Blutholz. Wolfgang Teltscher

Blutholz - Wolfgang Teltscher


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jetzt hatte die Oberschwester nur so dahingesagt, sicherlich ohne sich etwas dabei zu denken, aber Marder wurde hellhörig.

      »Was meinen Sie mit jetzt? Ging es ihr vorher nicht gut.«

      »Wissen Sie, es steht mir eigentlich nicht zu, über meine Kolleginnen zu tratschen, aber da Sie Anja ja kennen, kann ich Ihnen sagen, dass ich mir in der letzten Zeit, in der sie hier gearbeitet hat, gelegentlich Sorgen um sie gemacht habe. Sie war nicht mehr die freundliche, ausgeglichene Person, die sie früher meistens war.«

      »Meinen Sie mit letzter Zeit, die Zeit seit dem Selbstmord ihrer Mutter.«

      »Ach, darüber wissen Sie auch Bescheid. Sind Sie ein Verwandter von ihr?«

      »Nein. Ich war damals noch bei der Polizei und war dienstlich in die Angelegenheit verwickelt.«

      |48|»Na, ich hoffe jedenfalls, Anja fängt sich wieder.«

      Die Frau schob einen Stapel Papiere auf dem Schreibtisch zusammen, stand auf und zog ihren Schwesternkittel zurecht.

      »So, jetzt müssen wir Schluss machen. In ein paar Minuten kommt der Chef, unser Oberarzt, zur Visite, da muss ich mich noch ein bisschen vorbereiten, und Sie sollten dann auch in ihrem Körbchen liegen, sonst gibt es einen Eintrag ins Klassenbuch.«

      Iris holte ihn am nächsten Morgen erleichtert aus der Klinik ab und brachte ihn in die Pension Marianne, wo er eine ruhige Nacht und ein reichliches Frühstück genoss.

      »Es tut mir leid, dass Sie ein paar Tage im Krankenhaus herumliegen mussten. Ich hoffe, es war nicht zu schlimm. Das Wichtigste ist, dass es Ihnen wieder gut geht«, tröstete ihn die freundliche Wirtin, als die Marders sich anschickten, von ihr Abschied zu nehmen.

      »Ich will Ihnen die Details der Behandlung lieber ersparen, die finden Sie vielleicht unappetitlich, aber ansonsten war es auszuhalten. Ich habe das Gefühl, die Krankenschwestern werden immer jünger und schöner, aber vielleicht kommt es mir nur so vor, weil ich älter und hässlicher werde.«

      Iris war gerade nicht in Hörweite, sonst hätte er von seiner Liebsten sicherlich eine Rüge für diese Bemerkung eingefangen. Schlimmer wäre es noch, wenn sie ihm zustimmen würde.

      »Mir tut es natürlich leid, dass ich ein paar Tage auf Ihr köstliches Frühstück verzichten musste.«

      Marder sagte auch das leise, das musste Iris nicht unbedingt mitbekommen. Sie servierte ihm zu Hause als Frühstück |49|meistens nur Vollwertmüsli. Das war gut gemeint und stellte eine gesunde Grundlage für das zweite Frühstück dar, das er im Laufe des Vormittags gelegentlich in seinem bevorzugten Stehcafé in der Stadt zu sich nahm.

      »Kommen Sie doch einmal zu uns nach Stade, Frau Thann. Wenn die Pension geschlossen ist, nehmen Sie sich hoffentlich Zeit, Ihre Freunde zu besuchen.«

      Frau Thann bedankte sich mit einem Lächeln, das sagte, dass sie unter Umständen auf diese Einladung zurückkommen würde, sich heute aber nicht festlegen wolle. Sie antwortete unverbindlich.

      »Das wäre durchaus möglich. Wundern Sie sich nicht, wenn ich eines Tages mit drei Koffern für einen mehrwöchigen Aufenthalt vor Ihrer Haustür stehe.«

      »Das meinen Sie wahrscheinlich als Drohung, ich betrachte es als Versprechen.« Das war nur eine kleine Notlüge. »Sagen Sie, im Krankenhaus bin ich nicht zum Zeitunglesen gekommen. Gibt es etwas Neues über das Messer im Wald?«

      »Nicht viel. Gestern Morgen stand in der Zeitung, dass die Polizei immer noch nicht weiß, wem das Messer gehört hat oder wie es dorthin gekommen ist. Es hieß lediglich, dass die Blutspuren an dem Baumstamm, neben dem das Messer lag, definitiv von der gleichen Person sind wie das Blut an dem Messer. Allerdings seien bisher immer noch keine Personen als vermisst gemeldet worden, die als Opfer infrage kommen. Da sich trotz der Meldungen in den Medien niemand gemeldet hat, dem das Messer gehört, müsse man von einem möglichen Verbrechen ausgehen. Heute war nichts Neues in der Zeitung.«

      »Vielleicht erledigt sich die Angelegenheit von ganz allein |50|und wird nie aufgeklärt werden. Das wäre für einen alten Kriminalbeamten wie mich keine Überraschung. Es gibt auf der Welt mehr Verbrechen als Täter, die dafür büßen müssen. Leider gilt das für Mörder genausogut wie für Taschendiebe.«

      »Soll ich Sie auf dem Laufenden halten, wenn sich was Neues ergibt? Ich könnte Ihnen Zeitungsartikel zufaxen, so weit beherrsche ich inzwischen die moderne Kommunikationstechnik.«

      Marder hob abwehrend die Hand.

