Weil ich dem Leben vertraue. Helmut Zöpfl

Weil ich dem Leben vertraue - Helmut Zöpfl


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Fortschrittsfeindlichkeit gewichen ist. Gleichbleibend bei diesem einseitigen Für oder Wider ist, dass man sich hier wie dort keine oder viel zu wenig Gedanken über Begriff und Wesen des Fortschritts macht.

      Zunächst ist der Fortschritt an sich weder gut noch schlecht, er bedeutet lediglich eine Veränderung. Nun kann man bekanntlich von einem schlechteren in einen besseren, aber auch von einem besseren in einen schlechteren Zustand voranschreiten. Tatsache ist aber auch, dass jedes Fortschreiten ein Weggehen von einem gewohnten Standort bedeutet und somit auch ein Wagnis darstellt.

      Wegschreiten allein, auch wenn es mit immer moderneren Mitteln der Fortbewegungstechnik geschehen mag, bedeutet aber beileibe noch keine Verbesserung. Außerdem ist eine Verbesserung auf dem einen Gebiet oft mit Verschlechterungen auf anderen Gebieten verbunden. Alberto Sardi meint hierzu humorvoll: »Den Fortschritt erkennt man daran, dass die Flüge kürzer werden, die Auffahrten zum Flughafen immer länger.«

      Diese Problematik hat sich besonders im Bereich der oft recht fadenscheinigen Umweltverbesserung gezeigt. Auch hätte man sich darüber im Klaren sein müssen, dass es auf verschiedenen Gebieten eben keinen Fortschritt geben wird. Liebe, Treue, Freundschaft usw. sind nicht dem Fortschritt unterworfen. Allenfalls die Bedingungen mögen sich geändert haben.

      Ein großer Irrtum der Fortschrittsgläubigkeit war auch, dass man glaubte, die Vervollkommnung der Mittel und Methoden würde automatisch eine Verbesserung der Ergebnisse mit sich bringen. Recht sarkastisch meint St. Lec: »Ist es ein Fortschritt, wenn ein Kannibale Messer und Gabel benutzt?« Und Thornton Wilder verweist auf da Problem des Fortschritts, wenn er sagt: »Unter Fortschritt versteht man eher das Tempo als die Richtung.« Und ähnlich formuliert John B. Priestley: »Leute, die den Fortschritt nur um der Bewegung willen haben möchten, kommen mir vor wie Autos mit Motoren, aber ohne Lenkrad.«

      In der Tat kann eine Gefahr der Fortschrittsgläubigkeit darin bestehen, dass man vor lauter Voranschreiten übersieht, dass es nicht nur eine horizontale Richtung gibt und man in einem blinden »Weiter« Wesentliches übersieht. So sagt Joseph Roth: »Der Begriff Fortschritt allein setzt bereits die Horizontale voraus. Er bedeutet ein Weiterkommen und kein Höherkommen«, und Christian Morgenstern warnt sogar: »Alles Vorwärts der Menschen geht auf Kosten ihres Einwärts.«

      Wichtig ist die Einsicht, dass vollkommenere Methoden allein ebenso wenig ein besseres Leben bedeuten, wie mehr Wissen schon mehr Sinnerfüllung bringt.

      Wie gesagt, muss aber auch davor gewarnt werden, den Fortschritt und alles, was damit zusammenhängt, zu sehr zu verteufeln. Zweifelsohne haben die Naturwissenschaften und die Technik enorme Erfolge erzielt, die sich für den Menschen sehr positiv auswirken können, vor allem, wenn er noch mehr als bisher lernt, das neue Wissen auch vors Gewissen zu bringen. Die medizinische Forschung kann als exemplarisch für diesen Fortschritt gelten. Aber gerade hier zeigt sich heute eine ganz wesentliche Neubesinnung. Die Medizin versucht sich heute wieder mehr vom reinen Spezialistendenken wegzubewegen, zurück zu einer größeren Orientierung am ganzen Menschen. Und mit diesem »Zurück« ist gesagt, dass Fortschreiten auch eine Rückbesinnung sein kann. In bloßer Rückschau, starrem Beharren an Gegenwärtigem und blindem Losrennen in die Zukunft werden wir den Weg zur Bewältigung der Probleme unserer Zeit nicht finden. Fortschritt im Sinne seiner Bemühung um eine bessere Welt bedeutet ein Lernen aus der Vergangenheit, ein sinnvolles Gestalten der Gegenwart und eine vertrauensvolle Hinwendung an die Zukunft und ihre Aufgaben. Fortschritt heißt Bewegung, aber auch Mut zum Standpunkt. G. K. Chesterton sieht den wahren Fortschritt darin, dass man »nach der Stelle ausschaut, auf der man stehenbleiben kann.«

      Gespräche

      Neulich war wieder eine der sogenannten Gesprächsrunden im Fernsehen, mit einem Moderator selbstverständlich. Ich erfuhr in dieser Runde viel Interessantes, nicht zuletzt aber war sie Anlass, mir ein wenig Gedanken über das Gespräch an sich zu machen, und ich dachte an das, was Joseph Wechsberg schreibt: »In der modernen Diskussion teilt niemand die Meinung des andern …«

