Tradition. Katherine V. Forrest
»Nein. Da lief nichts.« Kate hatte den Eindruck, dass ein stark bedauernder Ton in der Antwort mitschwang. »Er war mehr als ein Partner, er war wie ein Bruder für mich. Wir beide haben alles, was wir besaßen, in dieses Lokal gesteckt. Aber er war die Seele des Ganzen. Ohne ihn bin ich verloren.«
Taylor sagte fast gelangweilt: »Sie sind beide noch sehr jung. Woher hatten Sie das Startkapital?«
»Das war mein Geld. Aber er hatte die Ideen. Teddie war der geborene Restaurantbesitzer. Und er hat die Gäste bezaubert, das Geschäft fing gerade an –«
»Okay«, sagte Taylor, »woher hatten Sie das Geld?«
»Versicherung.«
Obwohl Kate ahnte, was kommen würde, wartete sie gemeinsam mit Taylor auf eine weitere Erklärung.
»Ein Freund ist gestorben, okay?«
Einen Moment lang herrschte Schweigen.
»Es tut mir leid, Mr. Caldera«, sagte Kate.
Caldera zuckte die Achseln. »Nennen Sie mich Francisco. Und ich habe schon viele Freunde verloren … sehr viele.«
»Francisco«, sagte sie und lächelte. »Hatte Teddie einen festen Freund?«
Seine Züge entspannten sich, als er sie ansah. »Nichts Ernstes. Nicht seit Carl.«
»Erzählen Sie uns von Carl.«
Er zuckte die Achseln. »Da gibt’s nichts zu erzählen. Er ist Geschichte, seit über einem Jahr schon.«
Taylor fragte: »Wo können wir ihn erreichen?«
»Er steht im Telefonbuch. Carl Jacoby, Silverlake. Aber er hat mit dieser Sache nichts zu tun. Er hat die Beziehung zu Teddie abgebrochen, als sich herausstellte, dass er positiv war.«
»Teddie war HIV-positiv?« Taylors Stimme war plötzlich lebhaft geworden.
»Nein, nicht Teddie. Carl.«
»Ihr Freund Teddie hat ihn angesteckt«, kombinierte Taylor. »Stimmt’s?« Er gestikulierte so gebieterisch in Richtung Tradition, dass Kate sich beinahe umgedreht hätte. Sie stand mit dem Rücken zum Restaurant, um das unschöne Bild der blutgetränkten Küche abzuwehren.
»Nein, Teddies Test war negativ.«
Taylor schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich nicht.«
»Die Vorstellung, Teddie angesteckt zu haben, machte Carl große Angst. Er war so außer sich, dass er aus Teddies Leben verschwand.« Er sah Kate an, während er sprach. »Das passiert. Wenn du positiv bist, siehst du alles mit anderen Augen. Alles.«
Der Kriminaltechniker Napoleon Carter und sein Team waren am Tatort eingetroffen, außerdem die Expertin für Blutspuren, Charlotte Mead, der Fotograf Ted Carlton sowie Shapiro, der Fotograf vom Wilshire-Revier.
Kate sagte: »Wir werden später noch einmal mit Ihnen sprechen müssen, Francisco.« Leise fragte sie: »Wie alt war Teddie?«
»Dreiundzwanzig«, sagte er und brach in Tränen aus.
Das Tradition war aus allen Ecken und Winkeln fotografiert worden. Der Leichnam von Teddie Crawford stand zwar nicht mehr unter Blitzlichtbeschuss, würde aber trotzdem noch eine geraume Weile auf dem Boden liegen bleiben müssen. Charlotte Mead und Ted Carlton hatten gerade erst mit ihrer Arbeit begonnen. Am Ort des Verbrechens breitete sich in der erwachenden Tageshitze allmählich der starke Kupfergeruch des Blutes aus.
»Ed, Kate«, bellte Charlotte Mead von der Spüle aus.
Kate lächelte der großen, hageren Frau im blauen Kittel zu. Sie hatte schon in mehreren Mordfällen, in denen eine Blutspurenanalyse nötig gewesen war, mit ihr zusammengearbeitet. Charlotte Mead war brillant in ihrem ebenso komplizierten wie mühevollen und ausgefallenen Beruf.
»Kommen Sie hier herüber – alle beide«, befahl Mead. »Stecken Sie die Hände in die Taschen! Wehe, Sie fassen was an! Ed, passen Sie auf, wo Sie Ihre Elefantenfüße hinsetzen.« Sie deutete auf eine Kreideroute, die um das Blutbad auf dem Boden herumführte.
