem Tisch in dieser bescheidenen Herberge willkommen zu heißen.

      Tulsadoom stand umständlich auf und verbeugte sich theatralisch tief vor Hard2drive, sodass seine blonden Locken den Boden berührten.

      Zögernd nahm der Paladin Platz. Er fand diesen weibischen Schwätzer zum Kotzen, aber er musste wissen, was der von ihm wollte.

      Der Druide setzte sich ebenfalls wieder, verzog angewidert das Gesicht, als er eine Staubflocke mit spitzen Fingern aus seinen Haaren entfernte, und zeigte dann erneut sein süßliches Lächeln. Er machte dem Schankwirt ein Zeichen, der ihnen daraufhin zwei Tonhumpen mit einem bierartigen Gebräu vorsetzte.

      Henrik fand dieses Getue lächerlich. Was hatte er davon, wenn seinem Computercharaker virtuelles Bier vorgesetzt wurde? Wollte der Kerl ihn provozieren?

      Hard2drive: Was willst du von mir, Druide? Komm bitte schnell zur Sache! Ich will kein geschwollenes Gesabber hören, my boy.

      Tulsadooms Miene verdüsterte sich. In seinen Augen vermeinte der Paladin, eine Spur von Hass zu erkennen. Doch dann kehrte das breite Lächeln wieder zurück, das aus einer Zahnarztwerbung zu stammen schien.

      Tulsadoom: Warum so ungehalten, strahlender Held von KoF? Ich bin ein großer Bewunderer Eurer Herrlichkeit und entzückt von dem Glanz, der durch Eure Anwesenheit auch auf meine unwürdige Person fällt.

      Hard2drive meinte, aus diesen Worten des Druiden nun ganz eindeutig Spott herauszuhören. Er erhob sich langsam und zog sein Schwert. Drohend baute er sich vor dem Lächler auf.

      Tulsadoom: Nun, nicht so hastig, edler Freund. Wer wird denn gleich so ungehalten sein?

      Die Stimme des Druiden gewann eine Spur an Schärfe.

      Tulsadoom: Außerdem wisst Ihr doch, dass man in einem Gasthof niemanden töten darf. Der Gamemaster bestraft das mit dem Verlust von fünf Erfahrungsleveln.

      Hard2drive: Vielleicht ist mir das der Spaß ja wert?

      Dabei schob er sein Schwert jedoch langsam zurück in die Scheide und starrte den Druiden an.

      Tulsadoom entspannte sich und verfiel in einen beiläufigen Plauderton.

      Tulsadoom: Man sagt, dass Ihr und Eure Gilde in letzter Zeit viele erfolgreiche Quests erledigt habt.

      Hard2drive: Sagt man das? Ist ja interessant.

      Tulsadoom: Ja. Man sagt auch, dass Ihr viele seltene, magische Gegenstände gefunden habt.

      Der Paladin horchte auf. Diese miese Schlange schien nun endlich zur Sache kommen zu wollen.

      Hard2drive:


Скачать книгу