Dantes Inferno I. Akron Frey

Dantes Inferno I - Akron Frey


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zu werfen, ins Reich des Unfaßbaren, bevor sich die Ozeane des Vergessens wieder über den Zugriff des polarisierenden Verstandes legen. Aber es wird sehr verwirrend werden, das versprech ich dir!»

      Einen Augenblick nahm ich den Nebel wie die unerfüllbare Sehnsucht kollektiver Träume wahr, die mich anzog. Dann verwandelte sich das Ganze in ein strahlendes Lichtermeer, das sich ausdehnte, bis es mich ganz einhüllte. Akron schaute mich fragend an: «Was ist mit dir los? Normalerweise kannst du niemals genug Fragen stellen, aber hier, wo deine Fragen gewissermaßen zur Hölle würden, die wir durchqueren könnten, wenn du sie nur stellen würdest, da sagst du kein Wort.»

      Als ich darauf erwiderte, wie sich denn ein physischer Ort aus einer Frage bilden könne, da lächelte er geheimnisvoll: «Wenn die Merkur-Hölle beispielsweise nur ein schäbiger Gedanke wäre, der bloß in deinem Kopf existiert …» Und fügte weiter hinzu, ich solle mich einfach an seinen Antworten festhalten, dann würde er mich durch die Widersprüche des Denkens auf den Hirnfrequenzen dieser Hölle wie an einem Geländer zu neuen Bewußtseinserkenntnissen führen.

      Ich sah, wie der kosmische Nebel mich umkreiste und in ein glitzerndes Gedankennetz einband, während Akron weiter philosophierte: «Das entspräche dann jener Vorstellung von Wirklichkeit, die zwar sehr sinnvoll wäre, auch wenn sie tatsächlich gar nicht existieren würde.»

      «Deine Antworten sind ein Witz», rutschte es mir da heraus.

      «Nein, sie sind höchst bedeutungsvoll, denn sie sind das Geländer im Hirn, das uns gefahrlos durch die Achterbahn dieser Hölle führt», sagte er daraufhin. «Nur wenn du sie polarisieren oder dich nach dem Sinn hinter den Antworten erkundigen wolltest, würden sie sinnlos, denn damit liefen sie ja ihren eigenen Grundlagen davon.»

      «Du meinst der intellektuellen Sinnlosigkeit menschlicher Fragen?» forschte ich nach.

      «Du hast es erfaßt», sagte er und nickte.

      «Aber wo liegt das Ziel, wenn ich das Bild als Bild erfahren will?» ließ ich nicht locker. «Gibt es irgend etwas, wohin sie fliehen könnten?»

      «In unbekannte Tiefen», sagte Akron. «Es gibt nichts, wohin sie fliehen könnten, was sich dir da draußen erschließen könnte. Wenn du die Illusion als Illusion erfahren willst, dann gerätst du von der Illusion sinnvoller Ziele zum Bild sinnloser Wahrheit.»

      «Dann lande ich wieder bei mir selbst?» fragte ich erstaunt.

      «Bei einem Bild deiner Projektion – na klar», nickte er und drückte meinen Arm. «Sieh dich doch um! Du projizierst das Inventar deiner Bilder auf alles, was dir von außen entgegentritt, und reagierst dann auf dein Bild anstatt auf das Geschehen. Schau dir nur die Sünder an!»

      Ein Knäuel gräulicher Schemen glotzte mich stumm aus dem Nebel an, während Akron weitersprach: «Das sind die Seelen, die hier büßen. Sie haben zwar keine Gestalt, aber es ist ihnen gelungen, aus dem Numinosen hervorzutreten und sich in deiner Vorstellung vom Unfaßbaren als flimmernde Schatten zu reflektieren. Sie wollen dir etwas sagen. Leider kannst du sie nicht verstehen.»

      «Warum kann ich die Sünder nicht verstehen, Akron?»

      «Weil du dem Nichts in deinen Träumen keinen Platz einräumst: Das Unsagbare würde die innere Organisation deiner Träume sprengen.»

      «Aber warum kann ich sie dann sehen?»

      «Weil du sie statt zu sehen nur nach einer Vorstellung vom Sehen siehst!»

      «Das ist mir zu komplex», räumte ich vorsichtig ein. «Das versteh ich nicht!»

      «Du siehst sie nicht in ihrer wahren Gestalt, du siehst sie gewissermaßen durch eine vorgefaßte innere Prägung, die dir sagt, wie du dir das Unvorstellbare vorzustellen hast.»

      «Eine vorgefaßte Prägung …?»

      «Ja, ein graues Nebelband.»

      «Du meinst», sagte ich zu Akron, «daß ich diese Seelen nur durch mein vorgefaßtes inneres Bild wahrnehme, das für mich wie ein graues Nebelband aussieht?»

