Methoden in der Politikwissenschaft. Rolf Frankenberger
formulieren (»Arbeitslosigkeit verursacht Fremdenfeindlichkeit«) (vgl. Alemann/Forndran 2005). Wichtig ist, dass Korrelationshypothesen zunächst nur eine Wechselbeziehung oder ein gleichzeitiges Variieren zweier Phänomene formulieren, während Kausalhypothesen eine Wirkungsrichtung und einen Mechanismus für diese annehmen.
Auch die sogenannte Nullhypothese, die den meisten statistischen Analyseverfahren zugrunde liegt, ist eine Form der Korrelationshypothese. Sie besagt, dass zwei Phänomene nicht miteinander zusammenhängen. Statistisch wird dann geprüft, ob diese Nullhypothese zurückzuweisen ist, und es wird eine Wahrscheinlichkeit angegeben, mit der gefundene Zusammenhänge nicht zufällig sind. Eine weitere Unterscheidung von Korrelationshypothesen wird anhand der logischen Operatoren »wenn-dann« und »je-desto« gezogen (vgl. Häder 2006, 47–49 und Dreier 1997, 361–366). Ersterer zeigt in der Regel kausale Zusammenhänge an, während letzterer relationale Zusammenhänge anzeigt.
Wichtig ist auch der Geltungsanspruch von Hypothesen. Dieser wird bei der Bewertung von wissenschaftlichen Studien oft übersehen. Sogenannte deterministische Hypothesen sind Allaussagen, die einen umfassenden Geltungsanspruch unabhängig von Raum und Zeit haben. Sie lassen keine Abweichungen zu (»Arbeiter:innen wählen die SPD«). Diese finden sich in den Sozialwissenschaften aufgrund der Diversität menschlichen Handelns relativ selten. Häufiger finden sich Aussagen oder Hypothesen mit mittlerer Reichweite, die einen eingeschränkten Geltungsbereich haben. Ein typischer einschränkender Satz wäre: »Für westliche Gesellschaften gilt«. Häufig finden sich auch probabilistische Hypothesen, die sich auf statistische Gesetze beziehen. Dabei handelt es sich um relationale Korrelationsaussagen und nicht um Kausalaussagen. Anstatt eines deterministischen Geltungsanspruchs wird eine statistische Geltungswahrscheinlichkeit formuliert (»Arbeiter:innen wählen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit p die SPD als andere Parteien«). Während eine deterministische Hypothese bei einem abweichenden Fall (diese:r Arbeiter:in wählt nicht SPD) widerlegt ist, ist bei probabilistischen Hypothesen eine Abweichung möglich. Sie sind erst widerlegt, wenn die Wahrscheinlichkeit p nicht erreicht wird.
Schließlich können Hypothesen nach der Bezugsebene unterschieden werden. Individualhypothesen beziehen sich auf individuelle Merkmale (»Je höher die Bildung einer Person, desto höher ihr Einkommen«). Kollektivhypothesen beziehen sich auf Merkmale von Gruppen (»Je höher der Katholik:innenanteil in einem Wahlkreis, desto höher der Stimmenanteil der CDU«). Der Rückschluss von der Kollektivebene auf die Individualebene ist nicht so einfach möglich (es kann auch Katholik:innen geben, die eine andere Partei wählen) und die Hypothese ist nicht widerlegt, wenn man nur ein Gegenbeispiel findet. Kontexthypothesen verbinden Individualmerkmale mit Kollektivmerkmalen (»In Diktaturen sind die Menschen weniger politisch aktiv als in Demokratien«).
Erst wenn Hypothesen mehrfach geprüft sind, werden sie in Form von probabilistischen oder deterministischen Gesetzen Eingang in Theorien finden.
2.2.6 Operationalisierung und Messung
Unter Operationalisierung versteht man die Übersetzung von Begriffen in messbare Größen: »Unter der Operationalisierung eines Begriffs ist die Angabe derjenigen Vorgehensweisen, derjenigen Forschungsoperationen zu verstehen, mit deren Hilfe entscheidbar wird, ob und in welchem Ausmaß der mit dem Begriff bezeichnete Sachverhalt in der Realität vorliegt« (Kromrey 2009, 173).
Wie schon mehrfach angesprochen, sind manche Begriffe direkt messbar. Sie haben einen unmittelbaren empirischen Bezug. Andere Begriffe hingegen sind nicht direkt messbar, da sie keinen empirischen Bezug haben. Es müssen also Variablen, sogenannte Indikatoren, gefunden werden, die es ermöglichen, diese Begriffe indirekt zu messen. Ein Konzept wie Produktivität hat zwar einen empirischen Bezug, denn es gibt Unterschiede im Grad der ökonomischen Entwicklung zwischen verschiedenen Ländern. Allerdings können wir diese nicht direkt messen, sondern müssen stellvertretend bestimmte Variablen messen, die mit dem Begriff Produktivität etwas zu tun haben und diesen idealerweise in seiner Gänze abbilden. Wir benötigen Indikatoren als »solche empirischen Sachverhalte, die 1. direkt wahrnehmbar oder feststellbar sind und die 2. eindeutige Hinweise auf den nicht direkt erfahrbaren Sachverhalt liefern« (Kromrey 2009, 167).