      Jeder stellt sich dar. Eine Sendung dauert eine bestimmte Zeit, und der Moderator stellt jedem eine Sprechzeit zur Verfügung. Wer kann es sich schon leisten, diese Zeit nicht zu nutzen. Zeit ist schließlich Geld. Und es ist die große Chance, sich ins rechte Licht zu setzen. Dieses »Etwas-Sagen-Müssen« lastet offensichtlich auch bei vielen Tagungen und Sitzungen auf den Teilnehmern. Wie könnte es sonst sein, dass sich immer wieder Leute zu Wort melden, das Wort ergreifen (und nicht mehr abgeben), die – zumindest in diesem besonderen Fall – nichts oder nur wenig zu sagen haben. Selbst bei Angelegenheiten, die von vorneherein sonnenklar sind, wird geredet, endlos geredet, und wenn es die wortreiche Begründung ist, warum man dem Vorredner zustimmt, der seinerseits vorher Übereinstimmung mit seinem Vorredner bekundet hat.

      Hier ist wenigstens offenbar noch zugehört worden. Oft aber fehlt dieses für eine Unterhaltung so wesentliche Moment. Wechsberg drückt es so aus : »Heutzutage besteht die Unterhaltung darin, dass der eine es kaum mehr erwarten kann, dem andern ins Wort zu fallen … Während der eine redet, lauert der andere schon darauf, dass jenem die Logik, die Überzeugungskraft, der Faden oder am besten der Atem ausgeht. Kaum macht er eine unfreiwillige Pause, bemächtigt sich der andere des konversationellen Vakuums und beginnt zu reden … In der heutigen Form von Unterhaltung siegt … der Stärkere, in diesem Fall der Mensch mit den schnelleren Reflexen und der lauteren Stimme. Die andern hören mitten im Satz auf, und jetzt sind sie böse. Sie starren dem Redner verbittert auf den Mund, in der Hoffnung, er möge sich auf die Zunge beißen.« (Joseph Wechsberg, Lebenskunst und andere Künste, München 1980, S. 32 f)

      Jeder denkt darüber nach, was er hätte sagen wollen oder in der knappen Zeit noch hätte sagen können, und wie er sich das nächste Mal besser durchsetzen könnte. Er wartet eigentlich nur, um dem andern bei einem entsprechenden Stichwort ins Wort fallen zu können.

      Ich erlebe immer wieder Vorträge mit anschließender Diskussion, in denen Diskussionsteilnehmer statt Fragen an den Redner zu richten, Koreferate halten, die oft länger sind als die Hauptrede. Die Kunst einer kurzen, präzisen Fragestellung scheint bei diesen Diskussionen überhaupt abhandengekommen zu sein. Aber vielleicht will man auch gar nicht fragen. Man hat ja ohnehin bereits seine Antwort parat. Und sich selber in Frage stellen? Ja, wo käme man da hin? Man erinnere sich an Plato und Sokrates, die ihre Äußerungen oft mit einer Frage beschlossen: »Und was sagst du, mein Freund Timotius?« Das aber interessiert wohl niemand mehr.

      Politikerreden können auch als beredtes Beispiel für eine gewisse Gesprächsmisere gelten. Hierzu meint Wechsberg: »Die Reden der Staatsmänner werden weniger nach ihrem Inhalt als nach ihrer Dauer gewertet. Die Marathonredner, die vor den Parteigenossen fünf Stunden lang reden, oder oppositionelle Senatsmitglieder, die 13 Stunden lang den Mund offen haben, um den Gegner nicht zu Wort kommen zu lassen - wobei es gleichgültig ist, was sie sagen -, gelten als Helden unserer Zeit.« (a. a. O., S. 33)

      Die Erkenntnis, dass Quantität nicht Qualität ersetzen kann, ja die Länge der Aussage deren Qualität geradezu entgegenwirken kann, scheint sich noch nicht herumgesprochen zu haben. Churchill erzählt mit Selbstironie, dass es ihn bei seinen vielen Reden nie gestört habe, wenn jemand auf die Uhr schaute, sondern erst, wenn einer die Uhr ans Ohr gehalten habe, um festzustellen, ob sie nicht stehengeblieben sei. Die alte Regel: »Rede über alles, nur nicht über zehn Minuten« hat leider meist zu wenig Geltung. Für viele Reden gilt natürlich auch Robert Lembkes spitze Bemerkung: »Ob sich Redner darüber klar sind, dass neunzig Prozent des Beifalls, den sie beim Zusammenfalten ihres Manuskripts entgegennehmen, ein Ausdruck der Erleichterung ist?«

      Wir brauchen aber gar nicht auf andere zu verweisen. Haben wir nicht alle immer mehr verlernt, miteinander zu reden? Interessiert uns noch, wenn uns andere ihre Meinung mitteilen, oder sind wir nicht von vornherein der Auffassung, dass wir die Meinung des andern ohnehin nicht teilen? Haben wir uns heute immer weniger zu sagen? Wie käme es sonst, dass man so gerne davon Gebrauch macht, sich durch den Lärm der Musik einer Disco, einer Blaskapelle oder auch eines Smartphones vor dem Gespräch zu drücken? Sicher ist die Gesprächsmisere Ausdruck einer gewissen Vereinsamung des Menschen in der Masse. Noch nie ist so viel über Unterhaltung geredet worden, und noch nie hat man sich so wenig unterhalten. Wir reden über alles Mögliche, aber immer weniger


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