      «Genau», bestätigte mein Führer, «dein innerer Glaube erschafft jenen Teil der Wirklichkeit, der dir als Realität erscheint, gestaltet formlose Energie zu sichtbaren Formen, die du als gegenständlich empfindest, und formt dein Betrachten, das wiederum das Betrachtete nach seinem eigenen Bilde formt, damit die Welt, in der du dich orientierst, immer genau der Vorgabe deiner inneren Bild-Wahrnehmung entspricht. Doch vom wirklichen Geschehen erfährst du nichts.»

      «Darum geht es doch nicht», sagte ich.

      «Doch, darum geht es auch», korrigierte er mich und deutete auf ihre Gesichter, «sie haben dir nämlich auch etwas zu sagen, doch ist es unmöglich, dir ihre Aussagen in den richtigen Proportionen zu übermitteln, weil du ihnen in deinem Vorstellungsrahmen keinen Platz einräumst. Sieh einmal vorbehaltlos hin!»

      Vor mir im Nebel schwebten immer noch die glotzenden Schemen. Doch während ich hinsah, lösten sich ihre ohnehin schon schlaffen Gestalten zu gänzlich zerfließenden Formen auf. Sie begannen sich vom Hintergrund zu lösen und tropften wie Tränen auf den Boden. «Das ist ja unerträglich», schrie ich hysterisch und faßte Akron am Arm, «laß uns schnell weitergehen!»

      «Es ist halb so schlimm», hörte ich ihn sagen, «sie wollen dir einfach mitteilen, daß sie in dieser Hölle ihre Identität verloren haben. Auf dieser Ebene besitzen sie weder Augen noch Mund. Beides haben sie nur in deinem Hirn.»

      Ich war ganz erschöpft. Was ich üblicherweise hinsichtlich des Gedankenaustausches zwischen Menschen empfand, war aus Gesichtern, Mündern und Sprache geformt. Und nun schlitterte ich ohne Vorwarnung in ein mir völlig fremdes Weltbild hinein: eine Nebelwand aus dem Blickwinkel dualer Aufweichung oder eine Art mystischer Glaube an meine verborgene Seite – ein masochistischer Troll des Selbstzweifels in einem Netz verzerrter Selbstbilder, der sich mit aller Macht um den Verstand bringen wollte. «Was soll ich tun?» wollte ich wissen.

      «Tauch ruhig in die Spiegelungen deiner Hirnmuster ein, aber gib den Wesen Raum, in dem sie ihre Nicht-Gestalt visualisieren können», flüsterte mir Akron ins Ohr, «nur laß dich von deinem eigenen Formlosen nicht forttragen, sonst ist es möglich, daß ich dich nicht mehr erreichen kann. Laß mich wissen, wenn du sie siehst!»

      Schnell und mühelos gelang es mir, das vollständige Bild eines grauen Nebelbandes vor mein inneres Auge zu zaubern. Doch plötzlich riß das Band, und ich erkannte zu meinem Entsetzen, wie sich eine riesige Öffnung im filigranen Gedankenschleier bildete, die sich blitzschnell erweiterte, und im gleichen Atemzug sah ich einen Knäuel zuckender Selbstbilder wie eine Feuerschlange in das Nebelband eindringen und wie glühende Bewußtseinsfunken durch das Loch in meinem Hirn verschwinden.

      «Wir sind deine eigenen Gedanken, auf ewig träumend in dein unbewußtes Wissen eingebunden», wisperten die Bewußtseinsflammen auf der anderen Seite meines Denkens, «und jetzt ist uns endlich der Durchbruch gelungen. Alles, was in deinem Kopf geschieht, ist in diesem Augenblick mit dem verbunden, was in uns stattfindet, und deshalb kannst du jetzt alles verstehen, was wir an Wissen für dich aufbewahrt haben.»

      «Aber was macht ihr in meinem Hirn?» Der Himmel über meinem Kopf war voller Bilder. Es waren Hunderte von ihnen, die sich an den Öffnungen meiner Gehirnschlitze rieben. Was mich aber erschreckte, war, daß ich kein Wort hervorbringen konnte, so verzweifelt ich mich auch bemühte, Akron wissen zu lassen, daß ich die beabsichtigten Stimmen jetzt bildlich vor mir sah.

      «Es gibt keinen anderen Ort, an den wir uns begeben könnten», flüsterten diese, «denn wir gehören zu dir. Wir sind die Gedanken in deinem Hirn. Das ist unsere Strafe.»

      «Und warum kann ich mich nicht mehr artikulieren?» wollte ich schon losbrüllen, aber ich hatte weder Mund noch Stimme.

      «Ein Gedanke, der nur über sich selbst nachdenkt, braucht keinen Mund», antworteten mir die Seelen.

      «Gedanke? Bin ich nicht das Ganze?» wollte ich in Erfahrung bringen.

      «Einst warst du das Ganze», bestätigten mir die säuselnden Stimmen, «doch


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