Tradition. Katherine V. Forrest

Tradition - Katherine V. Forrest


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schlug eine neue Seite in ihrem Notizbuch auf. »Gloria, bitte erzählen Sie uns genau, was gestern Abend im Malone’s passiert ist.«

      Seufzend setzte die junge Frau sich auf dem Metallstuhl gerade hin. »Wir sind reingegangen, es war voll. Paul saß an einem Tisch. Ich habe die beiden einander vorgestellt. Teddie ist an die Bar gegangen, um uns eine Runde Bier zu holen. An der Theke hat er dann gleich mit diesem Typ gesprochen. Dann hat er sich ’ne Weile zu uns gesetzt, aber ich hab gesehen, dass er die ganze Zeit zur Bar rüberstarrte. Ich hab ihn ein bisschen damit aufgezogen.«

      Taylor hielt im Schreiben inne und sah von seinem Notizbuch hoch. »Paul wusste, dass Teddie schwul war?«

      »Sicher. Paul hat ihn auch geneckt. Sagte, er würde die nächste Runde ausgeben, aber Teddie könne gern das Bier von der Theke holen, wenn er Lust hätte.«

      »Und hat er?«, fragte Taylor.

      »Ja, das hat er. Er hat sich dann wieder mit dem Typ unterhalten.« Sie lehnte sich vor, die Arme gekreuzt. Die kleinen Hände krampften sich in die Innenseiten der Arme. »Er brachte das Bier an den Tisch, sagte, er käme später noch mal zu uns. Ich hab dann nicht weiter auf ihn geachtet, Paul und ich haben uns unterhalten, aber plötzlich steht Teddie mit dem Kerl an unserem Tisch und verabschiedet sich.« Die Hände krampften sich erneut ineinander, die Knöchel und Fingerspitzen traten weiß hervor. »Teddie hat Paul die Hand gegeben, er … hat mir einen Gutenachtkuss gegeben. Ich hab noch zu ihm gesagt, er soll vorsichtig sein. Aber ich meinte … ich hatte nicht gedacht, dass …«

      Kate fragte: »Hat der Mann sich auch mit Ihnen unterhalten?«

      »Ja, aber ich weiß nicht mehr, was er gesagt hat.«

      »Hatte er vielleicht einen Akzent? Gab es irgendetwas Auffälliges an seiner Sprechweise?«

      »Hmm.« Gloria zupfte an ihren Haarspitzen und grübelte.

      »Würden Sie uns helfen und gemeinsam mit einem Polizeizeichner ein Bild von diesem Mann zusammensetzen?«

      »Natürlich. Klar. Alles, was Sie wollen.«

      Kate sagte: »Erzählen Sie uns ein bisschen von Teddie. Wie haben Sie sich kennengelernt? Wie kam es, dass Sie zusammengezogen sind?«

      »Wir waren an der Uni vor ein paar Jahren zusammen in einem Psychologieseminar. Wir haben uns gegenseitig geholfen, uns gut verstanden. Wir blieben Freunde. Er und Carl haben sich getrennt, ich verlor meine Untermieterin, Teddie ist bei mir eingezogen. Ich bin noch in der Ausbildung und bei der Miete auf jeden Cent angewiesen, den ich kriegen kann.«

      »Wovon leben Sie?«, fragte Kate.

      »Ich arbeite nachts im Cineplex am Beverly Center. Manchmal helfe ich auch im Tradition aus, wenn sie im Stress sind, aber ich mag diese Art von Arbeit nicht besonders. Meine Brüder unterstützen mich ein bisschen, um mich durchs Studium zu bringen. Ich studiere Chemie. Noch drei Semester, dann hab ich’s geschafft.« Ihr Ton ließ keinen Zweifel daran, dass dies der unumstößliche Lauf der Dinge sein würde.

      Taylor fragte: »Wann haben Sie erfahren, dass Teddie schwul ist?«

      »Auf den ersten Blick.« Sie lächelte kurz. »So viele schwule Männer sind einfach atemberaubend, es ist das Erste, was man denkt, wenn man einen wirklich gutaussehenden Mann sieht. Nachdem ich ein paar Worte mit Teddie gewechselt hatte, wusste ich es – und er hat sowieso nie ein Geheimnis daraus gemacht. Teddie war stolz darauf, schwul zu sein.«

      »Stolz?« Taylor sah von seinem Notizbuch auf.