Produktivität könnte dabei auf verschiedenen Ebenen gemessen werden. Auf der Ebene einer Volkswirtschaft könnte das Verhältnis zwischen den erzeugten Produkten und den dabei eingesetzten Mitteln (Arbeit, Boden und Kapital) gemessen werden. Notwendig dafür wäre eine getrennte Erfassung aller vier Elemente. Konkret müssten eingesetzte Arbeitszeit, eingesetztes Kapital und eingesetzte Vorprodukte und Rohstoffe sowie die damit erzeugten Produkte einer Volkswirtschaft erfasst und deren jeweilige Geldäquivalente gemessen und in Bezug gesetzt werden.
Wenn bestimmte Begriffe nicht direkt über sogenannte definitorische Indikatoren gemessen werden können, dann benötigt man korrelative oder schlussfolgernde Indikatoren (vgl. Kromrey 2009, 163). Korrelative Indikatoren haben nicht dieselbe Intension oder Bedeutung wie die zu messenden Begriffe, sind diesen aber ähnlich und haben einen direkten empirischen Bezug. Intern korrelative Indikatoren erfassen Teilaspekte eines mehrdimensionalen Phänomens und treten mit anderen Komponenten des definierten Begriffs gemeinsam auf. Wahlen sind zum Beispiel messbare Indikatoren für die Existenz von Demokratie, bilden aber nur einen Teil der Intension von Demokratie ab. Extern korrelative Indikatoren sind nicht Bestandteil der Definition eines Begriffs, korrelieren aber mit der Merkmalsdefinition. Korruption korreliert zum Beispiel negativ mit Demokratie. Kann man also die Existenz von Korruption in nennenswertem Umfang nachweisen, dann kann man davon auf die Nicht-Existenz von Demokratie rückschließen. Schlussfolgernde Indikatoren erlauben Rückschlüsse auf Merkmalsausprägungen, die überhaupt nicht direkt messbar sind. So kann auf den Charakter einer Person lediglich anhand von manifesten Eigenschaften oder Verhaltensweisen rückgeschlossen werden. Dazu wiederum müssen Regeln formuliert werden, wie und warum diese manifesten Variablen überhaupt mit der zu untersuchenden latenten Variable zusammenhängen. Diese Korrespondenzregeln können wiederum falsch sein. Ein Kernproblem der Operationalisierung ist daher deren Validität oder Gültigkeit (
Während definitorische Indikatoren die Intension des Begriffs ganz abdecken, erfassen intern korrelative Indikatoren nur einen Teil der Intension und die Gültigkeit der Operationalisierung hängt dann von der Stärke der Korrelation des Indikators mit den anderen Elementen der Definition ab. Bei extern korrelativen Indikatoren ist die Gültigkeit ungewiss, da es zwar einen Zusammenhang zwischen Indikator und gemeintem Sachverhalt gibt, der Indikator aber kein Bestandteil der zu messenden Sache ist. Die Korrelation wäre also theoretisch zu begründen, um die Gültigkeit der Operationalisierung plausibel zu machen. Im Fall der Korruption würde man argumentieren, dass sie ein Beleg dafür ist, dass Gesetze und Regeln nicht befolgt werden und damit keine Rechtsstaatlichkeit gegeben ist, die wiederum Bestandteil gängiger Definitionen liberaler Demokratien ist. Bei schlussfolgernden Indikatoren ist das Problem der Gültigkeit noch größer, da der Zusammenhang zwischen Indikator und dem Phänomen nicht empirisch, sondern nur theoretisch überprüfbar ist, etwa indem man mögliche Verhaltensmuster hypothetisch formuliert, die mit einem bestimmten Charakter einhergehen, und diese dann wieder überprüft. Narzisst:innen würden sich nicht nur selbst großartig finden, sondern alle anderen abwerten, die sie als Kritiker:innen oder Konkurrent:innen empfinden.
Die Übersetzung von Begriffen in Handlungsanweisungen zur empirischen Anwendung ist eine komplexe Aufgabe. Und sie erfordert sprachliche wie theoretische Sorgfalt. Zunächst müssen Begriffe wissenschaftlich exakt definiert werden, dann Indikatoren ausgewählt und anhand von Korrespondenzregeln mit den Begriffen verbunden werden. Zur empirischen Erfassung der Indikatoren müssen wiederum Messvorschriften formuliert und begründet werden.
Sind Begriffe durch die Operationalisierung einmal messbar gemacht, so erfolgt die eigentliche Messung. Dabei werden Objekten oder Ereignissen »entsprechend den Ausprägungen der an diesen Objekten betrachteten Merkmale« Ziffern nach zuvor formulierten Regeln zugewiesen (Kromrey 2009, 202, vgl. Stevens 1951, 1). Die Messregeln geben dabei an, auf welche Weise Forscher:innen ihre gedanklichen Konzepte mit der Wirklichkeit verknüpfen wollen. Je standardisierter die Forschung, desto präziser müssen die Messvorschriften sein und desto eher sind die