Das Ketzerdorf - In Ketten. Richard Rost
dich an den vornehmen Herrn, ich glaube, er hieß Castranova, der damals den Meister überreden wollte, kurze und leichte Gewehre für den Einsatz bei der Kavallerie herzustellen?«
»Ach, Raymund, das weiß doch jedes Kind, dass der Lauf über die Zielgenauigkeit entscheidet. Der vornehme Herr hat sich hier nie wieder blicken lassen«, erwiderte Jos und gähnte gelangweilt.
»Dann muss der Lauf halt angepasst werden. Die Franzosen schießen seit einigen Jahren mit Kurzgewehren, du hast sie doch letztes Jahr auf der Rosenau mit eigenen Augen gesehen.«
»Jetzt sind wir mit unseren Hakenbüchsen so weit gekommen, dass man sie einigermaßen zuverlässig nennen kann, dann kommst du mit einem Kurzgewehr daher. Das wird dem Meister gar nicht gefallen. Er hasst diese Franzosengewehre, weil sie ihm all die Probleme mit der Genauigkeit wieder zurückbringen.«
»Marco, der Italiener aus Brescia, den ich vor einigen Tagen im Zeughaus getroffen habe, hat mir von derselben Entwicklung aus Italien berichtet. Überall wird auf handliche Kleingewehre umgestellt, die schnell gezogen und abgeschossen werden können. Nur hier, in der verstaubten Werkstatt unseres Meisters, will man davon nichts wissen. Egal, ich werde mein Gesellenstück mit einem kurzen Lauf ausstatten, das habe ich seit Langem beschlossen.«
»Und der Meister?«, fragte Jos besorgt.
»Der Meister? Vergiss ihn! Mit dem kommen wir nicht weiter!« Raymund setzte sich auf. »Ich muss dir etwas gestehen, Jos. Ich weihe dich jetzt in ein Geheimnis ein«, flüsterte er und schielte zur Tür. »Es wird zwei Läufe geben. Ich fertige den eigentlichen, völlig neuartigen Lauf beim Goldschmied Altenstetter an. Aber das darf niemand wissen. Ich drehe den Stahl um einen Dorn. Das verleiht dem Lauf innen Windungen und die Kugel dreht sich beim Schuss. Du wirst sehen, dass sie dadurch viel genauer ins Ziel kommt. Es wird vor der Brennkammer ein Gewinde geben, an dem man den Lauf schnell abschrauben kann. Den anderen Lauf fertige ich mit dir zusammen auf herkömmliche Art mit der Naht auf der Unterseite in unserer Werkstatt. Mit dem Meister habe ich darüber nicht gesprochen; die Aufsicht über die Lehrbuben hat sowieso der Obergsell. Das Risiko, dass die Waffe nicht von der Kommission zur Lossprechung taugt, liegt also bei mir ganz allein. Es arbeitet doch ohnehin jeder selbstständig an seinem Prüfungsstück.«
Jos schien plötzlich wieder hellwach. »Immer langsam mit den jungen Pferden, mein lieber Freund! Das glaubst du doch selbst nicht, dass dir der Obergsell dieses Gewinde genehmigt? Du musst ja irgendwie den Zweck erklären können, der diesen Einbau notwendig macht.«
»Es wäre doch gar nicht schlecht, wenn man den Lauf zum Säubern abnehmen könnte. Das sind praktische Gründe, die nichts mit der Zielgenauigkeit zu tun haben, und am Ende entscheidet ja schließlich die Kommission, ob das Gesellenstück etwas taugt oder nicht. Sei nicht so ablehnend, Jos!«
»Wenn du es unbedingt auf einen weiteren Konflikt mit dem Obergsell anlegen willst, dann bau dein Kurzgewehr, aber warum in Gottes Namen kannst du nicht damit warten, bis du dein eigener Herr bist?«
»Psst, Jos, nicht so laut, die Wände hier haben Ohren.« Raymund hielt seinen Finger vor den Mund.
»Lange halte ich es hier nicht mehr aus. Ich will so schnell wie möglich auf die Rosenau und dort der Erste sein, der mit einer Pistolette gewinnt. Kannst du das nicht verstehen? Ich bin ein Außenseiter und muss immer besser, klüger und schneller sein als die anderen, um mein Aussehen vergessen zu machen. Darum brauche ich ein Gewehr, mit dem ich sie alle in Grund und Boden schießen kann.«
»Ich kann das gut verstehen, Raymund. Ich weiß, wie sie dich hier behandeln.«
»Ich habe dem Altenstetter geschworen, mit niemandem darüber zu sprechen. Du bist der Einzige, der davon weiß.«
»Was auch immer passiert, Raymund, du kannst auf mich zählen; keiner wird etwas von mir erfahren, und wenn du Hilfe brauchst, werde ich für dich da sein.« Jos stand auf und reichte ihm die Hand.