      »Ja, stolz.« Die dunklen Augen verloren etwas von ihrer Stumpfheit und richteten sich herausfordernd auf Taylor. »Irgendwelche Probleme damit?«

      Taylor zuckte die Achseln. »Manche Männer haben Probleme damit. Hat er häufig neue Männer aufgegabelt?«

      »Andersrum. Teddie war …« Gloria fixierte Taylor. »Okay, er war sehr feminin, eine Tunte. Er war wunderschön, zog sich flippig an, war klug und geistreich und konnte sich vor Verehrern kaum retten. Aber er war auch vorsichtig. Ich meine, ich habe ihm dauernd in den Ohren gelegen. Heutzutage hat man Angst um jeden schwulen Mann.«

      Taylor lehnte sich vor. »Hat er viel getrunken?«

      »Ein Bier ab und zu. Manchmal ein Glas Wein. Er hat mir jedes Mal die Hölle heiß gemacht, wenn ich in seiner Gegenwart Alkohol getrunken habe.«

      »Hat er sonst was genommen?«

      Kate wusste, dass er an die Glasplatte in der Restaurantküche dachte. Eine Party, die außer Kontrolle geraten ist, hatte Taylor gesagt. Ziemlich außer Kontrolle.

      »Sie meinen Drogen?«, fragte Gloria entrüstet. »Machen Sie mal halblang.«

      »Viele Leute nehmen hin und wieder eine Prise Koks«, sagte Taylor harmlos.

      »Stimmt. Und ich verstehe nicht, warum Leute wie Sie deshalb einen solchen Zwergenaufstand veranstalten. Aber Teddie nicht. Nicht mal ’nen Joint.«

      »Das kann man nie mit Sicherheit sagen«, erklärte Taylor mit deutlicher Skepsis.

      »Bei Teddie schon«, entgegnete Gloria Gomez. »Basta.«

      »Gloria«, sagte Kate, »erzählen Sie uns von Teddie.« Wenn sie an Teddie Crawford dachte, sah sie immer nur das Blutbad in der Küche des Tradition vor sich. Sie musste sich unbedingt ein anderes Bild von ihm machen.

      »Der liebenswerteste Mensch … mein bester Freund. Francisco ist so ein fabelhafter Koch, ein wahrer Zauberkünstler. Teddie hat immer was zu essen aus dem Restaurant mitgebracht.« Glorias Stimme wurde sanft. »Wenn ich von der Arbeit nach Hause kam oder aus der Uni, immer war was zu essen da. Er hat meine Wäsche gemacht, mir geholfen, wo er konnte. Teddie hat sich immer viel mehr um andere Leute gekümmert als um sich selbst.«

      »Was für andere Leute?«, fragte Taylor. »Außer Ihnen und Francisco?«

      »Einfach alle. Bei mir kommen und gehen die Kerle wie Pingpongbälle. Aber Teddie, er blieb irgendwie mit allen befreundet, die er kennenlernte. Sogar mit Ex-Liebhabern. Seine Freunde starben, aber Teddie hat sich vom Tod nicht unterkriegen lassen. Teddie – er war einfach unglaublich. Ich hab ihm das immer wieder gesagt, jeden Tag …« Sie lächelte zärtlich, in Erinnerungen versunken, und Kate sah in ihren dunklen Augen die Tiefe des kommenden Schmerzes. »Mrs. Sheffield, unsere Nachbarin am Ende des Flurs«, sagte Gloria. »Sie ist achtundsiebzig. Teddie hat jeden Tag bei ihr vorbeigeschaut, den Müll für sie rausgetragen – sie vergöttert ihn. Und Joe und Margaret – er hat sich rührend um sie gekümmert. Teddie war … Teddie war …«

      »Ein Heiliger?«, schlug Taylor vor.

      Gloria Gomez sah ihn an und schwieg. Ihre Lippen wurden schmal.

      Als das Schweigen sich vertiefte, beschloss Kate, das Gespräch zu beenden, und sei es nur, um mit anderen Zeugen zu sprechen. »Paul Lopez«, sagte sie. »Wo können wir ihn erreichen?«

      Gloria Gomez zog ein Adressbuch aus ihrer Umhängetasche, schlug eine Seite auf und reichte es Kate, die sich die Adresse, Hobart Avenue in Hollywood, und die Telefonnummer notierte.

      Es klopfte an der Tür des Vernehmungszimmers. Taylor stemmte sich aus seinem Sessel und bat um Entschuldigung. Einen Moment später gab er Kate von der Türschwelle aus ein Zeichen und verschwand.

      Sie erhob sich. »Gloria, wir bringen Sie jetzt zu unserem Polizeizeichner. Und Sie müssen Ihre Aussage unterschreiben.«

      Als sie den Verhörraum in Begleitung von Gloria Gomez verließ, sah sie aus den Augenwinkeln, dass Taylor in der Mordkommission mit dem Staatsanwalt Bud Sterling sprach. Silber-Sterling, diesen Spitznamen hatte man ihm wegen seiner Erfolge vor Gericht gegeben. War es möglich, dass dieser hochkarätige Staatsanwalt sich für den Fall interessierte?

      »Detective Delafield«, sagte Gloria Gomez, als sie beim Erkennungsdienst vorbeikamen. Kate wandte sich ihr zu. Die Augen der jungen Frau wirkten tiefschwarz in einem Gesicht, das alle Farbe verloren hatte. »Sie müssen dieses Schwein erwischen.«

      Kate


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