Dunkler Paladin. Cole Brannighan
Mann drehte sich im Sattel um. Er hatte die Ruhe weg. »Mit wem habe ich das zweifelhafte Vergnügen?«
»Ich bin Finn und wer seid Ihr, wenn ich fragen darf?«
»Jar Istram von Echterdingen. Und was führt Euch hierher?«
Er trug den Ehrentitel Jar, den nur die Helden des Königs im Stahlkreis erhielten. Dieser Mann war kein Niemand, auch dann nicht, wenn er sich selbst zerstörte. Sein Atem verpestete die Luft und peinigte Finns Nase. Die Fahne, die Jar von Saufingen vor sich hertrug, war nicht die seines Hauses. Es war nicht zu leugnen, dass dieser Mann seinen Absturz hinter sich hatte.
»Ich möchte nach Helinas«, antwortete Finn.
»Ah, zum Lichtfest, was?«
»Auch«, antwortete Finn einsilbig, da er das Interesse an dem gefallenen Jar verloren hatte. Zumindest gehörte dieser Mann nicht zum Heer der Scheinheiligen, die sich an Segenssprüchen ereiferten.
Jar Istram musterte ihn. Obwohl er sich mehr am Sattel festhielt und weniger darauf saß, zeugte der Glanz seiner Augen von Intelligenz. Er lächelte. »Sagt mal, Ihr kennt Euch nicht zufällig mit Frauen aus?«
»In der Regel haben sie zwei Brüste und parfümieren sich die Haare.«
Jar Istram schmunzelte. »Vinosch, halt mal kurz an, zeig unserem Gast das Biest.«
Mit einem Ruck kam die Kutsche zum Stehen. Ein untersetzter Junge in beigefarbenem Mantel sprang vom Bock. Auf seinem Ärmel glänzte Rotz, der zu seiner efeugrünen Leinenhose passte. Er zog die Nase hoch.
»Mein Herr, sie beißt«, jammerte er.
»Du verdammter Bastard, tu, was ich dir sage! Wie soll je ein Jar aus dir werden? Du taugst ja nicht annähernd zum Anwärter! Nur weil deine willige Mutter nicht zur Engelmacherin gehen wollte.«
Während der Jar seine Tirade weiter auswalzte, Hunde und Ziegen mit einbaute, zog der Anwärter den Kopf ein und band die Plane vom Wagen los. Als er sie nach oben aufrollte, kam ein Käfig zum Vorschein.
In der Ecke kauerte ein Bündel Elend. Sie hatte ihr Gesicht zwischen den Knien vergraben und trug eine Frisur, die selbst einen Wischmopp wie die neueste Mode am Hof von Tilayndor wirken ließe.
»Das ist eine Ausgekochte! Hat gestern Vinosch in den Fluss gestoßen, weil wir sie waschen wollten. Der Junge hat jetzt die Rotzseuche. In seinem Hohlschädel is’n Haufen voll Schleim. Nicht dass ihn das dümmer macht, aber sein Geschniefe nervt!« Jar Istram holte eine Flasche Wein aus der Satteltasche, zog den Korken mit den Zähnen heraus und genehmigte sich einen Schluck.
»Seid Ihr sicher, dass es eine Frau ist?« Finn hatte seine Zweifel, was er da sah, wirkte nicht menschlich.
»Beißt und beschwert sich so wie die Mutter von Vinosch, also ja.«
»Was ist ihr Vergehen?«
»Außer, dass sie’n Miststück is? Hat die Diebesgilde beschissen, wollte nichts abdrücken. Angeblich hat sie bei ihrer Festnahme einem Typen den Finger abgebissen. Sie könnte eine Hexe sein oder ein Wechselbalg.«
Finn wollte der Märchenstunde keinen Glauben schenken. Eine Hexe würde sich nicht mit einem Finger zufriedengeben, um dann in einem Käfig zu landen.
Ohne Vorwarnung warf Jar Istram seine Flasche gegen die Gitter. Ein Regen aus Wein und Scherben ergoss sich über die Frau, die keinerlei Reaktion zeigte.
»Wo bleibt Eure Ehre, die ein Jar besitzen sollte?«, warf Finn ihm mit geballten Fäusten vor.
Jar Istrams Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze. »Wer seid Ihr, dass Ihr mich über die Tugenden eines Jars belehren wollt? Der Stahlkreis machte mich zu dem, was ich bin. Kümmert Euch lieber um das Lichtfest!« Seine Hand wanderte an den Griff eines Schwertes, das an seiner Seite hing.
Finn richtete auffällig seinen Indigoumhang und hoffte, dass der alte Jar erkennen würde, wen er hier vor sich hatte.
