Blutholz. Wolfgang Teltscher
ebenso weißes Ausrufungszeichen. Die Katze raste durch die offene Verandatür, drehte zwei unsinnige Runden im Wohnzimmer und kam vor dem Kühlschrank in der Küche zu stehen. Neben dem Kühlschrank stand ein Fressnapf, der zu ihrer erkennbaren Enttäuschung leer war – sie hatte sich offensichtlich in der Fütterungszeit geirrt. Die Katze blickte Marder auffordernd an, Marder schaute betont lässig zurück. Brisbane sah um Jahre jünger aus als bei seinem letzten Besuch. Damals schien er bereits auf dem Weg in den Katzenhimmel zu sein … Nein, Brisbane konnte es nicht sein, |26|dieser Kater war ein Junior, so um die zwei, höchstens drei Jahre alt, notfalls vier. Marder hatte genügend Erfahrung mit Katzen, um das beurteilen zu können.
Er schaute Frau Thann fragend an.
»Ich weiß, was Sie denken«, sagte seine Wirtin. »Sie denken, Brisbane hat eine Verjüngungskur gemacht. Oder dass er wiedergeboren wurde.«
»Ich vermute eher etwas anderes.«
»So ist es. Brisbane ist leider im letzten Herbst gestorben. Es beruhigt Sie vielleicht, dass er friedlich eingeschlafen ist, soweit man das bei einer Katze beurteilen kann. Er bewegte sich in den letzten Wochen immer langsamer, hören konnte er seit Monaten so gut wie nichts mehr. Zum Schluss verlor er das Interesse an seinen Gegnern in den Gärten um uns herum. Eines Tages hat er einfach aufgehört zu fressen und ist nach einer Woche gestorben. Als ich merkte, dass es soweit war, habe ich ihn an seinen Lieblingsplatz im Garten in die Sonne gelegt, und nach einer Stunde hat er aufgehört zu atmen. Sie können sich vorstellen, wie tief mich das berührt hat.«
Marder konnte das gut nachfühlen. Auch er und Iris hatten ihren Kater Tatze innig verehrt, wie es einer Katze zusteht, auf deren Grundstück und in deren Haus man wohnen darf. Sie waren sich einsam vorgekommen, nachdem sie gestorben war.
Iris blickte Frau Thann mitleidsvoll an, als wolle sie ihr Beileid aussprechen, tat es aber nicht. Schließlich war eine Katze eine Katze und kein Mensch, außerdem lag der Todesfall mehr als ein halbes Jahr zurück.
Frau Thann musste die neue Katze erklären.
»Zwei Monate nach dem Tod von Brisbane bin ich trotz |27|schlechten Gewissens wegen der kurzen Trauerzeit zum Tierheim des Tierschutzvereins gegangen, um mir eine neue Katze zu holen. Dieser Kater saß ganz vorne am Gitter, als ich kam, so als warte er bereits auf mich. Er sah aus wie Brisbane, und wie ich bald festgestellt habe, hat er einen ähnlichen Charakter, beziehungsweise die gleiche charmante Charakterlosigkeit. Er hat absolut keine Hemmungen, meine Gutherzigkeit auszunutzen. Manchmal glaube ich fast, dass Brisbane in ihm wiedergeboren ist, aber natürlich nicht ernsthaft.«
»Sie haben ihn hoffentlich nicht auch Brisbane genannt?«
»Nein, dieser Kater heißt Sydney. Das ist nahe genug an Brisbane, um mich zu trösten, aber weit weg genug für eine eigene Persönlichkeit.«
8.
Marder erinnerte Frau Thann daran, dass er am Nachmittag einen Kaffee brauche, um bis zum Abend durchzuhalten. Nur für Marder erkennbar, rümpfte Iris die Nase, sie war der Ansicht, Kaffee putsche unnötig auf, Kräutertee sei gesünder. Sie ließ sich nicht auf seine Beteuerungen ein, neue wissenschaftliche Untersuchungen hätten bewiesen, dass Kaffee keineswegs so schädlich sei, wie oft behauptet wurde. Erstens würde er dem Körper nicht Wasser entziehen, wie früher immer behauptet wurde, und zweitens wirke er sogar als vorbeugende Medizin gegen eine Reihe von Leiden. Um welche es dabei ging, hatte Marder vergessen. Er lese ohnehin nur |28|medizinische Berichte, die seine Ansichten bestätigten, meinte seine Gattin.
Während Frau Thann die Getränke in der Küche aufbrühte, griff Marder nach der lokalen Zeitung auf dem Tisch. Es war ein spontaner Akt, wie immer, wenn sich eine Zeitung in seiner Reichweite befand. Zeitunglesen war eine Leidenschaft, die er nie ablegen würde, egal wie alt er werden sollte. Seine Frau teilte sie bis zu einem gewissen Grad. Beim Lesen der Morgenzeitung lasen sie die Sektionen gern in unterschiedlicher Reihenfolge, das ließ den Tag in Harmonie beginnen. Er informierte sich zuerst über Politik und Wirtschaft, Iris studierte als Erstes die Seiten mit Kultur und Lokalem. Dann tauschten sie. Den Sportteil las ausschließlich Marder, den vernachlässigte Iris, so wie Marder es mit den Horoskopen tat. Die Klischees über die unterschiedlichen Interessen von Frau und Mann trafen auf das Ehepaar Marder beim Zeitunglesen zum Frühstück hundertprozentig zu.
