In dir bin ich stark. Klaus Steinert

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      Es gibt einen Sonntag im Kirchenjahr, der heißt Laetare. Da geht es um Freude, um einen Grund zur Freude. Denn Freude macht glücklich. Und Glück suchen wir, weil es so vieles gibt, was uns unglücklich machen kann.

      Im Sprichwort heißt es, das Glück der Erde sei auf dem Rücken der Pferde zu finden. Das Pferd darf, wenn es ein gutes Reitpferd ist, keinen eigenen Willen haben. Es wird besessen, geritten. Reiten im Sinne von selbst bestimmen darf es nicht.

      Wie komme ich auf das Reitpferd? Nun, Martin Luther hat uns Menschen mit Reittieren verglichen. Denn wir Menschen seien in unserem Handeln keineswegs so frei, wie wir meinen. Wir seien nicht unsere eigenen Besitzer, sondern würden mal von Gott, mal vom Satan geritten. Der Mensch ist in diesem Bild Luthers jedenfalls nicht Herr seiner Taten, sondern jemand, der nur sehr mit Vorbehalt sagen darf, er lebe, weil er in vielem tatsächlich gelebt wird.

      Die Hirnforscher müssen eigentlich die helle Freude an Martin Luthers Metapher für den Menschen haben. Sie sagen heutzutage nämlich immer häufiger, der Mensch sei gar nicht frei in seinen Entscheidungen, sondern weitestgehend festgelegt durch die in seinem Gehirn gespeicherten Erfahrungen, und zwar durch Erfahrungen, die aus frühen Phasen der Menschheitsgeschichte stammen und im Erbgut weitergegeben werden, aber auch durch Erfahrungen, die im eigenen Leben gemacht worden sind. Frei sei er nicht.

      Diese Hirnforscher haben etwas Wichtiges erkannt. Wir sind und werden geprägt durch unsere Vor- und Umwelt. Wir haben Geschichte, Mitmenschen, andere Mitgeschöpfe. Keiner von uns lebt als Erster auf der Erde. Und keiner lebt sein Leben lang allein, ohne Berührung mit anderen. Robinson Crusoe ist eine Illusion. Und schon gar kein anzustrebendes Ziel: Ist es nicht ein Segen, dass wir Großeltern und Eltern haben, Lebenspartner und -partnerinnen, Freundinnen und Freunde, mit denen wir uns über unsere Lebenserfahrungen austauschen können? Und dass es Bücher, Romane gibt, andere Welten, die erfunden werden und uns von Möglichkeiten berichten, die wir noch nicht ergriffen haben? Welch ein Glück! Zum Glück sind wir, wenn wir ins Leben hineinwachsen, nicht frei von den Erfahrungen anderer vor uns, neben uns und denen, die wir selbst gemacht haben.

      Doch hat das Miteinander auch seine Schattenseiten. Denn wo Menschen zusammenkommen, verletzen sie einander. Das Leben ist eine Gemeinschaft, und wir sind darin sowohl Täter und Opfer. Jeder und jede von uns. Da haben Versuche, in allem gerecht sein zu wollen und niemandem etwas schuldig zu bleiben, keinen Sinn. Da hat nur eines Sinn: Diese Realität menschlichen Lebens anzuerkennen und uns das einzige Gegenmittel zuzuführen, das es gibt: einander in Liebe aushalten. Denn lieben, sagt die deutsche Sprache, die so viel weiß von uns, lieben heißt, jemanden leiden können.

      In einer Gesellschaft von Menschen, die einander immer wieder leiden machen, ob sie es wollen oder nicht, brauchen wir Menschen, die uns Leidenmacher leiden können. Denn jemand, der uns leiden kann, nur der heilt auch unsere Leiden. Von Gott kann man vieles sagen, und ist auch unendlich vieles gesagt worden. Wichtig ist davon, dass er uns leiden kann. Wenn irgendetwas an der Jesusgeschichte uns einen Grund zur Freude gibt, dann dies, dass er uns liebt. Er ist nicht der Leidenmacher, sondern er ist der Leidenkönner. Deswegen, weil Gott uns leiden kann, weicht Jesus in seiner Passion dem Leiden nicht aus. Er kann uns wirklich leiden. Dass wir es glauben, dazu gibt es das Evangelium von der Liebe Gottes. Und es muss immer wieder erzählt werden, damit wir es in unser Lebensgedächtnis hineinnehmen: Zu allem Leiden, was wir erinnern, sollen wir gewissermaßen hinzuerinnern, dass Gott uns, also Opfer und Täter, leiden kann. Sie sollen einander vergeben: Der, der dich verletzt hat, von Gott geliebt auch er, der, den du verletzt hast, von Gott geliebt auch er. Das tröstet im Gewissen.

