Blutholz. Wolfgang Teltscher
schönere Dinge, mit denen man sich beschäftigen kann.«
»Was meinst du damit?«
»Nichts Besonderes. Aber da sind zum Beispiel die Krankenschwestern, die euch Männer ablenken. Manche von den Schwestern sahen richtig gut aus, fand ich.«
|53|»Vergiss nicht, dass in der Urologie für einen Mann alles ein bisschen peinlich ist, vor allem fremden Frauen gegenüber. Aber du hast trotzdem recht. Wenn man da so herumlungert, guckt man sich die Schwestern aus lauter Langeweile ein bisschen näher an. Manchmal freut man sich über das, was man sieht, und Freude soll ja angeblich den Heilungsprozess beschleunigen. Mit einem Katheter in den betroffenen Körperteilen ist das alles aber nicht so auf- oder erregend.«
Im nächsten Dorf bog der Trecker vor ihnen in einen Bauernhof ab, ein typischer Heidehof mit einem massigen Gebäude aus roten Backsteinen. Der imposante Innenhof war zur Straße hin offen, vor einem Seitengebäude waren drei Pferde angeleint, denen ein junger Mann mit einem Wasserschlauch die Beine abspritzte. Als der Traktor sich zur Seite drehte, stellte Marder fest, dass er von einem Mädchen gelenkt wurde, das nicht älter als achtzehn Jahre alt sein konnte. Das imponierte ihm, die jungen Leute auf dem Land waren anderen Anforderungen ausgesetzt als die verweichlichte Jugend in den Städten. Wahrscheinlich wurden sie auch seltener krank, weil sie durch die güllige Landluft und die Bakterien in den Ställen abgehärtet waren.
Iris unterbrach seine Betrachtungen.
»Ich will ja nicht, dass du denkst, ich wäre eifersüchtig auf die Schwestern oder so was … ich gönne dir ja deine kleinen Freuden … ich habe mir nur Sorgen gemacht, dass du dich vielleicht im Krankenhaus gelangweilt hast.«
»Das verstehe ich, mein Schatz. Übrigens zwei von den Schwestern sind mir tatsächlich aufgefallen.«
|54|»Das waren wahrscheinlich die mit den großen Oberweite. Bei denen hat die Schwesterntracht ganz schön gespannt.«
»Das kann schon sein. Aber darum geht es nicht.«
»Das wundert mich. Bei euch Männer geht es doch immer um den Busen.«
»Das ist überhaupt nicht wahr, manchmal geht es auch um den Hintern.«
Iris verriss das Steuerrad, konnte sich aber wieder korrigieren. Marder versuchte es ebenfalls.
»Hör zu, das war nur ein Scherz, das mit dem Hintern. Du kennst doch meinen Humor.«
Um Iris’ Mund zuckte ein winziges Lächeln.
»Also, was war nun mit den Schwestern?«
»Das waren die Schwestern Sonja und Johanna. Wie gesagt, beide sehen toll aus, das ist nicht nur meine Meinung, auch meine Zimmergenossen haben das mit Freude registriert.«
Nach mehreren Jahrzehnten Ehe konnte sich Marder die Mitteilung einer solchen Beobachtung gegenüber seiner Frau leisten, sie wusste längst, dass ihr Mann, wenn er über Frauen um die zwanzig oder dreißig sprach, über Träume und nicht über Realitäten redete.
»Was mir dabei aufgefallen ist, dass die Sonja immer fröhlich und guter Laune war, während die Johanna immer ganz traurig geguckt hat. Ich bin mir sicher, dass sie eine unglückliche Frau ist. Das sah man ihren Augen an.«
»Bist du ganz sicher, dass du dir das nicht nur einbildest?«
»Es war jedenfalls mein Eindruck, eventuell habe ich mich aber in unsinnige Vorstellungen verrannt, weil ich mich gelangweilt habe, während ich müßig im Bett herumlag. Vielleicht |55|lag es auch daran, dass auf der Station diese Zeitschriften herumlagen, die sich ausschließlich mit – wie soll ich sagen? – zwischenmenschlichen Themen befassen.«
»Ich dachte, ihr Männer seid gegen solche Gefühlsduseleien immun.«
»Das ist nicht korrekt, mein Herz. Wir haben genauso viele Gefühle wie die Frauen, wir reden nur nicht ständig darüber. Aber um auf Schwester Johanna zurückzukommen, bei der bin ich absolut überzeugt, dass sie eine unglückliche Person ist.«
»Ich sage ja immer, dass gutes Aussehen keine Garantie für Glück ist. Vor allem nicht, wenn es um Liebe geht. Wenn sie wirklich so unglücklich ist, wie du sagst, gehe ich jede Wette ein, dass da ein Mann dahintersteckt.«
»Wenn das stimmt, dann muss der ganz schön blöd sein, einer so gutaussehenden Frau einen solchen Kummer zu machen.«
»Manchmal bist du ein richtiger Macho. So als ob Aussehen das Einzige ist, worauf es bei einer Frau ankommt.«
»Entschuldige, aber nicht jeder Mann kann das Glück wie ich haben, eine blendend aussehende Frau zu finden, die obendrein noch einen genau solchen Charakter hat.«
»Hör auf, mir zu schmeicheln, aber du hast in Bezug auf mich natürlich recht. Ich habe ja keine Ahnung, welche Probleme die Schwester Johanna hat, aber wenn es sich um ihr Liebesleben handelt, dann wird es vermutlich so sein wie meistens. Ihr Freund hat sie vielleicht verlassen, weil er sich in eine andere Frau verliebt hat, und sie ist wütend auf ihn. Und jemand der wütend ist, sieht meistens traurig und unglücklich aus.«
|56|Marder nickte zustimmend. Wenn es um Beziehungen zwischen Männern und Frauen ging, war Iris eine richtige Philosophin. Er war stolz darauf, nicht nur mit einer jugendlich aussehenden, sondern auch klugen Frau verheiratet zu sein.
