Weil ich dem Leben vertraue. Helmut Zöpfl
vor, zwischen oder nach den Schulstunden abgespielt hat.
Kaum jemand erinnert sich etwa an eine auch noch so sorgfältig vorbereitete Stunde über die »Rheinische Tiefebene« oder an die »Einführung in die Berechnung des Kreisumfangs«. Dafür aber weiß man noch ganz genau, wie ein Versuch in Chemie nicht geglückt ist, worüber man mit dem Lehrer auf dem Wandertag geredet hat, wie er im Skilager bei jeder Gaudi mitgemacht hat oder wie er auf erfreuliche oder weniger erfreuliche aktuelle Ereignisse reagiert hat.
Vom Lehrer selbst sind uns oft Gesten, Gebärden, Worte in Erinnerung geblieben, an die dieser selbst sich vielleicht gar nicht mehr erinnert. Ich entsinne mich vornehmlich jener »Äußerungen«, die einen gewissen Einblick in die Persönlichkeit des Lehrers gaben: Ein persönliches Wort, Ergriffenheit, unmittelbare Fröhlichkeit, ein Bekenntnis zu oder gegen etwas.
Das über die Schule Gesagte gilt auch für die meisten Begegnungen in unserem Leben. Es sind viele scheinbare Nebensächlichkeiten, die unser Bild von einem Menschen geprägt haben. Kleinigkeiten sind es oft auch, die uns etwa beim Fernsehen einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Ein Wort, eine Gebärde, eine Nebenbemerkung bewirken oft mehr als ein abendfüllender, noch so sorgfältig geplanter Film, eine lange persönliche Rede oder sogar ein theologisch wohlfundiertes »Wort zum Sonntag«. Überlegen Sie selbst einmal, worauf Sie zum Beispiel bei Diskussionen achten!
Wir wissen heute genau, welche Rolle die Kameraführung, der Blickwinkel usw. spielen, ob ich einen Politiker nur von seiner schlechtesten Seite zeige, oder ob ich ihn etwa auch einmal außerhalb einer fachlichen Diskussion kennenlernen kann, im Kreis seiner Familie etwa oder als amüsierten Zuschauer oder Mitspieler bei einer Unterhaltungssendung. Oft kommt man dann zu der Feststellung: »Der ist ja ganz anders, viel netter als ich ihn mir vorgestellt habe«.
Zwei dieser kleinen »Nebensächlichkeiten« sind mir in der letzten Zeit aufgefallen: In der Sendung »Wetten, dass ..?« wurde die Wette aufgestellt, dass sich in Augsburg binnen kurzer Zeit fünfzig Klosterfrauen auf Fahrrädern einfinden würden. Einer der bei der Wette mitspielenden Ehrengäste, die Filmschauspielerin Senta Berger, wettete dagegen und konnte es sich nicht verkneifen zu sagen: »Wie ich die Klöster hier in Bayern kenne, ist das nicht möglich«. Die mehrfache Zahl der dann anradelnden fröhlichen Klosterfrauen war der beste Gegenbeweis.
Man kann über den Wert oder Unwert einer solchen Wette diskutieren. Tatsache aber ist, dass hier deutlicher als das vielleicht jeder Eineinhalbstundenfilm hätte tun können, einem so weitverbreiteten Klischee begegnet wurde, unsere Klosterfrauen wären humorlose und weltfremde Wesen, die keinen Spaß verstünden.
Diese »Aufklärung« wurde auch einem Fernsehpublikum zuteil, das sonst einen Film über das Leben in bayerischen Klöstern erst gar nicht eingeschaltet hätte. Dass unsere Mönche und Nonnen, die, wo auch immer ich ihnen begegnet bin, zu den bewundernswertesten Persönlichkeiten unserer Tage zählen, gerade in den Medien zukünftig öfter in ihrer Arbeit gewürdigt werden, wäre, nebenbei bemerkt, nur zu hoffen.
Am Rande sei noch hinzugefügt, dass die besagte Filmschauspielerin, wie sie öfter in Interviews betont, keinerlei Verbindung mit der Kirche hat, gerne Kampagnen gegen Vorurteile in unserer Gesellschaft startet. Ein rühmliches Unterfangen, wenn man bei sich selbst anfängt.
Die zweite »Kleinigkeit«. Im Fernsehen wird ein Fußball-Länderspiel übertragen. Die Kamera ist auf den Spieler Karlheinz Rummenigge gerichtet. Dieser macht vor dem Spiel ein andächtiges Kreuzzeichen. Wer da meint, das sei nichts Besonderes, den. möchte ich fragen, wer von uns es noch »wagt«, in aller Öffentlichkeit zu beten. Vielleicht hält man bei einem Tischgebet noch verschämt die Hände unter den Tisch. Aber man will ja »die andern« nicht vor den Kopf stoßen. Ich frage, ob man mit einer religiösen Geste in dieser Form wirklich jemand zu nahe tritt, oder ob man nicht etwa Angst hat, sich bloß lächerlich zu machen. Die Pluralität der Weltanschauungen, »die man eben zu achten habe«, meine ich, ist oft eine recht bequeme Ausrede für einen mangelnden Bekennermut.