»Tanken und Heizen wird bald noch teurer«, sagte Marder. »Die OPEC-Länder haben beschlossen, die Fördermengen von Rohöl zu senken und zum Ausgleich die Preise zu erhöhen. Das finde ich völlig logisch.«
»Dann sollten wir öfter mit dem Fahrrad fahren und nicht für jede kleine Besorgung im Ort das Auto nehmen«, antwortete Iris. »Und das Thermostat im Haus um ein paar Grad heruntersetzen.«
»Das mit dem Fahrrad sagen wir schon seit Jahren, tun es aber nur selten, eigentlich nie, und das mit den Temperaturen halte ich für eine schreckliche Idee. Ich will nicht im Alter in einer frostigen Wohnung sitzen.«
|29|Marder schüttelte sich, der Gedanke an ein kaltes Wohnzimmer jagte ihm einen eisigen Schauer über den Rücken.
»Vielleicht sollten wir uns an der Börse an den Spekulationen ums Erdöl beteiligen – mit unserer Rente könnten wir da jederzeit einsteigen. Wir würden dann jedes Mal ein bisschen Geld verdienen, wenn wir Auto fahren oder die Heizung anmachen. Und je höher wir die Temperatur stellen, umso mehr sahnen wir ab.«
»Schatz, lass das lieber, damit bringst du nur den Weltmarkt durcheinander.«
Die Erörterung der Neuigkeiten aus der großen Welt war damit abgeschlossen. Das Aroma frischen Kaffees wehte aus der Küche und Marders gute Laune bekam einen Schub.
»Guck mal«, meinte Iris, als sie die Überschriften auf der ersten Seite des Regionalteils las. »Das Böse in Barsinghausen schläft nicht. Hier steht, dass ein Mann vorgestern ein blutiges Messer im Wald gefunden hat. Es lag bei einem Parkplatz auf der Erde.«
Marder war sofort bei der Sache. Das hörte sich nach einem Verbrechen an. Kriminalität und deren Aufklärung waren früher der Sinn seines Lebens gewesen. Seit seinem Ruhestand war er nicht länger als Jäger des Bösen unterwegs, den wesentlichen Verbrechen und den damit verbundenen Ermittlungen folgte er in den Medien jedoch mit dem Interesse eines Experten. Gelegentlich behauptete er seiner Frau gegenüber, dass er einen Fall schneller gelöst hätte als die aktive Generation der Kriminalbeamten. Iris lächelte dann nachsichtig und meinte, er könne nur nicht akzeptieren, dass er zum älteren Eisen gehöre, das bei der Bekämpfung der modernen Kriminalität nicht mehr zu gebrauchen sei.
|30|»Gib doch bitte mal her«, sagte er und nahm seiner Frau die Zeitung aus der Hand, bevor sie die Chance hatte, sie ihm freiwillig zu geben.
Die Polizei in Barsinghausen hatte gestern die Presse informiert, dass am Nachmittag zuvor, um circa 16 Uhr, ein Jogger ein blutiges Messer im Wald am Rande eines Parkplatzes bei der Freilichtbühne entdeckt hatte. Der Mann rührte das Messer klugerweise nicht an, sondern hatte die Polizei über sein Handy zu dem Parkplatz gerufen. Er erklärte den Beamten, er habe das Messer gesehen, als er sein Auto ganz am hintersten Ende des Platzes abgestellt hatte und ausgestiegen war. Dabei habe er sofort bemerkt, dass es mit Blut beschmiert war. Der Bericht fuhr fort, dass auch an dem Baumstamm, neben dem das Messer gelegen habe, Spuren von Blut gefunden worden seien. Eine erste vorläufige Untersuchung habe ergeben, dass es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um menschliches Blut handele, was man nach dem Abschluss der Tests noch einmal endgültig bestätigen würde. Oder notfalls dementieren, das sei jedoch eher unwahrscheinlich. Die Polizei habe nach den ersten Überprüfungen in der Nähe des Fundortes keine weiteren Spuren finden können, und man hoffe, dass sich die Frage, woher das Messer stamme und wie es in den Wald gelangt war, schnell und undramatisch aufklären würde. Ein Verbrechen lasse sich jedoch nicht ausschließen, und deswegen wende sich die Polizei zu diesem frühen Zeitpunkt der Ermittlungen an die Öffentlichkeit. Wenn jemand eine sachdienliche Mitteilung in dieser Angelegenheit machen könne, solle er sich umgehend bei der Polizei melden.
Frau Thann erschien mit einem Tablett, auf dem sie eine |31|Kaffeekanne und eine Teekanne balancierte. Beide Gefäße sowie die dazugehörenden Tassen sahen