Malessa macht Urlaub. Andreas Malessa
reisen“ ist schwer. Diese Tatsache leichtzunehmen und sich mit einer Prise Selbstironie darüber lustig zu machen, macht leicht. Und heiter. Und hell.
Bitte schön. Würde mich freuen.
Andreas Malessa
Abschied
Sie wundern sich, warum ein Urlaubsgeschichten-ABC mit „Abschied“ beginnt? Weil sich viele Männer und Frauen von Schreibtischen und Arbeitsplatten erst dann beruhigt verabschieden, wenn dort alles abgearbeitet ist. Abartig vieles. Vor dem realen Abfahren kommt das mentale Abfahrenkönnen.
Nur noch schnell diese eine Geburtstagskarte, diese zwei Überweisungen, diese unaufschiebbaren drei Telefonate, diese vier wichtigsten Antwortmails! Vielleicht sind die letzten Arbeitstage vor dem Urlaub die effizientesten in der Jahresleistung eines Berufstätigen. Hat das denn noch kein Institut mal untersucht? Je schlechter das Betriebsklima in einer Firma ist, umso hektischer wird der Kurz-vor-Urlaub-Fleiß: „Den Arbeitsplatz sauber zu verlassen“ ist meist eine notwendige Sicherheitsmaßnahme, damit die Urlaubsvertretung nichts Missverständliches vorfindet. Oder gar Fragwürdiges entdeckt. Wär’ doch blöd, wenn die hinterlassenen Papierstapel reichlich Stoff für den Teeküchen-Tratsch der lieben Kollegen böten …
Du weißt, dass die Abfahrt in den Urlaub bevorsteht, wenn es tagelang weder Salat noch Gemüse gibt. Wenn sich Obst, Eis, Kuchen, ja sogar Brot, Wurst und Käse still verabschiedet haben, weil „die Reste verschimmeln würden, bis wir wiederkommen“. Und weil man ja keine Lebensmittel wegwerfen will. Also jedenfalls nicht in Mengen. Der Urlaub naht, wenn man lernt, dass Fliegenlarven Madenheere erzeugen, dass Lebensmittelmotten selbst in eingetupperte Grundnahrungsmittel dringen und dass es Schimmelbefall in den Variationen blau, rosa und pelzig gibt. Die Ferienabreise rückt heran, wenn von den Pflanzen der Wohnung nur noch als Opfer gesprochen wird. Als Opfer möglicher Verwahrlosung. Wenn sie entweder vertrocknen oder ertrinken oder verfaulen oder einfach vereinsamen könnten.
Aber während die Gespräche sorgenvoller, die Mahlzeiten karger und die Portionen kleiner werden („mach nichts Neues mehr auf, ja?“), wird die Wohnung immer schöner! Selten im Jahr – die Vorweihnachtstage mal ausgenommen – wird so gründlich gesaugt, so viel gewischt, so energisch gewienert, geräumt und geordnet wie an letzten Tagen vor dem Urlaub.
Dass der Kompost entsorgt werden muss, leuchtet selbst Männern ein. Aber warum Fenster geputzt, Gardinen gewaschen, Teppiche ausgeklopft, Bettwäsche gewechselt und Regale abgestaubt werden müssen, bleibt ein Geheimnis zwischen den Geschlechtern.
Der Start in den Urlaub lässt in manchen Familien sogar Wunder geschehen: Zeitschriftenstapel schrumpfen, CDs finden in ihre richtigen CD-Hüllen zurück, Altglas und Altpapier verschwinden, kaputtes Spielzeug und defekte Computerhardware landen endlich, endlich im Metallschrott.
Wann ist das Ziel dieser verdichteten, geradezu explosiven Häuslichkeit erreicht? Das sollten Unbeteiligte – mehrheitlich Männer und Kinder – besser nicht fragen. „Die Wohnung tipptopp hinterlassen“ ist ein evolutionärer Prozess wie die Schöpfung Gottes. Nie ganz abgeschlossen. Allerdings muss ich einschränken: Den Seufzer „So! Jetzt müssten wir nur noch die Raufaser streichen. Wollen wir nicht zwei Tage später fahren?“ – den halte ich für ein antifeministisches Gerücht. Glaub ich nicht. Hat keine Frau je gesagt. Aber dass Männer schon gefragt haben: „Warum ist unsere Wohnung immer dann am saubersten, wenn sie niemand sieht?“ – das weiß ich aus zuverlässiger Quelle.
Vielleicht gibt es nur zwei Methoden, den mühselig langen Abschied vor der Abreise abzukürzen, das zwanghafte Erfüllen von Aufräum- und Putz-Pflichten zu beenden. Eine ist einfach. Die andere ist radikal:
Fahren Sie mit dem Wohnmobil in einen Campingurlaub. Dann nämlich räumen Sie alles Unaufgeräumte aus der Wohnung in den Wagen, stopfen alle Vorräte und Lebensmittelreste in den Kühlschrank – und fahren ab.
