Blutholz. Wolfgang Teltscher

Blutholz - Wolfgang Teltscher


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      |20|6.

      Es war ein ganz gewöhnliches Messer, ein Messer wie es tausendmal vorkommt. Es hatte seine Arbeit getan, seine Schneide war von Blut verschmiert. Blut, das noch nicht trocken war, als das Messer neben dem toten Baumstamm auf den Boden fiel. Die Hand, die das Messer fallen gelassen hatte, trug Gummihandschuhe, an denen ein Finger fehlte. Die Person, der das Messer gehört hatte, steckte die Handschuhe in eine Plastiktüte. Sie wollte nicht riskieren, dass sie gefunden wurden.

      |20|7.

      Die Marders waren zweimal für Kurzurlaube zum Wandern im Deister gewesen, dabei hatten sie jedesmal in der Pension Marianne bei Frau Thann übernachtet. Von Stade in den Deister war es eine Fahrt von zwei Stunden, sie hofften, dadurch den Winternebeln am Ufer der Elbe für eine kurze Zeit zu entkommen, vielleicht sogar einen ersten Frühlingstag am »nördlichsten Berg Deutschlands« zu erleben. Die |21|Autobahnausfahrt nach Barsinghausen hatte sich seit ihrem Besuch verändert. Nicht zu ihrem Besten, fand Marder. Für ihn gehörten Sexshops und Spielhallen in die dunklen Ecken einer Stadt, hier boten sie sich offen und freizügig dar. Zielgruppe waren wohl die Fahrer, die ihre Lastwagen auf dem Autohof abstellten und während ihrer Ruhezeiten einen sinnvollen Zeitvertreib suchten.

      Iris saß am Steuer und ignorierte die verwerflichen Etablissements. Das Auto bog in die Landstraße nach Bantorf ein. Die kleinen Ortschaften, durch die sie auf dem Weg nach Barsinghausen fuhren, waren ihrer dörflichen Vergangenheit treu geblieben. Hier schien die Zeit still zu stehen. Lediglich die Schaufenster der Lebensmittelgeschäfte, die es früher gegeben hatte, waren mit alten Zeitungen verklebt. Kurz vor dem Ortsschild von Barsinghausen verlangsamte Iris die Geschwindigkeit und wandte sich an ihren Ehemann.

      »Bist du ganz sicher, dass Frau Thann uns heute erwartet? Nicht dass du das Datum durcheinander gebracht hast.«

      »Du kannst ganz beruhigt sein. Ich habe erst vor ein paar Tagen das Zimmer bei ihr gebucht und gestern habe ich sie noch einmal angerufen und ihr gesagt, wann wir heute ungefähr ankommen. Und sie hat gesagt, sie freut sich sehr darauf, uns noch einmal zu sehen, bevor sie die Pension zumacht. Wir werden uns in Zukunft eine andere Unterkunft suchen müssen, wenn wir Ferien in den Bergen machen wollen

      »Eigentlich schade, dass es die Marianne bald nicht mehr geben wird. Aber ich kann gut verstehen, dass es Frau Thann langsam zu viel wird und sie keine Lust mehr dazu hat. Sie ist ja auch nicht mehr die Jüngste«

      Marder nickte zustimmend.

      |22|»Mehr als die Pension werde ich Frau Thann vermissen. Sie war wirklich eine ideale Herbergsmutter, wenn man sie so bezeichnen darf.«

      »Das glaube ich dir aufs Wort. Du hast ja schon von ihr geschwärmt, als du wegen Matuscheks Tod zum ersten Mal in Barsinghausen warst. Erst dachte ich, ich müsste eifersüchtig sein.«

      »Ein bisschen Eifersucht kann nie schaden.«

      »Im Prinzip schon, aber bei Frau Thann war das wohl nicht nötig. Außerdem schwärmst du sowieso eher für jüngere Frauen, so wie mich.«

      »Ich habe doch immer gesagt, dass es außer dir keine Frauen in meinem Leben gibt – jedenfalls keine, die ich liebe.«

      »Das hat auch der Prinz zu Dornröschen gesagt, bevor er Aschenputtel hinterherlief.«

      »Der Trick mit dem Schuh war ja auch perfide. Pass auf, da vorne musst du rechts rein. Marianne liegt oben am Hang.«

      »Ich fahre erst mal geradeaus.«

      Marder war verwirrt.

      »Warum denn das? Wenn ich sage rechts, kannst du mir es glauben, ich kenne mich hier aus.«

      »Wenn wir schon das letzte Mal bei Frau Thann wohnen, können wir ihr wenigstens ein paar Blumen mitbringen«, verkündete Iris. »An solche Kleinigkeiten muss immer ich denken?«

      Marder seufzte. Iris hatte recht, aber sie war in der Familie immer für auswärtige Angelegenheiten zuständig gewesen. Ihm unterstanden vor allem die Ressorts Finanzen und Verteidigung.