»Ich weiß doch, dass ich mich immer auf dich verlassen kann!«
18
Dillingen, Sankt Bonifatius14 1580
»Es darf nie mehr geschehen, dass uns die herzogliche Regierung in München bei Untersuchungen und Anklagen wegen Ketzerei in den Rücken fällt. Wir dürfen uns nicht mehr vorschreiben lassen, wann eine Hexe wie examiniert werden soll. Wilhelm V. scheint vernünftiger zu sein als sein Vater. Die Rechtsprechung muss geprägt sein vom theologischen Prinzip der Gegenreformation. Es wäre wenigstens einmal eine sinnvolle Aufgabe für die Jesuiten, dass sie Hofräte und die Rechtsabteilung der Universität nur mit Geistlichen besetzen. Gerade am Fest des heiligen Bonifatius muss uns bewusst werden, dass wir mit allen Mitteln das Werk des großen Missionars vor der Zerstörung bewahren und die weltliche Gewalt dazu zwingen, die kirchliche, von Gott erhaltene Macht anzuerkennen.« Die Anwesenden im Refektorium nickten zustimmend und Paschalis musste sich zwingen, nach der Tischrede des Kardinals nicht zu gähnen. Zahllose Briefe zu diesem Thema hatte dieser ihm schon diktiert, an Julius Echter, Ottheinrich von Schwarzenberg oder Canisius. Paschalis versah sie alle mit bunten Initialen und verwandelte das inhaltlich schwer Verständliche in kleine Kunstwerke. Es war sein verzweifelter Versuch, den grausamen Worten etwas von ihrer Schärfe und ihrer Gnadenlosigkeit zu nehmen.
14 5. Juni
19
Leeder, 2. Juli 1580
Helena verblieben nur wenige Augenblicke, um innezuhalten, nachdem drüben im Kirchturm die Sturmglocke angefangen hatte, wie wild zu schlagen.
»Feurio, feurio! Dem Mayer Georg sei Hidda brennt lichterloh!«, hörte sie Karl aufgeregt durch das Schloss rufen.
Die Marianischen, war ihr erster Gedanke. In seiner Bleibe verwahrt er die Bücher von Caspar Schwenckfeld. So schnell sie konnte, rannte sie die Treppen hinunter und folgte Karl ins Dorf. Von Welden her hatte sich eine bedrohliche schwarze Gewitterfront aufgebaut.
»Meinst du, dass es ein Blitzeinschlag war, Karl?«
»Dös Wetter isch no z’weit weg.«
Noch im Laufen kam Helena in den Sinn, dass Georg jeden Samstagnachmittag hinten beim Müller die Kinder unterrichtete, weil der Müllersbub seit seinem Unfall nicht mehr richtig laufen konnte. Sollten die Marianischen ganz bewusst diesen Moment abgewartet haben? Dass sie am helllichten Tag das Haus anzündeten, verwunderte sie zwar, aber sie traute diesen Leuten inzwischen alles zu, seit sie mit ihren Anfeindungen dafür gesorgt hatten, dass Raymund nach Augsburg ziehen musste.
Georg bewohnte ein kleines Haus, nicht zu vergleichen mit den großen Höfen im Ort. Helena staunte, dass doch so viele Leute zusammengekommen waren, um zu helfen. Aus dem Dachstuhl, der mit Stroh gedeckt war, loderten meterhoch die Flammen.
»Georg ist nicht da. Bitte, bitte helft! Wir müssen die Kiste herausholen, in der die Bücher und Schriften liegen«, beschwor sie die Leute, die bereits mit Eimern eine Kette zum Bach gebildet hatten. Sie hatten zwei Leitern an das Haus gestellt, um von oben Wasser in die Flammen zu schütten.
»Em Georg sei Gaul stoht hinderm Haus! Do kann a it weit sei. In der Stuba isch no koi Fuir. Mir breched d’Diar auf. Bleib du voana hussa, Helena!« Sie nickte dem Kutscher zu, und gleich darauf stieß Karl mit einem dicken Holzbalken die Eingangstür auf. Beißender Qualm drang aus der Stube, und es dauerte nicht lange, da kam Karl laut hustend aus dem Haus. Er zog eine riesige Kiste hinter sich her.
»Das war mutig, Karl! Du hast Caspars Nachlass vor den Flammen gerettet. Das werden wir dir nie vergessen!« Helena umarmte ihn. Es war ihr gleichgültig, dass sie ihr Kleid mit Ruß beschmutzte. Wenige Augenblicke später stürzte unter lautem Krachen der Dachstuhl in sich zusammen.
»Dös isch no amol guat ganga!«, sagte Karl und ließ sich erschöpft ins Gras sinken. Helena setzte sich zu ihm.
Plötzlich stand Georg vor ihnen.
»Um