Fälschungen, Verwandlungen. Burkhard Müller
sieht man, was er meint: Er war wirklich ein unwahrscheinlich begabter Zeichner, weit begabter, als seine Zeitgenossen wahrhaben wollten, die ihn vor allem als Exzentriker schätzten. Aber wozu sollte es im 20. Jahrhundert gut sein, wenn einer vollendet das konnte, was dreihundert Jahre früher auf der Höhe der Zeit war? Die Rede ist nicht nur von dem mechanischen Vermögen, von einem anderen fertig etwas zu übernehmen, zu dessen Ausbildung dieser sein ganzes Leben gebraucht hatte – sondern einem echten Talent (was immer man sich darunter genau vorstellen mag). Doch wer es hat, sitzt nach gängiger Auffassung in einem nutzlosen Anachronismus gefangen, ungefähr so, wie wenn heute jemand die steinzeitliche Technik der Klingenherstellung genauso gut beherrschte wie ein Mammutjäger. Die seitherige Entwicklung der Waffen ist über die Klingenindustrie hinweggegangen. Dennoch ist nicht leicht anzugeben, worin genau der Anachronismus denn bestünde, denn im Gegensatz zum technologischen Fortschritt wird ein eigentlicher Fortschritt im Fall der Kunst ja entschieden bestritten. Die Wertschätzung für Rembrandt steht so hoch wie oder höher als vor einem Drittel Jahrtausend. Rembrandt hat damals etwas geschaffen, was bis heute in Ehren besteht. Warum also wäre einer, der so begabt ist wie Rembrandt, darum heute kein Rembrandt mehr?
Hier liegt etwas mit dem Begriff der Tradition im Argen. Sie dauert an bis in die Gegenwart; und doch wird ihr die edelste Frucht versagt, die Tradition zeitigen kann, nämlich die Fähigkeit, neue Werke ihresgleichen hervorzurufen. Solche Tradition soll zwei Eigenschaften haben, die sich nur schwer vereinbaren lassen: Lebendig soll sie sein, aber doch auch abgeschlossen – wo sich doch nur im Offenen das Lebendige vollzieht.
Diesen Widerspruch hat Janssen als seine persönliche Tragik ausbaden müssen. Der Fall Beltracchi ist nicht tragisch, aber krasser. Sein Wirken trägt statt dessen Züge der Komödie, ja der Satire. Es wird in der individuellen Zuspitzung exemplarisch eine Gesamtlage sichtbar, mit den Affekten des Schmerzes für die unmittelbar Betroffenen, des Schrecks bzw. der schadenfrohen Erheiterung für die Allgemeinheit. Erheiterung und Schreck verhalten sich dabei komplementär zueinander und haben durchaus im selben Bewusstsein Platz. Der Sachverhalt, den Beltracchi zum Vorschein gebracht hat, lautet: Es gibt kein einziges Merkmal des Kunstwerkhaften in der Kunst, das sie mit Sicherheit als Kunst beglaubigt – solang man unter Kunst um jeden Preis etwas Originales verstehen will. Der emphatische Begriff des Originals wird sich nach Beltracchi möglicherweise nicht mehr halten lassen. Vielleicht werden die Namen der Künstler wieder hinter den Werken versinken wie bei den mittelalterlichen Dombauhütten. Schwer vorstellbar, dass vom Bamberger Reiter zwei Generationen nach seiner Fertigstellung eine »Fälschung« in Umlauf geraten wäre, aus dem einfachen Grund, weil es nichts daran gab, was sich fälschen ließ. (Schule gemacht hat er natürlich trotzdem.)
Dass es zum Schluss der Lapsus mit der falschen Farbtube war, der den Nach- und Weiterschöpfer zu Fall brachte, kann darüber nicht hinwegtäuschen. Beltracchis Enttarnung hat die Geschlossenheit der betreffenden Werke auf kontingentem Weg wiederhergestellt. Er konnte verhaftet und verurteilt werden; widerlegt ist er nicht. Im Prozess ging es um vierzehn Gemälde, weitere rund fünfzig hat er zugegeben; aber er schätzt, dass in den Museen und Sammlungen immer noch rund zweihundertfünfzig seiner Schöpfungen hängen. Warum hat er, da er schon am Gestehen war, nicht auch sie identifiziert?
Ganz einfach, sagt er: Es hat ihn keiner danach gefragt. Ein Versehen war das wohl nicht. Müsste man auch alle diese Bilder »abschreiben«, wie der bezeichnende Ausdruck sowohl im Banken- als auch im Kunstwesen lautet, entstünde leicht ein Schaden, den man sich am besten so vorstellt wie im Film »Batman«, wo der Joker eine Milliarde Dollar in großen Scheinen verbrennt. So weit wollten es offenbar weder Justiz noch Kunstbetrieb kommen lassen. Es genügte ihnen, die sprudelnde Quelle zu verstopfen, um die weitere Verwässerung des Kunstwerts prinzipiell zu verhindern; das bereits angefüllte Reservoir auszuschütten aber wäre ein zu großer konkreter Verlust gewesen. Diese Bilder also hängen weiterhin in den Galerien der Welt, rechte Kuckuckskinder, die keiner von den echtbürtigen unterscheiden kann und jeder genauso liebt wie die eigenen – solang, bis er eines Tages entsetzt dahinterkommt, wer sie wirklich gezeugt hat. Beltracchis Bomben ticken weiter, und kein Mensch weiß, ob und wann sie hochgehen werden.
