14 Falken. Kathrin Schobel

14 Falken - Kathrin Schobel


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ihrer Affären. Sagen Sie ihr, ich bin die Geschäftsreise nach Osnabrück, sie weiß Bescheid.«

      Ich verschwinde.

      5

      Gwen bezahlt mürrisch 5,34€ für eine Brühe, eine Zeitschrift und eine Packung Kaugummi.

      Und wie sie da steht und darüber das Gesicht verzieht, hat sie das Bedürfnis, der Verkäuferin so etwas wie „damals hat das noch viel weniger gekostet“ zu sagen, aber sie ist zu jung für irgendein »damals«, das die blonde Mitt-Dreißigerin nicht kennt. Unzufrieden knobelt sie an den Kordeln ihrer Jacke. Sie ist khaki-farben und sieht ganz ordentlich aus, ist aber nicht ihre Lederjacke. Der Falke hat ihr binnen einer Nacht alles genommen, was ihr heilig ist. Ihre Jacke, ihre gute Laune, ihr Bargeld, das milde Wetter und ihr gutes Verhältnis zu ihrem Hausmeister, der aus irgendwelchen Gründen nur noch fassungslos den Kopf schüttelt, wenn er sie sieht.

      Der Pappbecher ist heiß, aber Gwens Finger sind kalt und sie spürt die Hitze erst langsam gegen die Gliederstarre gewinnen. Sie schließt die Augen. Prickelnder, brennender Schmerz kämpft sich durch die Haut ihrer Fingerkuppen. Und greift plötzlich beißend heiß den Rest ihrer Hand an, besonders die empfindliche Stelle zwischen Zeigefinger und Daumen, als jemand Gwen von der Seite anrempelt und einfach weiterhastet.

      Gwen zieht scharf die Luft ein, stellt ihren Becher zurück auf den Tresen und schüttelt sich das schon kalte Getränk von der Hand, bevor sie die Stelle ablutscht. Die Verkäuferin bietet ihr eine Serviette an, aber Gwen lehnt ab und sieht dem Wichser mit der Kapuze nach, der um eine Hausecke verschwindet und sich einen Scheiß für die Sauerei interessiert. Die Zeitschrift leistet ungebetene Beihilfe beim Putzen und saugt das braune Getränk in die hauchdünnen Seiten, die sie eigentlich noch lesen wollte. Zum zweiten Mal weist sie die Serviette ab und schnappt sich die Packung Kaugummi und das durchnässte Klatschblatt. Auf dem gewellten Cover lächelt ihr eine gefleckte, verzerrte blonde Z-Promischönheit entgegen. Vielleicht sollte sie noch Zigaretten kaufen, um ihre neue Jacke einzuweihen, aber sie müsste noch drei haben. Und die würden ihre Nerven alleine beruhigen müssen. Sie schiebt sich durch eine Gruppe Männer mit Arbeitshosen, die hinter ihr Schlange stehen und nippt im Gehen an ihrer Brühe. Das Zeug schmeckt, wie sich Gwen vorstellt, dass das Wasser schmeckt, das manchmal zurückbleibt, wenn sie den Restmüllbeutel aus dem Eimer nimmt. Sie entsorgt das widerliche Gebräu im nächsten Abfall. Nach kurzem Nachdenken wirft sie die Blondine hinterher. Ist besser so, Gwen wollte sowieso schon lange mit dem Promiklatsch aufhören, in ihrem Leben ist nur Platz für eine Sucht.

      Sie schluckt den Restgeschmack der Brühe herunter und spürt ihre Laune kippen, von der sie nicht erwartet hätte, dass sie noch schlechter werden kann. Scheinbar hat ihr Unterbewusstsein mehr von dieser Suppe erwartet, als Gwen klar war. Kraftspende, guter Geruch, das warm-wohlige Gefühl von Krank-sein-bei-Oma oder wenigstens ein brauchbarer Geschmack. Gwen schiebt ihre Hände in die Hosentaschen.

      Sie kommt vom Land. Eines der ersten Dinge, die sie sich in der Großstadt angewöhnt hat, ist der unbarmherzige Scheuklappenblick, der den anderen Passierenden unmissverständlich klar macht, dass “Ausweichen” nicht zu Gwens Wortschatz gehört. Man macht ihr bereitwillig Platz. Sie hasst diese Tage, an denen es wirkt, als würden ihr alle entgegenkommen, aber niemand in ihre Richtung gehen.

      »Hast du mal Feuer?«

      Gwen erschreckt sich und flucht leise. Der Berufsreflex zieht ihre Muskeln zusammen und sie erwartet, dass ihr Betrunkene ins Gesicht springen oder Jugendliche versuchen würden, Gwen um ihr Bargeld zu erleichtern, damit sie ihnen dann höflich erklären kann, dass schon jemand schneller war, bevor sie ihnen ihren Dienstausweis zeigt. Es ist tatsächlich eine junge Person, aber sie ist allein. Die Kapuze über den braunen Haarschopf gezogen und langbeinig an die Mauer gelehnt wie ein verdammtes Grunge-Model. Und in der Hand hält sie eine zerknitterte Packung Marlboro Gold, aus der drei Zigaretten ragen. Gwen zuckt zu ihren Hosentaschen und klopft sie ab, obwohl sie weiß, dass sie nichts finden wird.