Taylor schritt über die Türschwelle. »Keine Sorge, ich geh auf Zehenspitzen – wie eine Elfe.« Er stopfte die Hände in die Jackentaschen, Kate tat es ihm gleich – eine routinemäßige Vorsichtsmaßnahme, um nicht einmal versehentlich einen Gegenstand zu berühren. Kate war allerdings überzeugt, dass es für Taylors Vorsicht diesmal noch einen tieferen Grund gab: Der Tote war schwul gewesen, und dieser Raum schwamm in Blut.
»Euer Messerstecher hat sich geschnitten«, verkündete Mead. »Sehen Sie diesen hübschen runden Blutstropfen?« Sie deutete mit ihrem Stift auf einen kreisrunden roten Fleck auf der Abstellfläche neben der Spüle. »Wir haben einen Swimmingpool auf dem Boden, aber dieser Tropfen hier ist mutterseelenallein. Also kann er kaum vom Toten stammen. Und hier drüben auf einem der Wasserhähne ist auch Blut. Und hier an der Seife. Im Abfluss werden wir zweifellos ebenfalls Blut finden. Der Täter hat versucht, sich zu säubern.«
Meads verwitterte Gesichtszüge traten vor Eifer noch schärfer hervor. Ihr berufsmäßiges Interesse an diesem frischen Mordschauplatz schien noch relativ ungetrübt. Meads Aufgabe war es, den Tathergang für die Geschworenen zu rekonstruieren. Nur zu oft erschwerte die Polizeipräsenz – vielmehr deren Hände und Füße – diese Aufgabe.
Kate sah mit Respekt und ein wenig Neid auf Charlotte Mead. Ihr Fachwissen – und das der anderen Kriminaltechniker – war der einzig wirklich unparteiische Aspekt einer Mordermittlung. Mead stand nur auf der Seite ihrer wissenschaftlichen Untersuchungsergebnisse, und ihre Zeugenaussage vor Gericht konnte ebenso gut die Staatsanwaltschaft wie die Verteidigung zur Verzweiflung treiben. Egal, um was es gehen mochte, sie hielt sich strikt an die Fakten.
Kate sagte: »Gibt es sonst noch etwas, das Sie uns jetzt schon sagen können?«
Mead zeigte auf die Wand und die Schränke hinter der Leiche von Teddie Crawford. »Da sind ausgeprägte Schleuderspuren.« Mit ihrem Stift beschrieb sie einen Bogen in der Luft und zeichnete die schwachroten Blutspritzer nach, die sich auf den weißen Oberflächen weit nach oben zogen. »Euer Mann hat beim Zustechen Blut abgeschleudert. Sein eigenes Blut. Er hat zweifellos Schnittwunden. Überprüfen Sie die Krankenhäuser und Kliniken.«
»Wir werden das sofort veranlassen, Charlotte. Von der Waffe keine Spur, oder?«
»Sie wissen doch, Kate – die meisten schieben ihren Schniedel wieder in den Stall.«
»Ich frag ja nur.« Kate grinste sie an. Nach einer verbreiteten Ansicht unter Kriminalern deutete das mehrfache Zustechen mit einem Messer auf sexuelle Pathologie hin.
Meads blaue Augen fixierten die Leiche auf dem Boden. Sie schüttelte den Kopf. »Schauen Sie sich das bloß an. So ein schöner Mann. Es ist wirklich ein Jammer.«
Einen Moment lang betrachteten sie beide schweigend Teddie Crawford. Dreiundzwanzig Jahre waren alles, was er erlebt hatte. Um den Rest hatte man ihn betrogen.
»Seien Sie vorsichtig, Charlotte«, warnte Taylor. »Der Typ war schwul, wissen Sie.«
Kate warf ihm einen verächtlichen Blick zu.
Charlottes Stimme blieb ebenso ausdruckslos wie ihr Gesicht. »Ich bin die Vorsicht in Person, Ed.«
Hansen informierte Kate und Taylor, dass Gloria Gomez im Tradition eingetroffen war.
»Bringen Sie sie aufs Revier«, ordnete Kate an. »Ed und ich werden gleich da sein. Fred«, fügte sie hinzu, »sagen Sie uns umgehend Bescheid, wenn der Gerichtsmediziner da ist.« Sie wollte dabei sein, wenn Teddie Crawfords Leiche abtransportiert wurde. Charlotte Mead hatte ihr nützliche Informationen gegeben. Zu wissen, dass der Mörder verletzt war, grenzte die Zahl der Verdächtigen schon erheblich ein.
Vor den gelben Absperrbändern, die das Tradition abschirmten, hatten sich zahlreiche Schaulustige und Zeitungs- sowie Fernsehreporter versammelt. In trauter Eintracht warteten Menge und Fernsehkameras auf die gerechte Entlohnung für das