Im Übrigen meine ich, dass das Sportidol Karlheinz Rummenigge durch sein Bekenntnis vielleicht mehr bewirkt hat als viele noch so gut gemeinte (und auch durchaus notwendige) religiöse Sendungen. Es ist halt nun einmal so, dass der, der im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht, eine immense Vorbildwirkung im guten wie im schlechten Sinne hat. Vielen »Prominenten« wäre daher zu wünschen, dass sie das, was sie reden, auch zu leben versuchen - und wenn sie es nur durch »kleine Zeichen« dokumentieren.
Aber auch Sie und ich, wir alle sollten uns manchmal mehr der Wirkung solcher »kleiner Zeichen« bewusst sein: Ein gutes Wort im grauen Alltag, ein herzliches Dankeschön, ein klares Bekenntnis können so viel bedeuten. Die Welt, unsere Welt ist voll von Möglichkeiten, »Zeichen« setzen zu können, und sei‘s nur als Autofahrer an einer verstopften Kreuzung, wo wir dem andern mit einem freundlichen Gesicht zu verstehen geben, dass wir ihn, auch wenn wir »im Recht« wären, einbiegen lassen. Haben Sie eigentlich schon einmal bemerkt, wie schnell sich eine solche freundliche Geste, ein frohes Lächeln fortpflanzen kann? Probieren Sie es doch einmal aus!
Humor
»Der deutsche Humor ist seiner Seltenheit wegen besonders wertvoll. « (Werner Mitsch)
Gerade in der gegenwärtigen Pädagogik lässt sich eigentlich recht wenig Humor entdecken, wie ja auch die »Freude« ein Schattendasein darin führt. Vielleicht hängt dieses Fehlen schon damit zusammen, dass man sich sehr schwertut, den Humor zu definieren. »Humor«, meint nämlich Rudolf Presber, »ist das, was man nicht hat, sobald man ihn zu definieren beginnt.« Und welche Theorie will schon auf genaue Definitionen verzichten? Vielleicht gefällt es aber einer auf Feinziele curricular bedachten Didaktik auch nicht, dass man den Humor so schwer »operationalisieren« kann, weshalb man lieber darauf verzichtet. Oder könnte man sich ein Humor-Curriculum vorstellen - vielleicht, um die Schulebene zu verlassen und aufs berufspädagogische Feld zu kommen - ein »Humor-Curriculum« für zukünftige Büttenredner, das dann so aussehen könnte:
Kognitive Ziele: mindestens fünf Karnevalsrufe wie Kölle-Alaaf, Helau usw. kennen
Affektive Ziele: Freude am Mainzer Karneval empfinden; beim Einsetzen der Musik und der jeweils richtigen Stelle der Büttenrede lachen.
Psychomotorische Ziele: Bei Stimmungsmusik mitklatschen (mittrampeln), schunkeln.
Höhere Lernleistungen im Sinne des sogenannten Transfer wären dann z. B.: Ostfriesenwitze mit Witzen über Bayern, Preußen bzw. Österreichern vergleichen können oder eine vergleichende Studie über das Willy Millowitsch-Theater, das Hamburger Ohnsorg Theater und den bayerischen Komödienstadel. Derjenige, der die Lernzielkontrolle und den jeweiligen Humortest erfolgreich bestanden hätte, würde ein Humor-Diplom bekommen, das die Vorbedingung für den Doctor humoris causa wäre.
Gott sei Dank aber kann man den Humor nicht operationalisieren, dozieren, konstruieren und so fort. Aber ein wenig auf die Spur kann man ihm schon kommen, und dabei kann man sich vielleicht den Spiegel vorhalten, ob man nicht eine ursprüngliche Gabe etwas verdeckt oder zu kurz kommen lässt in der für unsere Zeit so charakteristischen Hektik. Tatsächlich hat der Humor etwas zu tun mit dem Abstandgewinnen: Man sieht etwas von einer anderen Warte aus.
Humor ist nach Bert Brecht »Distanzgefühl«. Man steht ein wenig über den Dingen und setzt sich und seine Sorgen nicht absolut, kann vielleicht sogar über sich, seine Fehler und Unzulänglichkeiten lachen. So meint Bischof Kelly: »Wenn du nichts zu lachen finden kannst, so hast du immer noch dich selbst.« Man sieht seine eigenen Grenzen, aber auch die vielen Unzulänglichkeiten dieser Welt. Gerhart Hauptmann nennt den Humor »Erkenntnis der Grenzen, verbunden mit grenzenloser Erkenntnis«. Und nur wer die Grenzen sieht, kann auch darüber hinwegsehen. Etwas sehen und trotzdem auch darüber hinwegwegsehen können, ist etwas für den Humor Kennzeichnendes. Heinrich Lützeler schreibt in diesem Zusammenhang: »Wenn die Verlachung des eigenen Ich, die für die Selbstironie kennzeichnend ist, sich auf die Welt als Ganzes ausdehnt, wenn die Welt als fragwürdig empfunden und zugleich bejaht wird … dann ist die Schwelle des Humors erreicht.« (in: Heinrich Lützelers fröhliche Wissenschaft, Freiburg 1978, S. 17).
Humor ist weder ein kritikloses Verschließen der