Noch ein paar Sekunden behielt ihn der Jar im Auge, dann ließ er vom Schwert ab. »Macht, was Ihr wollt, Kampfpriester. Wenn Ihr sie anfasst, dann will ich dafür eine Jorvenkrone sehen. Es wird langsam dunkel, wir machen hier Halt. Ihr dürft an unserem Feuer sitzen, jede weitere Klinge ist in dieser Gegend willkommen. Die Reisewege sind nicht mehr so sicher, seit sich die Königstruppen in den Norden verzogen haben. Dämonen und durhelianische Geistliche treiben ihr Unwesen«, frotzelte Jar Istram, sattelte ab und band seinen Gaul am Wagen fest.
Sein Sohn sprang zurück auf den Bock und klaubte unter dem Kutschbock Steppdecken mit Rosenmotiv und Kissen aus Schafwolle hervor.
Finn überlegte nicht lange. Graf von Rotz, Herr von Saufingen – keine Segenswünsche, kein Geschleime. Solch gute Gesellschaft hatte Seltenheitswert.
Ein Frösteln riss Finn aus dem Schlaf. Trunken vom Schlummer griff er nach seiner Lahras, die sogar im Bett nur eine Armlänge von ihm entfernt lag. Nachtfrost hatte seine Steppdecke mit einer weißen Patina behaucht, da das Feuer bis auf die Glut heruntergebrannt war.
Graf von Rotz taumelte im Zwielicht der Glut durch das Lager. Finn rieb sich den Schlaf aus den Augen und blickte auf den nackten Hintern von Jar Istram, der sich sehr zum Unmut der Frau an der Käfigtür zu schaffen machte. Als er die Gittertür aufschlug, schrie sie auf und kauerte sich in einer Ecke zusammen.
Finn wusste nicht, ob der Mann eine oder zehn Flaschen gesoffen hatte, aber das ging entschieden zu weit. Er wickelte sich aus seiner Steppdecke und trat auf den Käfig zu, gewillt, die Sache zu beenden.
Graf von Rotz war am Lagerfeuer erstarrt und machte keine Anstalten, etwas zu unternehmen. Vermutlich, weil er zwischen der Not der Frau und dem nahenden Unheil für seinen Vater zerrissen war.
Finn zog seine Lahras.
Jar Istram bemerkte davon nichts oder wollte es nicht. Er zerrte an der Bekleidung seines Opfers und riss ihr das Wenige, das sie trug, in Fetzen. Mit einem beherzten Biss in seinen Arm entwand sie sich seinem Griff und stürzte dabei auf den Rücken. Bevor er sich aber über sie beugen konnte, trat sie ihm in die Nüsse, was ihm ein Grunzen entrang. Kurz danach schnappte sie nach seinem Schwert, zog es aus der Scheide und stieß es ihm in den Hals.
»Du verdammtes Stück … «, krächzte der Jar, griff sich an den Hals und ging zu Boden. Er konnte weder das Blut halten, das sein Leben davontrug, noch seine Würde, die mit seiner Hose gefallen war.
»Oh nein, oh nein, nein«, jammerte sein Sohn.
Finn blieb am Käfig stehen und betrachtete die Szene. Der Jar starb vor seinen Augen. Er tat ihm nicht leid, im Gegenteil. Aber der Säufer war kein Niemand. Der Mord an ihm war ein Verbrechen gegen die Gesetze des Königs der Jorvenlande. Kampfpriester durften in solch einem Fall ohne Anklage vollstrecken. Er richtete seinen Blick auf die Frau, auf deren Leib das Blut von Jar Istram in der Kälte dampfte. Die Kleidung hing ihr in Fetzen vom Körper. Mit Augen, in der Farbe von flüssigem Ocker, starrte sie ihm hasserfüllt entgegen. Ein Leben für ein Leben, das war Gerechtigkeit.
Finn drehte ihr den Rücken zu. »Nimm dir Kleidung und Proviant vom Wagen. Ich denke, dass Jar Istram es nicht mehr benötigen wird. Was mich angeht, ich war nie hier.« Dem Ganzen fügte er noch ein Schulterzucken hinzu.
Graf von Rotz starrte ihn an.
»Hast du etwas gesehen, Kleiner?«
»Ich … nein, ich habe nichts gesehen. Der Alte ist vom Pferd gestürzt und wurde von Wölfen gefressen – von Riesenwölfen!«
Finn war zufrieden, denn der Junge schien genug Verstand zu haben, um das Greisenalter erreichen und trunken vom Leben in der eigenen Pisse im Bett sterben zu können.
Ein metallisches Quietschen verriet Finn, dass die Gefangene den Käfig verlassen hatte. Sie sollte eine zweite Chance erhalten, da sie schließlich dafür gekämpft hatte. Hoffentlich erwartete sie ein anderes Schicksal, als die Gespielin eines Trunkenbolds zu werden.