14 Falken. Kathrin Schobel

14 Falken - Kathrin Schobel


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      »Das Taxi ist schneller als du.«

      »Dann fahr ich nüchtern nach Hause und du zahlst.«

      Das Taxi lässt keine Viertelstunde auf sich warten. Der Falke hat eine nervöse Ader in der Art, wie sie an dem Zipfel ihrer Jacke spielt und sich sichtbar Disziplin abringt, nicht nachzugeben und Bilder auf die beschlagene Fensterscheibe der Bar zu malen. Sie hätte sie wenigstens nach dem Alter fragen sollen, denkt Gwen. Die Kleine wirkt jünger als sie aussieht, aber spricht älter als sie vermutlich ist. Und hat sicher auch einen Namen. Vielleicht auch zwei. Gwen hasst das Wort “Grazie”, aber sie klebt unbemerkt an der Fremden wie eine Fliegenfalle an ihrer Schuhsohle und gibt ihr einen Hauch von rebellischem Adelsnachwuchs, sodass es Gwen nicht wundern würde, wenn ihr Nachname dreiteilig wäre.

      Ein Zücken der Polizeidienstmarke und Gwen wüsste ihn, Adresse, Alter und ihre genaue Augenfarbe, die je nach Licht zwischen einem verbrauchten Grün und einem seltsamen Bernsteinton variiert. Kleinigkeiten, die sie ärgern, weil sie sie nicht genauer bestimmen kann, aber vor allem, weil sie ihr auffallen. So wie das neue Gefühl einer völlig akzeptablen, subtextlosen Stille zwischen ihr und der jungen Frau. Nachdem Gwen ihre Getränke bezahlt und dem Barkeeper gutes Trinkgeld für das Bewachen ihrer Jacke gegeben hat, hat sie nur noch mit dem Taxiservice gesprochen. Seitdem beansprucht eine Zigarette ihre Lippen.

      »Und wessen Adresse ist das jetzt?«

      Gwen tritt die Stille ein wie eine offene Tür und macht deutlich, was er von den Märchen des Falken hält.

      »Na da, wo ich jetzt wohne.«

      »Und das wäre wo?«

      Münchhausen bläst nachdenklich die Wangen auf. »Bei einem Kumpel. Benjamin. Netter Typ, hat zwei Katzen in einer viel zu kleinen Wohnung, weil er dachte, die werden nicht so groß. Menkuns oder so. Jurastudent, Klugscheißer in Ausbildung.«

      »Hm.«

      Gute Improvisationsgabe ist eine Option. Dass sie die gleiche Nummer bei jedem dritten Flirt durchzieht, auch. Gwen schmälert die Augen und versucht, sich nicht davon nerven zu lassen, dass die Katzenexpertin an ihrem Anschnallgurt zupft. Ihn immer wieder ein Stück herauszieht und dann zurückschnellen lässt. Wie ein Maßband oder ein Staubsaugerkabel oder ein gottverdammtes Gummiband. Sie muss das eine Kind in einer Klasse voller Hochbegabter und Aufmerksamkeitsschwachen gewesen sein, das tatsächlich ADHS hat, aber ihr hat keiner geglaubt.

      »Benjamin wird begeistert davon sein, dass du so spät zurückkommst«, wirft Gwen ein.

      »Ach, der packt das schon.«

      Etwas vibriert. Bevor Gwen ihre tiefen Jackentaschen nach ihrem Handy durchsuchen kann, hat der Falke ihres schon herausgezogen und legt ein paar Sekunden theatralische Pause ein, bevor sie grinst.

      »Wenn man vom Teufel spricht. Eins von den Höllentieren ist beim Notdienst. Er weiß nicht, wann er wiederkommt und ich hab‘ keinen Schlüssel dabei.«

      Sie klingt vergnügt und Gwen ahnt, dass die Seriosität der Performance es vorhin nicht mal mit ihnen bis ins Bad geschafft hat.

      »Ach wirklich«, erwidert sie und schmiert so viel Subtext auf ihre Stimme, wie sie kann. Leute, die glauben, sie hätten sie am Haken, hat Gwen ja besonders gern. Besonders, wenn sie Recht haben.

      »Ich will nicht auf der Straße übernachten müssen... ich frage Bens Nachbarn oder so, dem alten Sack kommt es sicher ganz gelegen, mich in sein Bett zu lassen.«

      »Bist du auf irgendwas?«

      Gwen findet es beinahe putzig, wie schnell man der jungen Frau ansieht, wenn sie mit einer Frage nicht rechnet. Der Taxifahrer schweigt stoisch.

      »Auf irgendwas?«

      »Hast du was genommen?« Gwen gibt ihr einen abschätzigen Blick von der Seite.

