Fälschungen, Verwandlungen. Burkhard Müller
die nächste Erkundigung nach sich: »Aber wann ist etwas Kunst?« Hier nun sieht sich Wolfgang Beltracchi zu einer etwas längeren Auskunft genötigt. »Für den Zyniker definiert sich Kunst über Geld. Das ist natürlich eine ganz traurige Aussage. Ein Künstler aber ist jemand, der kreativ tätig ist.« Da scheint es nun wieder im Kreis herumzugehen, denn was hieße »kreativ«? Beltracchi aber fügt schmunzelnd (so stellt man sich vor) hinzu: »Lesen Sie mal ein Buch von Beuys. Dann wissen Sie überhaupt nicht mehr, was Kunst ist.«
So viel jedenfalls wird klar: Zu den Zynikern rechnet Beltracchi sich nicht. Eher schon den Beuys, der für solche Verwirrung gesorgt hat. Und besonders schlecht zu sprechen ist er auf Damien Hirst, der den Kunstmarkt als solchen für Kunst erklärt hat – zahlt dieser doch für ein Stück Superkitsch wie Hirsts diamantbesetzten Schädel Summen, die mental nur verkraftet, wer das Ganze als Performance bucht. Gegenüber einem Windhund wie Hirst und einem Schamanen wie Beuys wünscht sich Beltracchi als aufrechter Schöpfer abzusetzen. Hier fängt es eigentlich an, interessant zu werden. Der »Spiegel« aber, der schon zwei Tage hinter sich hat und ermüdet ist, spricht an diesem Punkt seine klassische Entlassungsformel: »Frau Beltracchi, Herr Beltracchi, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.«
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Bestraft worden sind die zwei als Kriminelle. Dagegen legen sie nicht ernsthaft Beschwerde ein, sie finden es schon in Ordnung, dass sie im Knast sitzen, wenngleich sie anmerken, dass sie dort erst auf Verbrecher im engeren Sinne getroffen seien, »Mörder, Kinderficker, Totschläger«, wie sie ihren Interviewern zu Protokoll gegeben haben. Als Betrüger hat man sie verurteilt. Betrug definiert sich strafrechtlich als die Vorspiegelung falscher Tatsachen, um sich (oder einem anderen) einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Juristisch ist das alles eindeutig.
Aber der große Kunstfälscher übt eine Strahlkraft aus, die anderen Straftätern, welche nach demselben Paragraphen abgeurteilt werden, doch fehlt. Keiner mag den Finanzier, der Kleininvestoren um ihre Ersparnisse prellt. Ein Hacker, der die Sicherheitsvorkehrungen des Internets austrickst, erzeugt ein gewisses kühles, wenn auch nicht unfreundliches Interesse daran, wie er es geschafft hat, das System zu schlagen – und das System wird ihn, wenn es schlau ist, nach erbrachtem Gesellenstück in die eigenen Reihen holen, damit er seinesgleichen das Handwerk legt, wie einen zum Förster bekehrten Wilderer. Beim Geldfälscher horcht jeder auf: das ist nicht mehr lustig! Er mag als Handwerker noch so Bedeutendes geleistet haben, sein Werk bedroht unmittelbar das Barvermögen jedermanns, und entsprechend schlägt ihm Abscheu entgegen. Wer Waren mit falschem Markennamen vertreibt, wird in Maßen noch als Gefahr wahrgenommen, wenn es dabei z. B. um Medikamente geht, für die er den Qualitäts-Standard nicht garantieren kann; sobald es sich aber lediglich um Klamotten und Handtaschen handelt, denken sich die meisten Leute nicht viel mehr als: selber schuld. Selber schuld sind die plagiierten Firmen, die sich in ihrer Gier so viel extra für ein bloßes Logo zahlen lassen wollen, dass es zum Unterschleif geradezu herausfordert; selber schuld sind aber auch die Käufer, die meinen, dass sie den wahren Jakob auch als billigen Jakob kriegen könnten.
Juristisch also wie gesagt ist es klar genug, worin hier Vorspiegelung und Rechtswidrigkeit bestehen: dass der Urheber behauptet, das Bild, welches er selbst gemalt hat, stamme vielmehr von einem weit höher geschätzten Meister als ihm, und dafür einen Betrag kassiert, der beträchtlich über dem liegt, was er bekäme, gäbe er das noch so schöne Werk als das Produkt von eigener Hand aus, das es ist.
Woher aber rühren dann das Unbehagen und die Faszination, die der Kunstfälscher auslöst, der, wie selbst seine Gegner es widerwillig formulieren, große Fälscher? Ich glaube, dass hier verschiedene Quellen zusammenfließen; und dass sich die Erinnerung an mehrere Figuren vereint, die in der jüngeren Geschichte halb, aber eben nur halb in Vergessenheit geraten sind, um nun in dieser Kompositgestalt neu aufzuleben, nicht ohne freudiges Wiedererkennen.
