YOLO. Paul Sanker

YOLO - Paul Sanker


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rufe die Polizei!«

      Die drei Kerle hielten inne und schauten sich hastig um. Zwei suchten sofort das Weite. Der Anführer bückte sich mit seiner gespenstisch weißen Fratze noch einmal zu Henrik hinunter, packte ihn am Kragen der Cordjacke und flüsterte: »So geht es einem Pisser, der sich mit den Mächten der Finsternis anlegt.« Danach folgte er eilig seinen Komplizen.

      Das Letzte, das Henrik registrierte, ehe er das Bewusstsein verlor, war ein Tattoo an der Innenseite des Unterarms des Gothickerls: In einem Herz, um das sich eine züngelnde Schlange wand, stand geschrieben: »For Tulsadoom in love«.

      Als Henrik erwachte, verspürte er rasende Kopfschmerzen, als bearbeite der Drummer von Metallica seinen Schädel. Dann begriff er, dass er nicht mehr im Molocco hockte, sondern in einem Krankenhausbett lag. Augenblicklich setzte seine Erinnerung wieder ein. Stöhnend betastete er vorsichtig den Klumpen, der in der Vergangenheit mal Nase und Oberkiefer gewesen sein musste. Die Nase war mit einer Tamponade ausgestopft, die Oberlippe mit mehreren Stichen genäht. Mit der geschwollenen Zunge tastete Henrik in Zeitlupe den Mund aus und stellte fest, dass ein Frontzahn fehlte. Tränen der Wut und des Schmerzes schossen ihm in die Augen. Er wimmerte und wollte sich im Bett aufrichten, doch wie ein Blitz schoss der Schmerz durch seinen bandagierten Brustkorb, sodass er sich jammernd zurücksinken ließ. Mindestens eine Rippe musste gebrochen sein.

      »Immer langsam, Herr Wanker. Kann ich Ihnen helfen?« Eine junge Krankenschwester beugte sich über ihn. Sie war vielleicht zwanzig Jahre alt, hatte eine blonde Kurzhaarfrisur und war ausnehmend hübsch. Ihr üppiger Busen wogte beunruhigend nahe vor Henriks geschundenem Gesicht. Routiniert griff sie nach Henriks Unterarm und tastete den Puls. »Möchten Sie etwas trinken?«, fragte sie freundlich.

      »Nein, im Gegenteil«, nuschelte Henrik mühsam.

      »Wie?«

      »Nein, ich muss pissen!« Was allerdings klang wie: »Üsch musch püschen!«

      Die Schwester verstand trotzdem, was er meinte und brachte ihm lächelnd die Urinflasche.

      »Üsch glaube, Schü müschen mür helfen, Schweschter«, nuschelte er lüstern.

      »Selbstverständlich, Herr Wanker«, antwortete sie. »Ich bin gleich wieder da.« Sie wandte sich um und verließ das Zimmer.

      Nach kurzer Zeit kam sie in Begleitung eines ebenfalls weiß gekleideten, etwa vierzigjährigen, gut ein Meter achtzig großen und hundert Kilo schweren Mannes mit Halbglatze und dichtem, schwarzen Vollbart zurück. Mit seiner dicht behaarten Pranke ergriff er die Urinflasche.

      »Das ist Oberpfleger Marco. Er wird Ihnen behilflich sein, Sie Armer«, sagte die Schwester und verschwand erneut.

      »Äh … ich …«, stammelte Henrik. »Ich glaube, das kann ich doch alleine«, und nahm dem Pfleger die Flasche ab.

      »Wie Sie wollen«, antwortete der Dicke gleichmütig. »Übrigens: Wenn Sie fertig sind – draußen wartet Besuch auf Sie.« Der Pfleger ließ ihn ohne ein weiteres Wort allein.

      Wahrscheinlich war seine Mutter gekommen, die blöde Kuh. Als er die letzten Tropfen mit einer schüttelnden Bewegung in die Flasche drückte, dachte er bitter, dass sie ihm mit Sicherheit wieder Vorwürfe machen würde, weil er sich in Bars rumtrieb. Und dass er ihr absichtlich nur Ärger machen wollte.

      Aber es war nicht die Mutter. Zwei uniformierte Polizisten betraten sein Zimmer. Sie nickten Henrik kurz zu, zogen zwei Stühle neben sein Bett und nahmen unaufgefordert Platz.

      »Ich bin Polizeihauptmeister Bauer«, stellte sich der eine vor und wies dann auf seinen Kollegen: »Das ist Polizeimeister Wagner. Wir werden Ihnen einige Fragen zur letzten Nacht stellen.« Er räusperte sich, öffnete sein Notizbuch und zückte einen Stift. »Ihr Name?«

      Henrik schaute ihn misstrauisch an. »Was soll das heißen: mein Name? Ihr Kollege hat doch meinen Personalausweis in der Hand.« Er zeigte auf Wagner und vermied dabei jede hastige Bewegung, die erneut zu Schmerzen hätte führen können.