      »Oh. Nein, ich rede immer so schnell.«

      Sie grinst breit. Weiße, gerade Zähne. Definitiv nicht mehr als eine Gelegenheitstrinkerin, wenn überhaupt. Und Raucherin schon gar nicht. Dafür riecht sie viel zu gut. Gwen hat das plötzliche Bedürfnis, an sich zu schnuppern. Aber vorerst würde sie ihrem Deo vertrauen müssen. Der Falke murrt noch einmal herzerweichend und Gwen kann und will sich nicht entscheiden, ob es sie nervt, sie amüsiert oder ob sie einfach nur Mitleid hat. Vermutlich, denkt sich Gwen grimmig, als sie dem Taxifahrer ihre eigene Adresse gibt, ist die Kleine auch einfach nur untervögelt. Eigentlich hasst Gwen dieses Wort, weil es klingt wie das Echo von jedem scheiß Klischee über Homosexuelle, das sie kennt, aber wieso würde sie mit so einem Spielkind nur für das hübsche Gesicht nach Hause fahren, wenn sie nicht auch... Gwen beschließt, sich vor sich selbst nicht rechtfertigen zu müssen.

      Der Taxifahrer murmelt ein »Nordstadt wird aber teurer« und wendet dann bei einer Tankstelle. Gwen hätte dem Falken das selbstzufriedene Schmunzeln am Liebsten schon sofort aus dem Gesicht gebissen.

      II

      Die Morgen am nördlichen Stadtende beginnen noch vor Sieben.

      Am Wochenende ist es bis tief in die Nacht laut. Gwen hat eine Wohnung an direkt der Hausecke, beeindruckender Ausblick auf einen winzigen Vorplatz, aber immer noch besser als eine Häuserwand so nah, dass man quasi nur die Fenster zu öffnen braucht, um sich mit den Anwohnenden eine Tasse Kaffee zu teilen. Von drei bis sechs ist es still. Dann, mit den ersten Sonnenstrahlen, melden sich verwirrte Singvögel und verirrte Betrunkene. Erstaunlich, dass es die hier überhaupt gibt. Vögel, meine ich. Wenn sie sich mit dem traurigen bisschen Grün in den vermüllten Straßen zufriedengeben, ist es schwer sich auszumalen, wie es wohl weiter Richtung Autobahn aussehen muss.

      Der Sex war gut.

      Nicht bahnbrechend, nicht Nachbarn-belästigend-laut, aber gut. Das Beste daran ist immer der Anfang, wenn die Ästhetik der Stadtnacht einen vorher in Benzin getaucht hat und man sich wie Streichholz an Streichholz aneinander reibt, bis man brennt, Stichflamme. Wenn man die Hitze nicht nutzt, lodert man danach alleine weiter und wenn man zu lange braucht, brennt man irgendwann aus, bevor man fertig ist. Wir haben keine Zeit mit geordnetem Ausziehen verschwendet, sondern unsere Klamotten willkürlich über Einrichtungsgegenstände verteilt, als ob die nicht hinsehen dürfen. Für so manche Einsiedelnde sollen Möbel ja wie Kinder sein. Gwens liebloser Ikea-Krempel ist dann eben wie die Zweckgeburt fürs Kindergeld.

      Sie spricht im Schlaf, ich nicht. Ich war wach zwischendurch und habe mich dicht über sie gelehnt, aber ich habe nichts verstanden außer “Ist das Ihr Hund?” und “Hol die Kartoffeln aus dem Ofen”.

      Ich glaube, sie wird wach, also stelle ich mich schlafend. Ich liege auf dem Bauch und bin bis zur nackten Hüfte bedeckt, wie in einem Hollywood Blockbuster. Sie schiebt die raschelnden Laken von sich und hievt sich aus dem Bett. Als sie ihre Klamotten zusammensucht, gibt sie sich nicht mal Mühe, leise zu sein, um mich nicht zu wecken. Jetzt pausiert sie. Ich blinzle und sehe nur, dass sie meine Hose in der Hand hat, bevor ich die Augen wieder schließen muss, weil mir eine Haarsträhne reinfällt. Creep. Sie geht geradewegs ins Bad. Kein Kuscheln, kein Kuss, kein Hauch von Morgenmundgeruch. Reimt sich fast. Sie schließt hinter sich ab. Bisher passiert nichts, mit dem ich nicht gerechnet habe. Aber wenn Gwen das schaffen würde, wäre das auch ein Kunststück.

      Sobald ich höre, dass sie die Dusche anschmeißt, schmeiße ich mich auch an. Ich schüttele mir faul die Decke vom Unterleib, setze mich auf und strecke mich. Weil Madame es gestern Abend nicht für nötig gehalten hat, das Licht anzuschalten, als wir uns in ihre Wohnung geküsst haben, habe ich keine Ahnung, wie es hier aussieht. Irgendwie habe ich leere Bierflaschen erwartet und einen Aschenbecher pro Kindergeld-Möbel. Aber je genauer ich mich umsehe, umso mehr Liebe fürs Detail erkenne ich in ihrer minimalistischen Dekoration. Kein Staub auf dem Fernseher, nichtssagende, aber farblich abgestimmte Bilder an der Wand und einer der Schränke fällt total aus dem Rahmen. Sieht aus wie eine Vintage-Kommode


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