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Zunächst verkörpert sich in Wolfgang Beltracchi und seiner Frau Helene, die in jeder Hinsicht als seine vollauf gleichberechtigte Partnerin (oder Komplizin) firmiert, der Typus des Hippies. Man schaue sich die Fotos dieses stattlichen Paares an: Beide haben sie Haare von einer wallenden Länge und Menge, wie man es heute bei einem Mann nur noch als spezielles Markenzeichen registriert und bei einer Frau jenseits eines bestimmten Alters eher unpassend findet. Man darf natürlich so herumlaufen, wie man heutzutage alles darf; aber wir glauben doch Bescheid zu wissen, was es mit solchen den Sechzigern und Siebzigern verhafteten Gestalten auf sich hat. Beltracchi macht auch durchaus keinen Hehl daraus, dass dies seine prägende Phase war; der 1951 Geborene verdiente sein Geld damit, sich in Amsterdam in all seiner malerischen Locken- und Textilpracht von Touristen fotografieren zu lassen. Es müsse, sagt er launig, eine unendliche Menge solcher Schnappschüsse geben, in denen er nicht als Subjekt, sondern als Objekt der Kunst auftrat. Als Akteur übte er sich ins Reich der Kunst zunächst recht anspruchslos ein, indem er die Flohmärkte mit Antiquitäten versorgte. Der Flohmarktkunde denkt nicht historisch; er fühlt sich heimisch im Zweierlei von »Jetzt« und »Früher«. Dem ließ sich im Angebot leicht entsprechen. Die Hippies rebellierten nicht eigentlich gegen die ältere Konvention, sie kündigten ihr heiteren Sinns die Gefolgschaft, wobei ihr Widerspruch ohne Nebensätze auskam. Die beiden Beltracchis hingegen verwirren den nostalgisch-herablassenden Blick, der sich auf sie richtet, durch ihre wache Präsenz. Ungebunden sind sie, doch nicht blöde; bestimmt in dem, was sie wollen und tun, und dennoch keineswegs spießig. Mögen sie auch ihre Haftstrafen abbüßen, sie sind erkennbar freie Menschen.
Zweitens tritt der Fälscher das Erbe des Hochstaplers an. Der Hochstapler ist ein paradoxes Phänomen: Er untergräbt die Hierarchie der Gesellschaft, in der er sich bewegt, indem er sich ihr bis zur völligen Selbstaufgabe fügt. So müssten die herrschenden Klassen mit ihm eigentlich recht zufrieden sein – wenn er die Angleichung nicht, statt als osmotischen Prozess, vielmehr aufgrund einer bewussten Berechnung vollzöge. So entlarvt er die scheinbare Naturwüchsigkeit der sozialen Rollen als etwas, das gewollt und willkürlich ist und sich folglich auch ändern ließe. Das Unnachahmliche, das die Elite für sich in Anspruch nimmt, macht er als nachahmlich durchschaubar und gibt so das bedenklichste Beispiel. Der Hauptmann von Köpenick bewies, dass gebügelte Uniform und schnarrende Stimme genügen, um das vollgültige Inbild preußischer Autorität zu verkörpern. Wo man dem Lügner aufs Wort glaubt: auf welche Wahrheit des Ganzen lässt sich schließen? Bestürzen muss daran, dass die ideale Erfüllung des Erforderten gerade dem frech-devoten Unbefugten gelingt. Verhaltensforscher sprechen von »überoptimalen« Signalen: Alle Möwenjungen picken nach einem roten Punkt auf dem Schnabel der Elterntiere und werden daraufhin gefüttert. Bietet man den Jungen eine Attrappe mit einem noch viel röteren und größeren Punkt dar, picken sie nach diesem noch viel stürmischer und übersehen ihre tatsächlichen Eltern, von denen allein sie doch was zu fressen kriegen. So kann eine Fälschung sich leicht als der überoptimale Doppelgänger des Originals bewähren. Und ganz zu Recht bildet sich Wolfgang Beltracchi viel darauf ein, dass die Witwe von Max Ernst ein Gemälde, das in Wirklichkeit von ihm stammte, begeistert als das beste Bild ihres verstorbenen Mannes rühmte. Beltracchi war es seiner Künstler- und Ganovenehre schuldig, ihr da voll und ganz recht zu geben.
Zum dritten setzt Beltracchi eine Tradition fort, die in den ästhetischen Debatten des 18. Jahrhunderts eine entscheidende Rolle spielte, mit der Moderne und was ihr folgte aber ihre Stellung sukzessive eingebüßt hat: die des Kunstrichters. Es muss, so sah es dieses aufgeklärte Zeitalter, gewisse objektive, jedoch notwendig in der subjektiven Kategorie des Geschmacks vermittelte Kategorien dafür geben, was Kunst sei und was nicht, und was das jeweilige Einzel-Kunstwerk tauge. So etwas lässt sich der Kunstbetrieb inzwischen nicht mehr gefallen. Ist es übertrieben zu behaupten, dass Kunstkritik in einem emphatischen Sinn heute gar nicht mehr existiert? In den Bereichen von Theater, Literatur und Film hat sich eine annähernd unabhängige kritische Instanz bis auf die Gegenwart erhalten, die neben dem Gradmesser des ökonomischen Erfolgs und nicht selten gegen ihn ihre Position verteidigt. Was jedoch die bildende Kunst betrifft, so drückt sich ihre Wertschätzung primär und nahezu ausschließlich in den für sie notierten und gezahlten Preisen aus. Sie verdanken sich einem fieberhaften Hype, der sich, wenn schon nicht ohne Absicht, doch im Großen und Ganzen so blind vollzieht wie bei den Aktienkursen. Die Experten in ihren dienstfertigen Katalog-Artikeln registrieren es nur noch