Methoden in der Politikwissenschaft. Rolf Frankenberger

Methoden in der Politikwissenschaft - Rolf Frankenberger


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sind Sie im Allgemeinen mit der Demokratie in Deutschland?« Die Antwortmöglichkeiten wären etwa »sehr«, »eher«, »eher nicht« und »gar nicht zufrieden«. Die Frage und die Antwortmöglichkeiten stellen die Operationalisierung dar. Wenn die Frage einer Person gestellt wird, dann würde man den Antwortmöglichkeiten die Ziffern 1, 2, 3 und 4 zuordnen und entsprechend der gewählten Antwort die Ziffer notieren. Das wäre die Messung.

      Entscheidend ist bei der Messung, dass diese strukturtreu erfolgt. Die Unterschiede zwischen klassifikatorischen, komparativen und metrischen Begriffen (image Kap. 2.2.1) müssen bei der Operationalisierung und Messung berücksichtigt werden. Die durch den Begriff bezeichnete und strukturierte Objektmenge muss so in einer Menge von Zahlen abgebildet sein, dass die Struktur der empirischen Objekte in der Menge der zugeordneten Zahlen bei aller Vereinfachung erhalten bleibt.

      Für klassifikatorische Eigenschaften heißt strukturtreue Abbildung, dass die zugeordneten Zahlen lediglich Gleichheit und Ungleichheit repräsentieren. Daher kann man zur Abbildung dichotomer Ausprägungen zum Beispiel die Ziffern 1 und 2, genauso aber etwa die Zahlen 100 und 372 verwenden. In der Statistik nennt man die daraus resultierende Skala Nominalskala. Gleiche Merkmalsausprägungen erhalten dieselbe Ziffer, unterschiedliche Merkmalsausprägungen unterschiedliche Ziffern. Eine Deutung der Relationen zwischen den Zahlen ist nicht zulässig. Ordnet man Demokratie den Wert 2 zu und Diktatur den Wert 1, so ist Demokratie nicht doppelt so demokratisch, sondern einfach anders.

      Für komparative Eigenschaften bedeutet strukturtreue Abbildung, dass sie (Un-)Gleichheit sowie eine Rangordnung der Objekte repräsentieren. Dies kann durch die Ziffern 1, 2 und 3, aber genauso gut durch die Zahlen 9, 17 und 42 erreicht werden, denn bei komparativen Eigenschaften sind die Abstände zwischen den Zahlen nicht von Bedeutung. Die daraus resultierende Ordinalskala ist auch hinsichtlich der Relationen der Ausprägungen interpretierbar. Wird der Grad der Freiheit einzelner Länder – wie etwa beim Freedom House Index3 – anhand von politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten gemessen, dann werden den Merkmalsausprägungen »frei«, »teilweise frei« und »nicht frei« die Ziffern 1, 2 und 3 zugeordnet. Da es sich um einen komparativen Index handelt, gilt, dass Länder mit der Ziffer 1 freier als solche mit der Ziffer 2 und diese wiederum freier als solche mit der Ziffer 3 sind. Die Werte können jedoch nicht hinsichtlich ihrer Abstände interpretiert werden: 1 ist weder um 1 freier noch halb so unfrei wie 2.

      Bei metrischen Eigenschaften müssen (Un-)Gleichheit, Rangordnung und Abstände repräsentiert werden. Daher müssen die Abstände zwischen den gemessenen Eigenschaften auch abgebildet werden. Metrische Eigenschaften können entweder in Intervallskalen oder in Ratioskalen übersetzt werden. Bei Intervallskalen können zusätzlich zu Gleichheit und Rangordnung die Abstände zwischen den Zahlen interpretiert werden. Misst man Temperatur in Bezug auf die festgelegten Fixpunkte Gefrier- und Siedepunkt von Wasser und teilt die Skala in gleiche Schritte ein, so kann man sagen, dass 10 °C um 5 ° wärmer sind als 5 °C. Man kann jedoch nicht sagen, dass 10 °C doppelt so warm sind wie 5 °C. Dazu würde man eine sogenannte Ratioskala benötigen, bei der der Nullpunkt auch in Bezug auf das gemessene Phänomen empirisch die Bedeutung eines Nullpunktes hat. Dies ermöglicht die Interpretation der Verhältnisse zwischen Merkmalsausprägungen. 0 € bedeuten für das Merkmal Einkommen, dass kein Einkommen erzielt wird. Ein Einkommen von 50 € ist doppelt so hoch wie eines von 25 €. Beim Beispiel Temperatur wäre die Kelvinskala eine solche Ratioskala, bei der der Nullpunkt bedeutet, dass das Konstrukt Temperatur aufhört zu existieren.

