In dir bin ich stark. Klaus Steinert
Anzug trug er dort. Und er hatte diesen Ausdruck, den er manchmal hatte. Wo nur seine Augen lächelten. Sie liebte dieses Bild. Aber nach der Beerdigung konnte sie es nicht mehr ertragen. Als der Bestatter es ihr hinterher wiedergab, legte sie es zur Seite. »In Ihrem Herzen lebt er weiter«, hatte der Pastor damals gesagt. »Aber noch viel mehr lebt er im Himmel, bei unserem lieben Herrn Gott.«
Es liegt eine feine Staubschicht auf den Bildern. Früher standen sie in ihrem Schrank. Und die drei Sessel, ihrer und die anderen beiden, und das Sofa, sie standen in ihrer Stube. Nun, ein paar Jahre schon, stehen die Sessel und das Sofa hier, in ihren 18 Quadratmetern im Seniorenheim. Die Bilder und ihre Sessel. Sie mussten mit. Emma steht auf. Langsam. Geht zu den Bildern. Der Finger wird grau vom Staub. Wo sind die ganzen Stunden hin?
Auf einem Bild kein Staubrand. Das neueste Bild. Auf dem hält sie ihre Urenkelin im Arm. Emma Sophie. Fünf Monate ist sie nun. Sie lachen, beide. Um sie herum hellgrüne Triebe. Auf dem weißen, kleinen Tisch die Taufkerze. Es war der erste warme Tag in diesem Jahr. Emma Sophies Tauftag. Sie konnten im Garten sitzen. Frühling.
Bunt blitzt es da in ihr auf, die Erinnerung an Gottes Versprechen: Ich habe Dich erschaffen und ich erhalte Dein Leben. Durch alle Deine Jahreszeiten hindurch. »Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.«
Wachet auf
Bibeltext der Woche: Philipper 2,12
Der Zauber eines neuen Anfangs, der von der biblischen Botschaft ausgeht, lässt die Menschen nicht los. Er schafft Hoffnungsbilder, die den Alltag mit seinen vielen Zerrbildern weit übersteigen. Wer erst einmal mit diesen Bildern in der Seele lebt, mit Bildern von Blinden, die sehen, Lahmen, die gehen, von Armen, denen Gerechtigkeit widerfährt, mit Bildern von geheiltem, heilem Leben, der wacht auf! Wer glaubt, dass der Bräutigam kommt, wie es im Choral von Philipp Nicolai lautet, der findet sich nicht ab mit einer Welt, in der vieles noch so ganz anders ist. Der wird sich gerne vom Weckruf des Evangeliums aufrütteln lassen.
Wachet auf! Manche von uns verbindet sicher die Sehnsucht nach einer wachen Kirche, nach Menschen, die aus ihrem Glauben heraus kritisch und aufmerksam das Geschehen drinnen und draußen begleiten. Am 31. Oktober begehen evangelische Christen den Reformationstag – Erneuerung der Kirche durch den Weckruf Martin Luthers, seinen Thesenanschlag 1517. Ein Ruf zu einer wachen Kirche, die sich ihres Fundamentes bewusst ist. Martin Luther hat durch seine Rückbesinnung auf die Heilige Schrift bleibende Wahrheiten erkannt und neu in den Mittelpunkt gestellt. Diese Wahrheiten wecken bis heute auf zu wacher, verantwortlicher Zeitgenossenschaft.
Auch der Apostel Paulus hat persönlich und durch seine Briefe die frühen Gemeinden durch die Verkündigung des menschgewordenen Gottes trösten, aber auch zu angemessenem Verhalten bewegen wollen: »Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. Denn Gott ist’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.« Das aber klingt doch zunächst sehr unevangelisch! Die reformatorische Erkenntnis Martin Luthers war es doch, die von diesem Druck befreit hat! »Mit unsrer Macht ist nichts getan.« Gott rückt uns ins rechte Licht, ohne unsere Anstrengung. Unser Glaube ist ein Geschenk. Niemals kann eigenes Schaffen zur Voraussetzung, zur Bedingung der eigenen Seligkeit werden. Ich kann nur Ja sagen zu dem Angebot, dass Gott mich trägt und ich bei ihm geborgen bin.
Doch bin ich durch die Worte des Paulus angesprochen, auch als Mensch mit Verantwortung für mein eigenes Leben und das meiner Mitwelt zu handeln. »Schaffet!« Jeder von uns hat die Möglichkeit, sein Leben aktiv zu gestalten. Was es alles zu schaffen gibt, kann ich in der Bergpredigt nachlesen: Frieden stiften, Barmherzigkeit üben, mich für Gerechtigkeit einsetzen. Eine Welt, in der Krieg immer noch, und in den letzten Jahren wieder verstärkt, als erlaubtes Mittel der Politik angesehen wird, braucht Friedensstifter. Unsere Gesellschaft, in der die Schere zwischen arm und reich weiter auseinandergeht, braucht dringend solche, die sich für Gerechtigkeit einsetzen. Und eine Welt, in der der Lebensbeginn und das Lebensende immer mehr in die menschliche Verfügungsgewalt gestellt wird, braucht Menschen, die dagegen aufstehen. Es ist gut, finde ich, dass beide große Kirchen in Deutschland hier klar Stellung bezogen haben und ihrer Wächterfunktion gerecht werden.