      Im Stadtgebiet lenkte er seine Frau zu dem kleinen See, wo |23|sein Kollege Matuschek vor einigen Jahren gestorben war. Er wusste, dass es dort einen Parkplatz gab, der selten voll belegt war, da er für die meisten Besucher der Fußgängerzone am falschen Ende der Stadt lag. Drei Autos standen auf dem Platz, wo es Raum für fünfzehn oder mehr gab. Unter den Scheibenwischern von zwei von ihnen klemmte ein Strafbescheid. Neugierig nahm er einen davon in die Hand. Dem Fahrer wurde eine Strafgebühr aufgebrummt, weil er keine Parkscheibe hinter der Windschutzscheibe ausgelegt hatte. Die dementsprechende Anweisung stand kaum lesbar auf einem verschmutzten Schild, das zur Hälfte von einem Busch verdeckt wurde. Ähnliches war Marder in Stade auch passiert, es ärgerte ihn vor allem dann, wenn es keinen Mangel an freien Parkplätzen gab, er also lediglich wegen einer unbarmherzigen Politesse eine Strafe zahlen musste.

      »Lächerliche Bürokratie«, schimpfte er. Vorsichtshalber legte er die Parkscheibe in seinem Auto deutlich sichtbar aus. Dabei schummelte er um eine halbe Stunde.

      Der Weg zur Fußgängerzone führte zwischen Rathaus und Stadtkirche den Hang hinab und endete auf dem zentralen Platz des Ortes. Marder und seine Frau blieben stehen, um nach einem Blumengeschäft Ausschau zu halten. Er spürte einen heftigen Stoß in den Rücken und wäre gestürzt, wenn er sich nicht geistesgegenwärtig an seiner Frau festgehalten hätte. Ein Inline-Skater hatte beim Überspringen einer flachen Mauer die Kontrolle über seine Skates verloren, war durch die Luft getaumelt, hatte nach einem Halt gesucht und dabei Marder mit einem Arm getroffen. Der junge Mann rollte weiter, ohne sich darum zu kümmern, ob er dem älteren Herrn Schaden zugefügt hatte.

      |24|In einem Blumengeschäft kauften sie einen Strauß Tulpen, der trotz seiner langen Anreise aus Holland frisch und munter aussah. Frau Thann würde sich bestimmt darüber freuen.

      Marianne befand sich am Hang zwischen der obersten Straße des Ortes und den untersten Bäumen des Waldes, der die Hügel des Deisters bis zum Kammweg bedeckte. Das Gebäude wirkte herrschaftlich, war aber zu klein, um es tatsächlich zu sein. Die für diese Gegend ungewöhnlichen Fensterläden gaben dem Haus einen eigenständigen Charakter. Das Schild am Gartentor, das noch im letzten Jahr mit silbernen Buchstaben auf die Pension Marianne hingewiesen hatte, war bereits abmontiert worden. Frau Thann meinte es also ernst mit der Schließung des Hauses. Aus dem Rasen vor dem Haus sprossen Tulpen, strahlten jedoch nicht in gleicher Pracht wie ihre Geschwister aus Holland. Iris meinte leise, sie hätten lieber andere Blumen nehmen sollen.

      Frau Thann freute sich über die Ankunft der Familie Marder. Sie umarmte Iris, traute sich nicht, das Gleiche mit Marder zu tun. Sie schien seit dem letzten Jahr kaum älter geworden zu sein, eher jünger. Marder fragte sich, ob sie sich wohl liften lassen hatte. Er konnte es sich nicht vorstellen, es passte nicht zu dieser naturverbundenen Pensionsmutter, sich von einem Schönheitschirurgen renovieren zu lassen. Wahrscheinlich war es die Vorfreude auf den Rest ihres Lebens, die sie aufblühen und verjüngt wirken ließ – die Zeit, wenn sie nicht länger Gäste in ihrem Haus beherbergen würde und sich die Tage nach ihren eigenen Wünschen einrichten konnte. Dieselbe Vorfreude hatte ihn überkommen, als er kurz davor war, den Dienst bei der Kriminalpolizei zu quittieren, |25|obwohl er immer Spaß und Genugtuung bei seiner Arbeit empfunden hatte.

      »Schön, dass Sie gekommen sind. Sie können dasselbe Zimmer haben wie im letzten Jahr. Aber, wenn es Ihnen lieber ist, können Sie sich gern ein anderes aussuchen. In dieser Woche sind Sie meine einzigen Gäste, da kann ich mich Ihnen voll und ganz widmen. Das ist mir mehr als recht, ich lege keinen Wert mehr auf ein volles Haus und die ganze Arbeit, die damit zusammenhängt. Sie wissen ja, dass ich in ein paar Wochen die Pension zumachen werde. Danach werde ich ein Leben als eine einsame alte Frau beginnen.«

      Das sagte Frau Thann fröhlich, ohne Bitternis. Marder vermutete, dass sie sich eher auf ein Leben als lustige Witwe vorbereitete als auf das einer einsamen alten Frau. Sie gehört bestimmt zu denen, die erkannt haben, dass man sich dem Heiteren im Leben bewusst zuwenden muss, während das Tragische von allein kommt.

      Eine schwarze


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