      Insgesamt gilt es also festzuhalten, dass es beim Messen als Zuordnung von Zahlen zu Merkmalen und deren Ausprägungen entscheidend ist, festzulegen, welche Unterschiede berücksichtigt werden sollen, welche Maßeinheit verwendet werden soll und nach welchen Regeln Zahlen zu Merkmalsausprägungen zugeordnet werden. Beachtet man das Skalenniveau von Ziffern etwa in Statistiken nicht genau, so wird man schnell unzulässige Aussagen treffen. Wird die Variable Geschlecht mit den Ausprägungen männlich = 1, weiblich = 2 und divers = 3 gemessen, ist die Aussage, dass Geschlecht bei einer Person mit dem Wert 3 dreimal so ausgeprägt ist wie bei einer Person mit dem Wert 1 – auch wenn sie rein auf die Zahlen bezogen stimmen mag – empirischer Unfug.

      2.2.7 Erklärung

      Das Erklären von politischen Ereignissen oder Tatsachen ist die Kernbeschäftigung der Politikwissenschaft und insbesondere der empirischen Politikforschung. Erklärungen sind eng verbunden mit dem Testen von Theorien und Hypothesen, denn diese formulieren mit ihren Annahmen über Zusammenhänge in der Wirklichkeit nichts anderes als mögliche Erklärungen. Erklärungen sind dabei logisch und empirisch wahre Aussagen darüber, warum ein Sachverhalt oder ein Zusammenhang vorliegt.

      Der Begriff Erklärung ist daher eng mit einem positivistischen und nomologischen Verständnis von Wissenschaft verbunden (image Kap. 3). Die Grundform der Erklärung ist die deduktiv-nomologische Erklärung. Erklärungen beinhalten eine Aussage zu dem zu erklärenden Sachverhalt (Explanandum) und dem zur Erklärung herangezogenen Sachverhalt (Explanans) (vgl. Hempel/Oppenheim 1948; Patzelt 1992). In der Explanandum-Aussage wird der zu erklärende Sachverhalt empirisch gültig beschrieben. In den Explanans-Aussagen werden »Wenn-Dann«-Aussagen formuliert. Die »Dann«-Komponente erfasst das Explanandum. Die Randbedingungen geben an, unter welchen Umständen die »Wenn-Dann«-Aussagen zutreffen. Die »Wenn«-Komponente beschreibt jene Sachverhalte, welche als Erklärungsfaktoren dienen. Zur Prüfung des Wahrheitsgehalts einer Erklärung empfiehlt Patzelt (1992) folgende Fragen:

      1. Stimmt die Explanandum-Aussage mit den Tatsachen überein?

      2. Können die »Wenn-Dann«-Aussagen innerhalb ihrer Randbedingungen als empirisch wahr gelten?

      3. Waren die Randbedingungen auch tatsächlich gegeben?

      4. Lagen die Anfangsbedingungen auch wirklich vor?

      5. Sind die einzelnen Aussagen und die Gesamtstruktur logisch konsistent?

      Ein Beispiel für eine solche deduktiv-nomologische Erklärung ist die folgende, die sich auf das Entstehen neuer Parteien bezieht:

      Explanans bzw. Gesetz: Wenn im Parlament vertretene Parteien die in der Bevölkerung vorhandenen Interessen nicht ausreichend repräsentieren, dann können neue Parteien entstehen.

      Explanandum: Es gibt eine neue Partei.

      Randbedingung: Die Interessen der Bevölkerung werden durch die im Parlament vertretenen Parteien nicht repräsentiert.

      Am konkreten Beispiel – etwa der Entstehung der Partei »Die Grünen« – müsste aufgezeigt werden, dass die Randbedingung beim Entstehen vorlag. Zunächst müsste analysiert werden, welche Interessen und Themen die neue Partei vertrat. Das waren bei den Grünen vor allem Frieden und Umwelt. Dann müsste gezeigt werden, dass die Randbedingung vorliegt, dass erstens Umwelt und Frieden wichtige Themen für die Bevölkerung sind (z. B. durch Umfragen) und dass zweitens diese nicht ausreichend von den im Parlament vertretenen Parteien repräsentiert wurden (z. B. durch Analysen ihrer Parteiprogramme).

      Schwierig ist bei solchen Formen der Erklärung oft, die Prämissen (also das was, als gegeben angenommen wird) oder Allaussagen zu begründen. Denn dies kann nicht durch Deduktion oder empirische Prüfung geschehen. Der Versuch würde entweder zu der Notwendigkeit immer neuer Prämissen, zu logischen Zirkelschlüssen oder zu Dogmen führen. Daher ist es sinnvoll, Theorien aus der Empirie heraus zu entwickeln und so die Problematik der Begründbarkeit von Prämissen zu umgehen.

      Eine besondere Schwierigkeit in den Sozialwissenschaften besteht darin, dass es kaum unumstößliche Gesetze gibt und so die ideale Form der deduktiv-nomologischen Erklärung nicht möglich ist. Theorien sollten also als mögliche Erklärungen, die geprüft werden müssen, angesehen werden. Deshalb kommen in der empirischen Politikforschung häufig Erklärungen vor, die induktiv-statistisch oder probabilistisch sind. Im Unterschied zu


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