Dunkler Paladin. Cole Brannighan
– und doch starb er. Der Glanz seiner azurfarbenen Augen verblasste, während Schwester Irella ihm die Hand auflegte und die Worte des Lichts sprach. »Möge Euch die Goldmöwe auf ihren Schwingen davontragen.« Macht strömte durch ihren Geist, durch ihren Arm, durch ihre Fingerspitzen, nahm Schmerz und schenkte Frieden.
Irella straffte die Schultern. »Nichts darf durch dieses Portal hindurch«, murmelte sie, stand auf und eröffnete den Schlussakt ihres Lebens. Sie drehte sich um und musterte den Dunklen Paladin.
Er war abgestiegen und näherte sich ihr. Etwa dreißig Schwestern verteidigten noch das Portal gegen die Barbaren, der Rest war gefallen.
Irella mühte sich weder um das Richten ihres Umhangs, noch um die Metallteile, die ihr vom Plattenharnisch abstanden. Sie spie einen Klumpen Blut zur Seite und hob ihren Speer. Schwindel trübte ihre Sinne, doch dies war nicht die Zeit, sich der Schwäche hinzugeben. So lange ihre Beine sie noch zu tragen vermochten, würde sie Widerstand leisten. »Euer Schweigen betrübt mich!«, rief sie ihm über den Kampfeslärm zu.
Die Abendsonne glänzte auf der Klinge des Dunklen Paladins. Er lächelte Irella gequält an und schloss den Panzerhandschuh um den Griff seines Schwertes.
»Dunkelheit naht o Herr. Verleihe mir das Licht, um gegen sie zu bestehen«, betete Irella. Ihre Speerspitze flammte im indigofarbenen Feuer des heiligen Durhelian auf und verbannte die Schatten der Dämmerung.
Ihr Schildarm war gebrochen. Für Schmerzen hatte sie keine Zeit. Es gab lediglich das Portal, das es zu schützen galt. Nichts durfte es durchschreiten.
Hinter dem Dunklen Paladin stahl sich ein Knurren durch den Wind. Es war Reißzahn, sein Riesenwolf. Seine Lefzen zuckten zurück und entblößten ein Maul gespickt mit Todeswerkzeugen.
»ICH BIN KAMPFPRIESTERIN!« Flammen knisterten, als Irella den Speer wirbeln ließ.
Der Dunkle Paladin durschaute ihre Absicht und rannte los.
Es war zu spät.
Schwester Irella drehte sich zum Gewühl aus Rauchschwaden. Bevor der Dunkle Paladin sie erreichen konnte, schmetterte sie ihren Speer dagegen. Mit einer Schockwelle ließ die Portalmagie ihr Bewusstsein in Myriaden von Sternen bersten.
»Unser Leid vor dem Tode ist der Preis für das Leben, das wir gelebt haben. Oder ist es der Obolus, unsere Lider schließen zu dürfen?«
– Aus den Betrachtungen des Todes, Kapitel 1, Satz 1
Kapitel Eins
Bruderfeuer
Finn ritt auf seinem Schlachtross hinter der Kutsche von Exarch Gamrion her. Sein Hintern fühlte sich wie Brei an. So hatte er sich die Arbeit eines Kampfpriesters nicht vorgestellt. Bei der Initiation im Tempel war er durch die Flammen des Heiligen Durhelian geschritten und durfte seitdem im Dienste seines Glaubens wirken. Hätte er damals geahnt, dass unzählige Eskorten auf ihn warteten, hätte er nicht auf den Vorzug seiner Weihe gedrängt. Es war bereits die vierte Eskorte ohne Ereignisse und es wurde nicht besser. Er blickte hoch zum Himmel, der sein Trübsal verdichtete. Die Wolkendecke mäanderte in kieselgrau und ließ sich von der Herbstbrise treiben. Schwarzbirkenzweige am Wegesrand wippten und klagten über das Dunkel des Tages. Seit einer Woche war Licht Mangelware. Und das eklige Essen machte es nicht besser. Drei Tage hintereinander gab es Hannok, einen Resteeintopf von der Beschaffenheit eines Schuhsohlenpürees.
Finn strich sich das silbrige Haar nach hinten und prüfte den Sitz seiner Lahras. Das traditionelle Kurzschwert der Kampfpriester, das sich zum Speer ausfahren ließ, ruhte an seiner Hüfte. Zusammen mit dem Plattenharnisch, den Armschienen und dem Indigoumhang fühlte Finn sich ganz von der Tristesse seiner Aufgabe verschluckt. Mit Eskorten ließ sich kein Ruhm erlangen.