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So etwas wie, dass Rembrandt auch nicht besser war, würde Beltracchi nicht sagen. Er deutet vielmehr an, dass Rembrandt an ihn nicht heranreicht; er tut es indirekt, wenn er von der Leichtigkeit, ihn zu fälschen, spricht. Beltracchi übertrifft in der Tat auf zweierlei Weise die Künstler, deren Werk er erweitert hat.
Zum einen ist die, man darf ruhig sagen, wissenschaftliche Reflexion an seiner Tätigkeit beteiligt, wie es sonst bei bildenden Künstlern höchst selten geschieht – ein Beispiel dafür gibt sein Kommentar über das Werk von Campendonk; und sie wird bei ihm direkt schöpferisch, was nun wiederum den Kritikern und Historikern versagt zu bleiben pflegt. Zum anderen musste jeder dieser Künstler gemäß vorherrschender romantischer Meinung ja immer nur er selbst sein, eine Leistung, die zweifellos noch dem Unbegabtesten ohne Anstrengung gelingt. Beltracchi aber vermag durch einen Willensakt in jeden einzelnen von ihnen hineinzuschlüpfen; er ist, einer nach dem anderen, sie alle zusammen. Wenn jeder andere Künstler sich damit bescheiden muss, gemäß seiner Anlage nur entweder Löwe oder Nachtigall oder Reh sein zu können (denn der wahre Künstler ist ein Naturphänomen), ist Beltracchi Reh, Nachtigall und Löwe zugleich und Zoologe noch obendrein.
Dieses Vermögen hat viele Zeitgenossen verärgert. Wenn man es charakterisieren will, ohne sogleich in die Verleumdung zu verfallen, bietet sich als Analogon am ehesten die Schauspielkunst an. Auch der Schauspieler bezieht sich auf ein Werk, das ein anderer bereits geliefert hat, in seinem Fall der Bühnendichter, und hantiert mit ihm, indem er eine Rolle übernimmt. Diese Rolle ist pro Drama jeweils eine, aber im nächsten Stück kann es schon wieder eine ganz andere Rolle sein, die er einstudiert; man schätzt ihn geradezu entsprechend seiner Fähigkeit, sich in Verschiedenstes hineinzufinden. Solches Rollenspiel folgt eng dem vorgegebenen Text, muss aber durchaus als eine Kunst eigenen Rechts gewürdigt werden; sie verhilft einem fossilisierten Schatz zum Leben. Hierzu ist es erforderlich, dass der Schauspieler den Schein erzeugt, er sei, obwohl er sie ganz augenscheinlich dennoch bleibt, nicht diejenige bürgerliche Person, deren Name in seinem Pass steht, sondern ein ganz anderer – ein König zum Beispiel, der seit Jahrhunderten tot ist, oder ein Feenwesen, das nie gelebt hat. Er muss sein Publikum dazu bringen, dass es ihm die Transformation glaubt. Es ist ein offener und insofern ehrlicher, ein allgemein akzeptierter Schein, während der Kunstfälscher (und hier endet die Analogie) seinen Schein nur um den Preis der Verhehlung entfaltet. Hier zahlt, anders als auf dem Theater, das Publikum nicht dafür, dass es getrogen wird, sondern weil es sich im Besitz einer unmittelbaren Realität wähnt; nicht als gläubiges konstituiert es sich demnach, sondern als leichtgläubiges. Und doch verschafft des Akteurs nachschöpferisches Werk dem ganzen Umkreis der Kunst Gegenwart in der Performanz. Er verwandelt einen Bestand in eine Bewegung.
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Es ist das Unglück des großen Fälschers, dass der Schein, der in der Welt des Theaters als Rolle und in der Welt der Finanz als Spekulation auf eine ungewisse Zukunft seine Legitimität besitzt, sich bei ihm immer nur als Betrug vollziehen kann. Genau wie die beiden anderen Systeme arbeitet auch das seine auf Kredit – nur dass es ihm verwehrt ist, von dessen schwindelnder Flugbahn wieder auf den Boden des Reellen heimzukehren. Seine Geschosse entschwinden ins Blaue hinein und kommen, sofern überhaupt, nur per Absturz zurück. So ist seiner satirisch-dramatischen Tätigkeit doch unvermeidlich ein Zug des Traurigen und des Hässlichen beigemischt. Ja, Herr Beltracchi ist ein Krimineller, und es fiele mir nicht ein zu verlangen, dass ihm seine Haftstrafe erlassen würde. Die Betroffenen mögen habgierig gewesen und am Ende nicht der Verarmung anheimgefallen sein, der Betrug selbst ein feiner und hoher: Doch am Ende teilt er den Stoff, aus dem er besteht, mit den gröberen Delikten, die nach demselben Paragraphen geahndet werden. Mehr brauche ich dazu nicht zu sagen. Beltracchi ist rechtskräftig verurteilt und hat seine Strafe abgesessen; damit ist das Nötige geschehen, und weitere Empörung auf eigene Rechnung zu mobilisieren (wie es manche Interviewer getan haben), erscheint mir entbehrlich.
Wichtiger ist mir ein anderer Gesichtspunkt: Wie Beltracchi in unenttarntem Zustand zum Wohltäter des Betriebs wurde, so erweist er sich nach seiner Enttarnung zuletzt als der Wohltäter der Kunst. Zuerst