14 Falken. Kathrin Schobel
Der Falke geht einen Schritt auf Gwen zu.
Gwen spannt sich schon an, aber sie schiebt nur die Zigarettenpackung mit flinken Taschendiebfingern zurück in Gwens Jacke, bevor sie sich wieder an die Wand lehnt. »Lustige Geschichte. Nachdem wir deine Nachbarn belästigt haben, bin ich nach Hause gegangen, meinen Kumpel Kit treffen. Wir wollten Brownies backen. Aber schau einer an, da hat mir mein Spezialbackpulver gefehlt. Kit hat sich wirklich geärgert.«
»Schade für Kit«, antwortet Gwen trocken, aber kann den herausfordernden Blick nicht halten. Sie starrt auf die Restmülltonne neben sich und hat das plötzliche Bedürfnis, den Großkotz kopfüber reinzustecken.
»Ich mache dir einen Vorschlag«, fährt der unbeirrt fort, »du kriegst zurück, was von deinen Mücken noch übrig ist und ich kriege zurück, was von meinem Zeug noch übrig ist. Klingt fair, oder?«
Gwen muss unmittelbar schnauben und starrt dem Parasiten auf den Mund. »Ich habe eine bessere Idee. Du gibst mir meine kompletten 250 und meine Jacke zurück und ich zeige dich nicht wegen Diebstahls und Drogenbesitzes an. Klingt fair, oder?«
»Wir können das sicher so kombinieren, dass wir beide glücklich sind«, versucht die Diebin es noch mal. Erfolglos.
Gwen seufzt bassig und zieht an ihrer Zigarette. Sie beschließt, ihre beste Karte zu spielen. Das tut sie ungern, weil sie nicht will, dass andere Leute denken, sie sei über Vitamin B an ihren Job gekommen, aber manchmal tut es Not, und dann gehen ihr die Worte immer mit einer gewissen Befriedigung über die Lippen.
»Mein Vater ist Bezirkschef bei der Polizei.«
Sie pustet genussvoll den Rauch in die plötzliche Stille, die sich in der Gasse ausbreitet. Gern würde Gwen das nutzen, um einen Blick die Hauswände hoch zu werfen, falls sie von geflügelten oder gepanzerten Freunden des Falken belauscht werden, aber sie weiß genau, dass die größere Gefahr direkt vor ihr steht. Ein wenig ist Gwen gespannt auf die Reaktion der Silberzunge. Und die lauert schon hinter den listigen rissigen Lippen.
»Echt jetzt? Mein Beileid.«
Gwen ist ehrlich perplex darüber, überhaupt eine andere Antwort als einen wirklich schlecht formulierten Bestechungsversuch zu erhalten.
Die Prinzessin stößt sich von der Wand ab. »Dann hab‘ ich ja schon verloren, der hat dir bei der Geburt bestimmt eine Wanze in den Arsch geschoben.«
»Wäre ihm zuzutrauen. Und jetzt nenn‘ mir einen guten Grund, warum ich dich nicht sofort festnehmen sollte«, murmelt Gwen misstrauisch und sieht dem fleckigen Jackenrücken hinterher.
Der Falke rennt nicht. Im Gegenteil.
Sie bleibt stehen, noch gute drei Meter vor Ende der Sackgasse, zieht die Kapuzenjacke aus und wirft sie achtlos in eine der Mülltonnen. Gwen sieht, wie sich sofort Gänsehaut auf ihren nackten Armen ausbreitet.
»Weil du mich interessant findest.«
»Bitte? Ich hab‘ mich wohl verhört.«
Irgendetwas hat sich verändert. Es liegt in der Luft, und obwohl es sich wie ein Band aus Seide zwischen dem Falken und ihr zusammenwebt, tut es leider nichts gegen den Gestank. Die Seide wird zum Draht. Der Draht wird zum Stromleiter. Der Strom zu Worten.
»Es ist doch so, lieber Watson«, beginnt der Gnom und dreht sich gönnerhaft gestikulierend auf der Ferse zu Gwen. »Die simple Deduktion erleichtert uns das sachdienliche Lesen von Menschen. So lassen sich bezüglich unserer Person X deutliche Indizien finden, die da seien, dass diese die Polizei nicht schon längst eingeschaltet hat, meiner Person nicht das Nasenbein gebrochen wurde und man mir nicht zuletzt wie selbstverständlich folgt, während ich rede. Elementar.«
Gwen muss sich konzentrieren, denn die Ratte redet schnell, während sie rückwärtsläuft. Die Art, wie sie spricht, ist ein grotesker Hybrid aus zwei Dingen, die Gwen kennt: das überhebliche Gesäusel von Schwerverbrechern in den Momenten, in denen sie sich unbesiegbar fühlen und das mechanische Bandgespule einstudierter Falschaussagen von Zeugen, die sie Wort für Wort bei jeder Befragung wiederholen, bis jemand in genau dieser Perfektion den einzigen echten Fehler entdeckt. Gwen setzt den Inhalt der Worte in ihrem Kopf zusammen und stellt mürrisch fest, dass die Schabe zumindest mit dem letzten Part des Monologs recht hat. Als würde sie jemand von hinten schieben, stemmt sie ihre Füße in den Boden und bemüht sich um eine schlagfertige Antwort.