»He, Finn«, meldete sich Bruder Eferus. Er hatte zu ihm aufgeschlossen und drosselte den Galopp seines Gauls zum Trab. »Wollen wir heute wieder mit der Ehrengarde des Exarchen Zwölf und Eins spielen? Letzte Nacht waren mir die Karten gewogen.«
Finn sah ihn missmutig an. »Beim Heiligen, ich bin blank! Du hast gut reden, deine Börse ist dicker als dein Ego. Ich weiß, dass du betrügst, aber leider nicht, wie du es anstellst.«
»Ich? Nein, ich bin ein Kampfpriester. Betrug ist mir fremd. Ich übe mich in innerer Betrachtung«, ereiferte Bruder Eferus sich und ahmte mit hochgezogenen Brauen Großmeister Raukhar nach. Dabei versuchte er sich in einer Unschuldsmiene – ohne Erfolg. Mit den hohen Wangenknochen und der Falkennase ähnelte sein Gesicht einer Hohnmaske. Die Narbe von der linken Schläfe bis zum Kinn tat ihr Übriges.
»Du bist mir so teuer wie ein Bruder. Ein Bruder, dem die Unschuld so gutsteht wie einem Huhn ein Sattel«, bemerkte Finn.
»Ich weiß, die Eskorten zermürben. Obwohl ich nächsten Sommer dreißig werde, habe ich die Mühsal nicht vergessen. Auch ich musste Viehsegnungen, das Einsammeln von Lebensmittelspenden, Pilgerfahrten und Botengänge über mich ergehen lassen. Danach begannen die Eskorten. In fünf Jahren bist du auch dreißig Sommer alt, dann wirst du merken, dass man dem Ganzen auch etwas Gutes abgewinnen kann. Plane deinen Genuss. Er wird dir nicht auf einem Goldtablett serviert. Manche unserer Brüder vertiefen sich in Gebete, andere meistern sich in der Waffen- und Gesellschaftspflege. Oder folge meinem Beispiel, rede mit den Gardisten und Händlern, lausche ihren Geschichten, von denen eine obskurer ist als die andere. Gestern hat mir ein Leibgardist des Exarchen erzählt, dass Frauen aus dem Norden von Tilayndor alabasterweiße Haut haben. Das ist, als würdest du es mit einer Statue treiben.«
»Kampfpriester dürfen keine Frauen haben.«
»Wenn wir in Wranis sind, zeige ich dir die Mutter aller Dämmerhöhlen. Die haben Frischware, die dir bestimmt gefallen wird.«
»Hörst du mir überhaupt zu?!«
»Ich höre deine Worte, aber fehlen dir denn nicht die Vorzüge aus der Novizenzeit? Frauen, Pfeifen voll Dämmerkraut, Schwarzbier, all die Dinge, denen du durch dein Gelübde abgesagt hast.«
»Ich … ja, kann sein.«
»Also, überlass dem Heiligen das Heiligsein, gönn dir was. Deine Menschlichkeit macht dich aus, nicht die Litanei von Großmeister Raukhar.«
»Hm, dass … « Finn wollte zu einer Erwiderung ansetzen, doch Bruder Eferus brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.
»Riechst du das?«, fragte Eferus und schnüffelte. »Schwefel. Bleib wachsam, Bruder. Ich werde die Leibgarde des Exarchen warnen.« Eferus gab seinem Gaul die Sporen und schloss zu den anderen auf.
Finn blickte sich um. Was hatte seinen Bruder alarmiert? Schwefel? War das nicht ein Zeichen für … Finn kam mit seinen Überlegungen nicht weit. Krummlinge preschten aus dem Waldrand und griffen die Eskorte an. Mit ihren dämonischen Körpern, aus sich ständig verdrehenden Ästen und Zweigen, stellten sie die Parodie des Menschen dar. Mit jedem Schritt knackten und knisterten ihre Körper, als schleife man einen Baumstamm durch den Wald.
Eines der Pferde verlor aus Angst die Disziplin, bäumte sich auf und warf seinen Reiter ab.
»Schützt den Exarchen!«, brüllte Jar Delinweyn, der Hauptmann der Leibgarde.
Schwertstahl blitzte und Heiliges Feuer von Eferus Lahras flammte auf.
Finn hämmerte das Herz bis zum Hals und in seinen Ohren rauschte das Blut. Endlich ergab sich eine Gelegenheit, sich zu beweisen. Er zog seine Lahras und ein Druck auf den kleinen Hebel an der Parierstange ließ den Griff zum Schaft herausschnappen.
»Die Dunkelheit naht, o Herr, verleihe mir das Licht, um gegen sie zu bestehen«, betete Finn. Einen Lidschlag später erstrahlte die Klinge seiner Lahras im Indigofeuer des Heiligen Durhelian. Ohne zu zögern, stieß Finn seinem Pferd die Fersen in die Flanke und preschte in den Waldrand hinein. Brombeerdornen und Eschenzweige griffen nach seinem Umhang und seinen Haaren. Er scherte nach links aus und griff die Krummlinge von hinten an.
Einer