Verräter. Mathias Schreiber
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Reihe zu Klampen Essay
Herausgegeben von
Anne Hamilton
Mathias Schreiber,
geboren 1943 in Berlin, lebt in einem Dorf am Nordrand der Lüneburger Heide. Bis 1982 war er leitender Redakteur beim »Kölner Stadtanzeiger«. Danach wechselte er ins Feuilleton der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. 1991 nahm er seine Arbeit im Kulturressort des »Spiegel« auf, das er 14 Jahre lang leitete. Er hat Bücher über Lyrik, moderne Kunst und Architektur veröffentlicht und widmet sich seit einiger Zeit wieder zunehmend philosophischen und ideengeschichtlichen Themen. Zuletzt ist von ihm erschienen:
»Würde. Was wir verlieren, wenn sie verloren geht« (2013).
MATHIAS SCHREIBER
Verräter
Helden der Finsternis von
Judas bis Snowden
Inhalt
Judas, Alkibiades, Arminius und andere Altvordere des Verrats
Der Spieler der Indifferenz und der Wert des Vertrauens
Denn was auch immer auf Erden besteht,
besteht durch Ehre und Treue.
Wer heute die alte Pflicht verrät,
verrät auch morgen die neue.
Adalbert Stifter (1805 bis 1868)
Verrat und Tod
EIN Vergehen, so alt wie aktuell, so vielgestaltig wie abgründig, so legendär wie real, so böse wie banal: der Verrat. Verräter sind die unheimlichen Schatten-Helden der Geschichte; »Zeugen der Finsternis«, wie der britische Historiker Tony Robert Judt die Abtrünnigen des linken Totalitarismus genannt hat. Verborgenes oder verbotenes Wissen wird durch einen Verrat aus dem Dunkel, mit dem es sich bis dahin umgab, ans Licht gehoben. Verräter sind auch jene Spitzel, Doppelagenten und Überläufer, die den Überfall bei Nacht als Filmkulisse und den Schuss aus dem Hinterhalt als Begleitmusik gebucht haben. Wer Verräter verstehen will, der erforscht »die Tiefen des Satans«, von denen die Gnostiker der Spätantike sprachen. Verräter spielen oft mit dem Tod, dem eigenen oder dem Tod anderer. Sie handeln an Grenzen; an Scheidelinien zwischen politischen Bündnissen, zwischen Überzeugungsgemeinschaften, zwischen Nationen, zwischen konkurrierenden Firmen, zwischen kleineren Solidargemeinschaften, legalen wie illegalen; auch an den unsichtbaren Zäunen, die trotz aller Verschmelzung der Gefühle zwischen zwei Lebenspartnern bestehen, seien diese Partner nun enge Freunde oder Liebende. Dort verliert sich der sozusagen feierlich-böse Verrat auch mal ins Läppische.
Wer an der Grenze allen Ernstes den Übertritt in das andere riskiert, ist anders als die meisten. Aus welchem Motiv auch immer er handelt, eines ist gewiss: Er braucht besondere psychische Reserven, zum Beispiel eine tiefsitzende Gefühlskälte, ein Talent für Einsamkeit, eine Begabung für Visionen oder auch nur eine lange aufgestaute Wut. Aus alldem kann die Kraft zur Skrupellosigkeit aufsteigen. Er muss Menschen, die ihm lange wichtig waren, in einem entscheidenden Moment verleugnen können. Erinnerungen dürfen ihn nicht umwerfen. Er muss sich gut verstellen können, fähig sein, etwas über längere Zeit geheim zu halten oder heimlich zu tun, ertragen können, dass er angefeindet wird. Der windige Verräter gilt von alters her als so niederträchtig, dass sogar Gauner ihn verachten. Er hat für sie keine Ehre und darum letztlich den Tod verdient.
Der Befund des Verrats erscheint so simpel wie ein Western, in dem die Rollen der Guten und der Bösen klar verteilt sind. Doch je genauer wir hinschauen, desto mehr verliert sich dieser Befund ins Vieldeutige. Der Verräter ist selbst als positiver Pionier einer willkommenen Veränderung eine schillernde Gestalt. Oft enthüllt da jemand etwas, bleibt aber selbst am liebsten unerkannt. Und was er verrät, ist vorher ein Geheimnis, das derjenige, auf dessen Kosten es offengelegt wird, auch nach dem Verratsgeschehen noch zu verbergen oder wenigstens ins Zweifelhafte zu ziehen versucht, etwa indem er – wie jeder tüchtige Agent – durch Halbwahrheiten falsche Fährten legt. Verrat ist einer der komplexesten und ärgerlichsten Vorgänge des Lebens. Betrachten wir erste Beispiele.
Ein ungeheuerlicher Vertrauensbruch, dessen kriminelle Heldin ihre Energie vor allem aus der Bindung an eine Gruppe bezieht, passiert am 30. Juli 1977 in der Nähe von Frankfurt am Main. Alles grünt und blüht in den Vorgärten von Oberursel, einer malerischen mittelgroßen Stadt zwischen Hochtaunus und Maintal. Am späten Nachmittag sitzen die Eheleute Ignes und Jürgen Ponto – er ist Vorstandssprecher der Dresdner Bank – auf der Terrasse ihrer Villa, als es klingelt. Am Gartentor steht eine junge, dunkelhaarige Frau im braunen Rock und mit hellblauer Jacke über der geblümten Bluse, begleitet von einer weiteren Frau und einem Mann, die beiden sind ebenfalls sorgfältig gekleidet. Die Frau in der hellblauen Jacke hält einen Blumenstrauß aus Heckenrosen in der Hand. Es ist Susanne Albrecht, die Tochter einer Hamburger Anwaltsfamilie, seit Jahren mit den Pontos eng befreundet – Ponto ist der Patenonkel von einer Schwester Susannes. Schon einige Tage vorher wollte die Freundin der Bankiersfamilie »Onkel Jürgen« sprechen, hatte ihn aber nicht angetroffen; jetzt war sie für 16.30 Uhr zum Tee angemeldet. In der Sprechanlage meldet sie sich jetzt schlicht mit »Hier ist Susanne«. Daraufhin drückt der Chauffeur den Knopf, die Pforte öffnet sich. Als der Bankier die drei sieht, scherzt er noch »Das ist ja ein großes Komitee« und führt die Besucher über die Terrasse ins Haus.
Plötzlich schreit der junge Mann: »Mitkommen, das ist eine Entführung!« Christian Klar richtet eine Pistole auf Ponto. Der antwortet: »Sind Sie wahnsinnig geworden?« Er will sich wehren, indem er mit erhobenen Armen auf die andere Dame, Brigitte Mohnhaupt, zuläuft. Klar schießt einmal aus nächster Nähe auf ihn, Mohnhaupt fünfmal. Drei Kugeln treffen den Kopf des Bankiers. Zwei Stunden später stirbt er in einer Frankfurter Klinik. Mit einem Fluchtauto, das in der Nähe parkt, verschwinden die Terroristen und tauchen für Jahre unter. Susanne Albrecht, die später unter falschem Namen in der DDR und in der Sowjetunion lebt, wird 1990 – nach dem Fall der Berliner Mauer – in Ostberlin verhaftet und später wegen »versuchter Entführung mit Todesfolge« zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Von der Strafe wird ihr allerdings, aufgrund der Kronzeugenregelung und guter Führung, die Hälfte zur Bewährung erlassen.
Jürgen