Wacht auf – immer wieder spüre ich, wie wichtig, wie notwendig es ist, nicht zu dämmern, nicht zu verschlafen. Manchmal ist das in der Tat unbequem, sich aufrütteln zu lassen, es ist anstrengend, Augen und Ohren zu öffnen und Verantwortung zu übernehmen. Aber wenn wir das tun, merken wir, wie Neues beginnt.
Beten ist Handeln
Bibeltext der Woche: Matthäus 6, 9 – 13
Manchmal beneide ich einen der reichsten Männer der Welt, zu dessen Wohlstand ich immer wieder beitrage, weil ich mit dem Computer umgehe und dabei oft auf seine Programme zurückgreife. Die Rede ist von Bill Gates, dem milliardenschweren Gründer von Microsoft. Er hat sich eine wunderbare Villa bauen lassen mit allem Drum und Dran. Zwar kenne ich seine Gedanken nicht, aber vielleicht denkt er, dass das mit seinem wachsenden Reichtum immer so weitergehen wird, während er in seinem Pool badet und abwartet. Auf so ein Denken, das ich hier natürlich einfach unterstelle, hat der antike Philosoph Seneca treffend geantwortet: »Es ist nicht wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist viel Zeit, die wir nicht nutzen.«
Das Leben nutzen. Wie geht das? Die meisten von uns haben kein wirklich festes Lebensziel vor Augen. Sie hängen sich allenfalls an zweitrangige Dinge: unersättliches Habenwollen, geschäftige Hast in überflüssigen Arbeiten, Hoffnung auf Gewinn, Handel in allen Ländern und auf allen Meeren, Streben nach dem Glück anderer oder die Klage über ihr eigenes Los. Dies zu erreichen, wäre aber nicht im Sinne Gottes für unser Leben. Das wäre ihm nämlich viel zu wenig: Er will ALLES für uns – und nichts für sich, so Luther.
Gott hat nach dem Desaster im Paradies einen Dreistufenplan entwickelt. Alle drei Stufen zusammen bilden eigentlich erst das richtige Leben. Die erste Stufe: Aus einer Mutter werden wir Menschen geboren. Das ist ein Wunder, ein Geschenk. Aber das so geschenkte irdische Leben ist von der Sünde entstellt, es bedarf der Erneuerung und Verwandlung. Die zweite Stufe ist daher ein neues Leben im Geist. In einer Art Wiedergeburt werden wir von einem irdischen Menschen, dem Adam oder der Eva, zu einem Kind Gottes. Das ist das zweite, größere Wunder und ebenfalls ein Geschenk. Dieses Leben, das Leben im Glauben, zielt auf die dritte Stufe, das ewige Leben. In einer Auferstehung mit einem neuen Leib in einer Neuen Welt vollendet sich unser Leben. Alle drei Stufen gehören zusammen. Jede Stufe ist wichtig und kann ohne die andere nicht existieren. Ich will mehr als nur der reichste Mann der Welt sein, will nicht nur ein Drittel des Lebens, sondern alles – und Sie?
Zurück zum Anfang. Was kann ich aktiv tun, um mein Leben auszufüllen? Um Gottes Ziel zu erreichen? Dazu ein Gedanke: Einfach beten! Sie haben richtig gelesen, denn Beten ist Handeln. Ausgerechnet heute, in dieser Zeit. Beten, das sei »abergläubischer Wahn«, wie es Immanuel Kant den Christen vorwarf. Mit der Beterei, so meinte er, würden sie sich vor dem Handeln, vor der Verantwortung drücken, und er warf ihnen damit Feigheit vor der Welt vor. Vielleicht hat er ja viele fromme Drückeberger erlebt. Die soll es ja geben. Aber Beten als Flucht vor der Welt, das zumindest sieht Jesus anders. Wir können es nachlesen: in der Bergpredigt, im Matthäusevangelium.
Beten ist nicht das Gegenteil von Handeln, es ist gewissermaßen seine Rückseite, wie das mal ein Theologe formulierte. Nur ist diese Rückseite für andere erst mal nicht sichtbar. Wenn ich vor Gott mein Herz ausschütte, wenn ich meine Sorgen, meine Ängste auf ihn werfe, sieht es außer ihm erst mal niemand.
Und doch verändert es vieles. Wenn ich keinen Schritt mehr gehen mag – aus lauter Angst –, weil ich nicht weiß, wie es weitergeht, finde ich neue Kraft. Im Gebet finde ich wieder Worte für meine Ängste, können sich Gedanken im Lebensdurcheinander ordnen, denn ich muss ja nun mal wissen, wie ich weitergehen soll. Wer betet, führt kein frommes Selbstgespräch, um sich vor der Welt zu drücken, nein, da spricht ein Mensch mit Gott. Er vertraut darauf, von ihm die Kraft und Stärke zu bekommen, die er so dringend braucht: für die nächsten Schritte, für die nächsten Entscheidungen.
Ja, es stimmt: Beten ist Handeln! Es muss ja nicht gleich lauthals in