      Von Gott geliebt. Hier liegt unser eigentlicher Grund zur Freude. Seine Liebe ist es, die echte Freude in uns hervorruft!

       Bibeltext der Woche: Römer 5, 15

      Es ist das Jahr 1545, genauer gesagt, der 10. November. Einige Menschen finden sich zusammen. Die Stimmung ist gut. Martin Luther feiert seinen 62. Geburtstag im Kreise seiner Familie und seiner Freunde. Was er vielleicht nicht weiß, aber wohl doch ahnt, ist, dass es sein letzter Geburtstag sein wird. Der 62., den sie an diesem 10. November 1545 dort miteinander feiern. Martin Luther hat längst schon so manches Zipperlein heimgesucht, nein, sogar so richtige derbe Krankheiten, handfeste Krankheiten plagen ihn seit längerer Zeit. Er hat auch den Tod seiner kleinen Tochter Magdalene vor drei Jahren immer noch nicht verwunden. Er muss mit Verbitterung zur Kenntnis nehmen, dass statt Reformation der einen Kirche Jesu Christi nun endgültig eine Kirchenspaltung droht.

      Und an dieser letzten Geburtstagsfeier am 10. November nimmt er plötzlich einen guten Freund für einen Moment zur Seite, weil er ihm etwas Wichtiges sagen möchte: »Du heißest Paulus, halte dich an die Lehre, die Paulus überliefert hat.«

      Wer ist dieser Paul(us) Eber, den er hier anspricht? Vor allem, weshalb ist er Luther so wichtig? Nun, Eber stammt aus Bayern. In Kitzingen geboren, besucht er als Kind die Lateinschule in Ansbach. Hier geschieht Folgenschweres: In Ansbach wird er nämlich schwer krank, sodass der Bruder sich auf den Weg macht, um ihn nach Hause zu holen. Aber auf dem Weg nach Hause wird er vom durchgehenden Pferd abgeworfen und ist anschließend krumm und höckerig. Er bleibt Zeit seines Lebens krank und missgebildet.

      Und trotz all dieser Schmerzen und Qualen geht er tapfer seinen Weg. Zunächst besucht er das Gymnasium in Nürnberg. Dann geht er nach Wittenberg und studiert dort Philosophie. Nach wenigen Jahren wird er Professor für Philosophie in Wittenberg, ja, er findet eine Frau und heiratet. Er wird Rektor der Wittenberger Universität, Prediger an der Stadtkirche zu Wittenberg wie Martin Luther. Ende 1560 wird er Landesbischof für Kursachsen. Er stirbt im Jahre 1569 mit 58 Jahren. Wird in der Stadtkirche von Wittenberg, wo er immer gepredigt hat, begraben. Paul Eber, ein Mann, der trotz dieser vielen Leiden kraft seines wachen Geistes und seines lebendigen Glaubens dem Vermächtnis Luthers gerecht wird.

      Ebert hat einmal folgende Verse gedichtet, die seinen Weg wunderbar beschreiben: »Wenn wir in höchsten Nöten sein und wissen nicht, wo aus noch ein, und finden weder Hilf noch Rat, ob wir gleich sorgen früh noch spat, so ist dies unser Trost allein, dass wir zusammen insgemein dich anrufen, o treuer Gott, um Rettung aus der Angst und Not … «

      Es ist schon eine sehr erstaunliche Kraft, die aus lauter Anfechtung und Krankheit und Bedrängnis, aus Sorge und Not und Verzweiflung eine solche Zuversicht und Geduld wachsen lässt. Das kann nur die Gnade Gottes. Sie allein richtet Ebert auf, lässt ihn Zeit seines Lebens den Weg aufrecht beschreiten.

      Luther entdeckt in seinem Turmzimmer beim Studium der Briefe des Apostels Paulus die frohe Botschaft von der rettenden Gnade Gottes, die allein aus dem Glauben kommt. Eben genau das ist das Vermächtnis, das er dem Paul Eber auf dem Weg gibt an jenem tristen Novembertag am Rande seiner letzten Geburtstagsfeier.

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