»Übrigens«, sagte sie, »was ich dir immer schon mal sagen wollte. Ich hätte dir auch die Augen ausgekratzt, wenn du auf eins der Mädchen in deiner katholischen Jugendgruppe hereingefallen wärst, die dich immer so liebevoll angeschaut haben.«
»Das war doch völlig harmlos, damals war mein Lebensziel noch, ein Heiliger zu werden, mit Zölibat und so. Aber dieses Projekt hast du ja ruiniert.«
Die Heide, durch die sie fuhren, war wenig abwechslungsreich, sie sah nicht einmal wie Heide aus, vor allem war von typischen Heidepflanzen wie Erika keine Spur. Es war eine baumlose Fläche von rechteckigen, ebenen Feldern. Er ließ seine Gedanken ins Unnütze schweifen, schlief darüber ein und wachte nach einer kleinen Weile erschrocken wieder auf, weil er im ersten Moment nicht wusste, wo er war und warum.
Die Landschaft hatte sich zum Besseren verändert. Am Straßenrand standen Birken, auf beiden Seiten des Weges lagen feuchte Wiesen und Moorflächen, die von Gräben entwässert wurden. Sie fuhren durch ein kleines, ziemlich armseliges Dorf, das Büttenwarder hieß. Marder kam der Name bekannt vor, aber er konnte sich nicht erinnern, woher. Ein Mofa kam ihnen entgegen, auf dem zwei Bauern in verschlissener Arbeitskleidung saßen und in Schlangenlinien die Dorfstraße entlangfuhren. Iris musste scharf bremsen und |57|rechts an den Straßenrand fahren, um nicht mit dem Mofa zu kollidieren. Dieses leicht vernachlässigte Dorf war zum Glück eher die Ausnahme in einer ansonsten schmucken bäuerlichen Gegend.
Sie überquerten kleine Flüsse, die in westlicher Richtung, vermutlich zur Weser, flossen. In den Orten waren viele Fachwerkhäuser in den letzten Jahren restauriert worden und strahlten ein Gefühl von Tradition und Geborgenheit aus. An den Rändern der meisten Dörfer waren Gewerbegebiete gewachsen, deren nüchterner Anblick im krassen Gegensatz zum Charme der alten Ortskerne stand. In Rotenburg an der Wümme machten sie Halt und fanden ein romantisches Café in der Innenstadt. Marder bestellte sich ein Stück Schokoladentorte mit einem Schlag Sahne. Iris, nach einem missbilligenden Blick auf die Kalorienbombe ihres Mannes, orderte ein Stück Obstkuchen ohne Sahne.
Bei Sittensen nahm Iris das Gespräch wieder auf.
»Wenn ich ehrlich bin, muss ich gestehen, dass mich das Schicksal von Schwester Johanna nicht sonderlich interessiert. Aber weißt du, woran ich oft denken muss, seit wir in Barsinghausen waren und an dem Teich gesessen haben, wo Matuschek gestorben ist?«
»Da du den Teich erwähnst, glaube ich, kann ich es mir denken.«
»An die Kinder der Matuscheks. Was die beiden in den letzten Jahren durchgemacht haben, würde man seinem schlimmsten Feind nicht wünschen. Es wäre kein Wunder, wenn sie sich manchmal sonderbar benehmen und auf Leute, die ihren Hintergrund nicht kennen, einen seltsamen Eindruck machen.«
|58|»So was Ähnliches hast du ja schon