      »Nein, danke. Die Mühe brauchen Sie sich nicht zu machen. Ich werde gelegentlich auf die Homepage der hiesigen Lokalzeitung schauen. Man kann sich ja heute im Internet über alles informieren, was irgendwo auf der Welt geschieht.«

      Sydney, der Kater mit dem Ausrufungszeichen über der Nase, registrierte die gepackten Reisetaschen im Flur und kam herbei geschlendert. Entweder bedeutete das, dass neue Gäste ankamen oder dass alte abreisten. Das Letztere war ihm lieber, dann herrschte wieder Ruhe im Haus, und Frau Thann konnte ihre Aufmerksamkeit auf ihn konzentrieren und die ihm zustehenden Mahlzeiten rechtzeitig servieren. Er stellte zu seiner Zufriedenheit fest, dass ein Abschied stattfand, und zeigte seine Freude darüber, indem er sein Fell an Marders Bein rieb. Marder missverstand diese Geste, er glaubte, dass die Katze seine Abreise bedauere.

      |51|11.

      25km/h max sagte das Schild an der Hinterseite des Anhängers, der von einem Traktor gemächlich über die Landstraße gezogen wurde. Marder hatte die Lehne seines Sitzes auf ›zehn nach‹ gestellt und in den letzten Minuten dreimal sein Gewicht von der linken auf die rechte Seite und wieder zurück umgelagert. Ein unangenehmer Nachschmerz erinnerte ihn daran, dass noch vor wenigen Tagen ein Katheter in seinem Körper gesteckt hatte. Iris hatte darauf bestanden, zu chauffieren. Er blinzelte seine Frau durch halb geöffnete Augen von schräg hinten an, während sie sich auf das Bauerngefährt vor sich konzentrierte. Sie hatte zwei Gelegenheiten verpasst, den Traktor zu überholen, er unterließ es, sie darauf hinzuweisen, es schien, als genieße sie das langsame Tempo, das der Traktor ihr aufzwang. Sie überholte ungern auf Landstraßen, was ihr den gelegentlichen »Scheibenwischer« eines ungeduldigen Fahrers einbrachte. Sie sagte dann eher belustigt als verärgert: »Lieber langsam auf der Erde als schnell in den Himmel – oder in die Hölle.«

      Er stellte mit Stolz fest, dass seine Frau für ihr Alter jugendlich und unverbraucht aussah. Andere Männer schätzten sie sicherlich zehn Jahre jünger ein, als sie es tatsächlich war, und beneideten ihn um seine jugendliche Frau. Sie hatte in der letzten halben Stunde geschwiegen und über etwas nachgedacht, ohne ihre Gedanken mit Marder zu teilen.

      Sie fuhren hinter Nienburg durch eine Allee aus ehrwürdigen Bäumen. Eichen, Buchen, Kastanien oder Linden – die Bäume trugen keine Blätter, an denen er sie erkannt hätte. Außerdem blendete ihn die Sonne. Links und rechts der Straße |52|erstreckten sich sandige Ackerflächen, auf denen das erste Grün aus der Erde schaute, aus dem sich im Sommer Weizen, Kartoffeln oder Mais entwickeln würde. Dazwischen Spargelfelder mit schnurgeraden Furchen, wie Wellpappe unter einem Vergrößerungsglas. Zwischen den Feldern Kiefern und Fichten in Zweierreihen, die den Wind brachen.

      »Iris, weißt du eigentlich, dass im alten China die Ärzte nicht dafür bezahlt wurden, dass sie ihre Patienten von Krankheiten heilten, sondern dafür, dass sie gar nicht erst krank wurden?«

      »Das hast du mir neulich schon mal erzählt.«

      »Tut mir leid, das hatte ich ganz vergessen.«

      »Das macht nix, obwohl ich mir langsam Sorgen mache, dass du immer öfter Sachen vergisst. Aber abgesehen von deinen Problemen mit dem Gedächtnis kann ich mir das mit den chinesischen Ärzten nicht vorstellen. Wie kommst du gerade jetzt darauf?«

      »Wenn man so nutzlos im Krankenhaus herumliegt, kommen einem seltsame Gedanken. Man muss sich ja irgendwie beschäftigen, während man wartet, bis wieder ein Tag rum ist. Übrigens glaube ich genau wie du, dass die Sache mit den chinesischen Ärzten nur eine Geschichte ist, die sich jemand ausgedacht hat, um die fernöstliche


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