      Bauer räusperte sich erneut. »Die Fragen stellen wir. Ich darf Sie jetzt bitten zu kooperieren und mir zu antworten.« Seine Worte klangen unwillig, fast schon unfreundlich.

      »Na gut, Marshall Dillon. Immer locker bleiben.« Henrik setzte zu einem Grinsen an, gab den Versuch aber schnell mit einem leisen Stöhnen wieder auf. »Mein Name ist Henrik Wanker, geboren am dreiundzwanzigsten November 1985, Sternzeichen Schütze, Schuhgröße dreiundvierzig. Ich liebe Französisch und Fesselspiele. Alles kann, aber nichts muss …«

      Der Polizist Wagner stand langsam und bedächtig von seinem Stuhl auf und beugte sich so nah zu Henrik hinunter, dass diesem der üble Mundgeruch des Beamten entgegenschlug – Mettbrötchen mit Zwiebeln.

      »So, du Spaßvogel«, flüsterte Wagner drohend, »du bist jetzt ein lieber Junge und hörst mit deinem Blödsinn auf, oder ich stopfe dir dein Pinkelfläschchen mit dem noch warmen Inhalt ins Maul.« Wortlos setzte sich Wagner wieder auf seinen Platz.

      »Okay, okay …« Henrik drückte eingeschüchtert seinen Kopf so weit wie es ging ins Kissen zurück. »War nicht so gemeint. Ich gebe jetzt ordnungs- und wahrheitsgemäß meine Anzeige zu Protokoll, Special Agent Bauer. Also, es war so …« Henrik wollte zu einer folkloristischen Schilderung des Überfalls in der vergangenen Nacht ansetzen, aber er wurde von Bauer unterbrochen. »Wir wollten uns eigentlich mit Ihnen vor allem über die Anzeige gegen Sie unterhalten, Herr Wanker.«

      »Hä? Was soll das denn heißen?« Henrik war fassungslos.

      »Es liegt eine Anzeige wegen nächtlicher Ruhestörung vor. Ein Anwohner hat sich beschwert.« Ohne während des Sprechens den Blick zu heben, kritzelte der Beamte Notizen aufs Papier.

      »Ruhestörung?« Henriks Empörung ließ ihn seine schmerzenden Rippen und den dröhnenden Kopf fast vergessen. »Ich wurde von drei beschissenen Zombies fast zu Tode geprügelt und ihr Staatsschergen sagt dazu Ruhestörung? Wie nennt ihr es dann, wenn jemand vor den Zug geschmissen wird? Gefährlicher Eingriff in den Schienenverkehr?«

      Wagner wollte sich wieder von seinem Stuhl erheben, doch Bauer gab ihm ein Zeichen sitzen zu bleiben. »Beruhigen Sie sich bitte, Herr Wanker«, sagte er. »Wir sind sonst gezwungen, Sie aufs Revier vorzuladen. Also: Was haben Sie gestern Abend in der Molocco-Bar gemacht?«

      »Kola getrunken«, antwortete Henrik.

      Bauer und Wagner sahen sich an. Wagner schüttelte verächtlich den Kopf.

      »Was passt Ihnen an meiner Antwort nicht?«, knurrte Henrik. »Kann ein rechtschaffener Bürger nicht nach getaner ehrlicher Arbeit ein belebendes Getränk in einem angesehenen Lokal der Stadt zu sich nehmen?«

      Bauer blickte ihn emotionslos an. Seine Stimme hatte allerdings an Schärfe gewonnen, als er antwortete: »Erst einmal, Herr Wanker, ist dieses ›angesehene Lokal‹ ein Umschlagplatz für Drogen und Hehlerware. Zweitens bestehen berechtigte Zweifel daran, dass es sich bei dem ›belebenden Getränk‹ um Kola gehandelt hat. Aber in dieser Hinsicht werden uns sicher Ihre Blut- und Urinproben weiterhelfen. Drittens wurde der ›rechtschaffene Bürger Wanker‹ bereits einmal wegen unerlaubten Drogenbesitzes während einer Razzia in dem angeblich angesehenen Lokal festgenommen. Und viertens …«

      Henrik fühlte sich, als könnten Bauers Blicke ihn in Asche verwandeln. Was kam jetzt? Er schluckte.

      »Viertens waren Sie, nach Angaben von Zeugen, in Begleitung eines minderjährigen Jungen, in der eindeutigen Absicht, diesen zu verführen und sexuelle Handlungen an ihm vorzunehmen. Als Sie mit Ihrem Opfer auf dem Nachhauseweg waren und die Zeugen Sie zur Rede stellen wollten, sind Sie gewalttätig geworden, sodass sich die Zeugen in einer Notwehrsituation befanden.«

      Henrik wurde plötzlich speiübel und schwindlig. Aber Kotzen hätte bei seinen gebrochenen Rippen sicher sehr weh getan. So beschränkte er sich auf ein kurzes Würgen. Ermattet und hilflos lag er in den Kissen. »Und was sagt der Junge zu all dem?«, fragte er vorsichtig.

      Bauer räusperte sich verhalten. »Das ist das Problem. Er ist ja weggelaufen. Darum fragen


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