      »Du kleine Ratte«, flucht sie, greift nach den Zigaretten, aber fasst ins Leere.

      Sofort untersucht sie die Diebin auf ihre Jacke, aber die trägt eine alte Jeanskutte mit grauen Stoffärmeln. Abschätzend verfolgt sie Gwens Blick ihren Oberkörper entlang und kommt zu dem falschen Schluss, denn sie grinst anzüglich.

      »Nah, wenn du eine Kippe willst, musst du schon höflich fragen, Gwendolin Lorenz.«

      Gwen erstickt ihre letzten Worte fast, als sie sie am Kragen packt.

      »Du-« Sie unterbricht sich. »Dann lass mich mal höflich nach der Kohle fragen, die du mir geklaut hast. Und woher kennst du meinen Namen?«

      Der Falke macht ein paar müde Versuche, sich aus Gwens Griff zu winden. »Kohle? Glaub mir, ich bin eine ehrliche Haut, ich war nicht an deinem Portemonnaie!« Sie hebt verteidigend die Hände. »Und deinen Namen habe ich auf deinem Perso gelesen. Kein sehr einprägsamer Nachname übrigens, du solltest den umschreiben lassen. Was hältst du von Biedermann?«

      Das Gesicht der Kleinen ist auf einmal noch viel, viel reizvoller als am ersten Abend. Findet jedenfalls Gwens Faust. Das Gesicht faselt etwas von Dienstausweis und Gwen hätte ihr gerne gesagt, dass sie das nicht aufhält. Im Gegenteil, mit so einem Wisch in der Tasche glauben die auf dem Revier einem viel, und anscheinend rechnet die Diebin nicht damit, dass Gwen diese Macht missbrauchen würde. Obwohl Gwen sehr versucht ist, ihr auf der Stelle das Gegenteil zu beweisen, verzichtet sie auf das unnötige Risiko, packt den Arm des Ungeziefers und treibt es weiter in die Seitengasse, vorbei an drei schmalen Türen zwischen zugepissten Wänden und Mülltonnen. An einer besonders stinkenden Stelle drückt sie den protestierenden Falken an die Wand.

      »Jetzt pass mal auf, du Kakerlake. Ich rede von meinem Bargeld, 250€ in Scheinen, frisch aus meinem Geldbeutel. Klingelt‘s?«

      Zu Gwens Überraschung hellt sich die Miene des Käfers auf, als sie den neuen Spitznamen hört. Gwen gefällt das auch viel besser als „Falke“. Falken sind stolz und frei und teuer, ganze Verbände kämpfen für ihren Erhalt und sie werden von Ölscheichs in den arabischen Emiraten als noble Haustiere gehalten. Kakerlaken gibt es überall und sie sterben nicht, wenn man nicht beherzt genug drauftritt.

      »Ach, die Kohle. Richtig, da war was.« Ihr schelmisches Lächeln gefällt Gwen nicht. »Sieht aus, als ob wir beide etwas hätten, was die andere möchte.«

      »Ist das so?«, fragt Gwen, obwohl sie die Antwort darauf schon kennt. Was sie von ihr hat, verziert den Mülleimer im Badezimmer von Innen mit einer hübschen Schicht Feinstaub.

      Die schmale Adelsnase kräuselt sich.

      »Es ist – schwer, sich zu unterhalten, wenn man gewürgt wird.«

      Gwen spürt die Wut in ihrem Bauch kochen. Sie ruft ihre magmatischen Ausläufer zurück, die durch ihre Knöchel zucken, drückt das Stück fleischgewordene Dreistheit noch einmal so hart gegen die Wand, dass ihr ihre Kapuze vom Kopf rutscht und ihre Brille schief liegt und lässt sie dann los. Das Fleisch hustet und reibt sich theatralisch die Schlüsselbeine unter dem T-Shirt. Dünner Stoff schiebt sich über ihre Knochen, über ihre Haut und die Schatten von älteren Spuren, die noch von Gwen stammen.

      »Besser«, keucht sie dann und hält Gwen die Marlboro Gold hin. »Zigarette zum Runterkommen?«

      Gwen fehlen die Worte. Sie manifestiert das in einen bösen Blick und ertappt sich, wie sie sich einen Stängel schnappt, anstatt der Gossenprinzessin zu zeigen, wo ihr Platz ist. Mürrisch kramt sie nach ihrem Feuerzeug, findet es schnell in den viel zu schmalen Taschen und zündet ihre Zigarette an, bevor sie ihrem Gegenüber fragend zunickt. Der Falken-Kakerlaken-Wolpertinger hebt ablehnend die Hand.

      »Oh, nein danke, ich rauche nicht.«

      Gwen prustet und möchte darüber höhnisch schmunzelnd den Kopf schütteln, aber es wird ein Lächeln daraus, schmal und irgendwie warm. Gwen schiebt es dieses Mal dankbar


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