Oder: Stellen Sie sich vor, in den nächsten zwölf Stunden zu sterben.
Was wäre, wenn Sie alles Kleine und alles Große, den banalen Krimskrams und die wichtigen Familienthemen, die Essensvorräte und die Versöhnungswünsche, den Glauben, die Hoffnung und die Liebe unvollendet, unerfüllt, halbfertig und unerledigt hinterlassen müssten. Wenn Sie Psalm 90, Vers 12 ernst nähmen:
„Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden.“
Dieser Abschied kommt. So viel ist sicher.
Braun werden, aber schnell
Ich habe einen Traum“, hatte der schwarze Bürgerrechtler Martin Luther King am 28. August 1963 in Washington vor 250.000 Demonstranten gerufen. „Ich habe den Traum, dass meine Kinder eines Tages nicht mehr nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilt werden!“
Roswitha beurteilte ihre Kinder immer noch nach der Hautfarbe. „Wie blass du wieder aussiehst!“
Nicht aus Rassismus tat sie das. Aus reiner Fürsorge. „Geh doch mal an die frische Luft! Hock nicht immer vor dem Computer! Wo kommen denn diese Pickel und Pusteln her?“ Von der Pubertät, könnte man meinen. Aber nein: „Wir müssen mehr vegetarisch kochen, mehr Obst essen, mehr Sport treiben, mehr nach draußen!“
Wolf-Rüdiger, ihr noch neunundvierzigjähriger Mann, wäre auch lieber nach seinem Charakter beurteilt worden. War ein müdes Hellgrau seine vorherrschende Gesichtsfarbe, warnte ihn Roswitha vor baldigem Burn-out-Syndrom. Kam er mit geröteten Wangen und Ohren aus dem Büro, befürchtete sie Bluthochdruck und Herzinfarkt.
Es ist eigenartig: Noch immer gilt „knackebraun nach Hause kommen“ als untrüglicher Beweis für einen glücklichen, gelungenen Urlaub. Egal, wie astronomisch hoch die Sonnenschutzfaktoren der Cremes und Öle noch werden und wie oft Hautärzte vor den Gefahren krebserregender Verbrennungen warnen – sonnengebräunte Haut ist nicht nur Schönheitsideal, sondern auch Statussymbol. Jahrhundertelang war klar: Das Dekolleté einer vornehmen Frau schimmert porzellanweiß, denn für die groben Arbeiten unter sengender Sonne hat sie natürlich Personal. Gebräunte Gesichter verraten den Bauern, die Magd und alle, die ihr Brot draußen im Freien verdienen müssen.
Heute signalisiert Hautbräune: Da hatte jemand das Geld und die Zeit, sich in die Sonne zu legen! War in einer Weltgegend, wo immer die Sonne scheint. Da hat eine Frau drei kleine Kinder, einen Teilzeitjob und keinen Mann, sieht aber wahnsinnig frisch und erholt aus. Ich packe das locker, ich bin souverän, ich bleibe entspannt, verkündigt ihr Teint.
Deshalb verblüffte es Wolf-Rüdiger, dass Roswitha kopfschüttelnd eine sonnenbankbraune Person betrachtete, als sie nebeneinander in der U-Bahn saßen. Eine junge Frau schräg gegenüber trug ein bauchfreies T-Shirt, obwohl sie beileibe nicht bauchfrei war. Roswitha fuhr mit der Hand an ihrem Körper entlang. Dorthin, wo mal eine Taille gewesen sein musste. „Rettungsringe sollte man nicht auch noch öffentlich präsentieren“, flüsterte sie, „und rot sind die Speckröllchen auch noch! Weil die Röhrenjeans so klemmt. Möchte nicht wissen, wie die im Bikini aussieht.“
Wolf-Rüdiger nickte. Ehrlicherweise hätte er sagen müssen: „Ich schon“. Aber was man nicht weiß, kann man sich ja denken, und so stellte er sich noch ein paar andere Hautpartien der freizügigen Bauchigen vor.
„Hörst du mir überhaupt zu?!“, hörte Rüdiger seine Frau fragen. Ein ehrlicher Charakter hätte jetzt „Entschuldige, nein“ geantwortet. Rüdiger aber sagte verdattert „Ja, klar“ und wurde dabei ein wenig rot.
Zu seinem fünfzigsten Geburtstag präsentierte Roswitha sie dann doch: ihre unstraffe, blasse, weitgehend nackte Haut. Auf Ibiza. Während einer Woche Strandurlaub in der preiswerten Nebensaison. Der war das Festgeschenk für ihren Mann. Von dem sie träumte, dass er knackebraun in den Berufsalltag heimkehren und als glücklich erholter, souverän entspannter Bonvivant beneidet werden würde.
Jede Art von fünfzigstem Geburtstag hatten die beiden schon mitgemacht: Rockkonzerte in zu kleinen Räumen (mit Tinnitus-Garantie, tagelang); kreatives gemeinsames Kochen unter Anleitung eines 5-Sterne-Chefs (der Knoblauchgeruch im Partyhemd überlebte