»Weißt du, was du übersehen hast, Sherlock?«, beginnt sie und weiß jetzt schon, dass ihre ungeübte Zunge nicht einmal halb so gut kontern kann, wie es nötig gewesen wäre. »Dass du meine Kohle immer noch nicht rausgerückt hast. Vielleicht, aber auch nur vielleicht, ist das der Grund, warum ich dir folge.«
Der Strom wird zum Draht. Der Draht wird zu Stahl. Der Stahl wird zum Messer.
»Du wolltest doch einen Grund, mich nicht zu verpfeifen, richtig?«
Ihr Ton macht Gwen noch misstrauischer, als sie sowieso schon ist. Er war eine offene Einladung. Jetzt ist er eine Drohung.
»Sag bloß, du hast mein Geld hier im Dreck versteckt?«
»Kann man so sagen«, antwortet der Falke und zieht einen Mundwinkel hoch.
Gwen fällt erst jetzt auf, dass sie etwas in der Hand hat. Das Bündel Papier sieht nicht gefährlich aus, aber in etwa 250€ wert. Keiner von beiden rührt sich.
»Wenn du jetzt da raus rennst, muss ich nur rufen, hier sind drei aus meiner Wache auf Streife«, lügt Gwen drohend und sucht in der Körperhaltung des Gegenübers nach Anzeigen von Fluchtreflexen. Die Prinzessin zeigt keine.
Für einen Moment fühlt sich Gwen, als könne sie einfach auf sie zu spazieren und ihr das Geld aus der Hand nehmen. Aber sie kennt das hochnäsige fliegende Kriechtier besser. Wenn der Falke etwas plant, hat sie ein geübtes Pokerface, aber ein Feuer in den Augen so klar, dass Gwen sich ihre Zigarette daran anzünden könnte. Die, die sie schon angesteckt hat, erinnert Gwen schmerzhaft an ihre Existenz. Sie zieht die Luft ein und lässt den abgebrannten Stummel auf den feuchten Stein fallen. Der Falke will diese Chance nutzen und rauscht an ihr vorbei, aber Gwen hat sie am Arm gepackt, bevor sie sich in Sichtweite der Passanten werfen kann. Sie hat die Kleine herumgewirbelt, bevor sie an ihr vorbei aus der Sackgasse sprinten kann. Und sie will ihre Hand auf ihrem Mund haben, bevor sie um Hilfe rufen kann, aber hat stattdessen einen grinsenden Mund auf ihrem eigenen. Ihr rechter Arm stößt die Ratte von sich, aber die Linke hält sie fest, was darin endet, dass ihr Gesicht Gwens Faust mit einem schwungvollen Rückstoß entgegenkommt.
»Ah – Scheiße!«, flucht sie und presst sich beide Hände auf die Nase. Gwen sieht, wie sich das Geld langsam mit Blut vollsaugt und greift schnell wie ein Raubvogel nach den Scheinen, ohne Erfolg. Die Schabe entkommt ihr und zieht die Nase hoch, und Gwen fragt sich, wie viele Tierspitznamen sie für die Diebin wohl noch finden kann. Die eilt schnell und leise zum Ende der Gasse. Wiesel.
Gwen sprintet grobmotorisch hinter ihr her, erwischt beinahe den Zipfel ihres T-Shirts, aber wird abgehängt, als die Prinzessin über zwei Mülltonnen klettert und sich auf ein Vordach schwingt. Straßenkatze.
Gwen flucht, doch ist machtlos. Nicht, dass sie den Weg auf die Steinmauer nicht schaffen würde. Aber sie würde länger brauchen und weiß nicht, was sie dahinter erwartet. Das blutende Miststück dagegen scheint sich bestens auszukennen. Stadtratte.
So gut, dass sie Zeit findet, sich auf der Mauer stehend beinahe lasziv das Blut von der Oberlippe zu lecken.
»War nett. Für‘s nächste Mal brauchen wir aber dringend ein Safe Word.«
Gwen wünscht sich, sie hätte dem Drang mit der Restmülltonne nachgegeben und antwortet mit einem Mittelfinger. Die Kleine macht einen Salut, verschwindet hinter der Mauer, und Gwen würde auf der Stelle anfangen, an Gott zu glauben, wenn der dafür sorgen würde, dass der Falke auf der anderen Seite nicht mehr lebendig ankommt.
5 I