Dantes Inferno I. Akron Frey

Dantes Inferno I - Akron Frey


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sich sämtliche Poren seiner Haut in Licht verwandelt. Es strahlte eine weiße Licht-Aura aus und zog mich an. Ich spürte, wie meine Wirbelsäule in rasende Schwingungen geriet. Irgendwie fühlte ich mich plötzlich in zwei Teile gespalten, denn ich spürte, wie ich an meinem Arbeitsplatz saß und die Ideen in die Tasten hämmerte, die mir durch den Kopf blitzten, und gleichzeitig hatte ich das Gefühl, als ob ich es selbst war, der die Geschichte erlebte und aus dem Fenster fiel. Ich erkannte deutlich die luziden Wände meiner Geschichte als Spiegelrahmen einer mir unsichtbaren Welt, in der ich einem Engel begegnete, irgendwo zwischen Himmel und Erde. Sanft faßte er mich an der Hand und sprach: «Was weißt du von der Wirklichkeit, die dich umgibt?» Eine himmlische Gestalt in einem dunkelblauen Mantel stand vor mir und blickte mich unter ihrer Kapuze freundlich an. Die funkelnden Augen leuchteten in ihrem rötlichen Glanz aus der Tiefe der Finsternis hervor und ließen mich am ganzen Körper erzittern.

       «Genug, um in der Welt überleben zu können», stammelte ich sichtlich aufgeregt.

       «Das ist nicht genug, denn du bist hier nicht in der Zeit, die sich durch den Raum bewegt, sondern du bist der Raum, der durch sich selbst stürzt, weil er sich vor sich selbst verschließt. Ich bin der Schlüssel, der dich öffnet und der dir Zugang zur Wahrnehmung ungeahnter Perspektiven verschafft. Denn du bist die Tür, die dir als Eingang dient, die aber nicht nur an einem einzigen Punkt im Universum existiert, sondern die in verschiedene Bewußtseinsebenen hineingekrümmt ist … Gemeinsam können wir alle Ebenen durchwachsen. Schau hin!»

      Und aus der Sonne brach ein glänzender Lichtstrom hervor und fiel über mein Pult auf Baphomets «The Light of Hell», eine alte apokryphe Schrift, die in meinem Bücherregal neben anderen kostbaren, gebundenen Manuskripten stand, die ich aber noch nie eines persönlichen Augenscheines gewürdigt hatte. Als ich gebannt hinsah, hatte ich das merkwürdige Gefühl, daß sich plötzlich ein kleines Auge auf dem mächtigen Rücken des magischen Wälzers abzeichnete und mir einladend zublinzelte. Blitzschnell erhob ich mich, mehr von der Aussicht beflügelt, etwas verpassen zu können, das bis jetzt nur in meiner Phantasie bestand, als vom Wunsch angetrieben, mich in neue Abenteuer zu stürzen. Ich zog das Buch aus dem Regal und schlug es auf, und da verfing sich mein Blick auch sofort in der flammenden Widmung, die über dem inneren Buchdeckel prangte: «Das Licht der Erkenntnis leuchtet aus dem Vorhof der Hölle.» Dann schlug ich die erste Seite auf, auf der in tiefschwarzen Lettern geschrieben stand: «Es stehen viele Geschichten in den geheimnisvollen Zauberbüchern, den schwarzen, unergründlichen Apokryphen der Hölle. Sie berichten von Dingen und Geschehnissen, die sich in der Tiefe der Erde ereignen, in der Finsternis der Nacht, aber nirgends, o Wanderer, findet sich die Geschichte der Seelen, die den Seufzern der Leere lauschen, dem Räuspern des Nichts, und die in der Einsamkeit schaudern und vergeblich einen Ausweg aus dem Schreckensgewölbe ihrer Träume suchen. Sie sühnen in den Verstrickungen ihrer Bilder, den Gefängnissen der Sehnsüchte und sind sich dabei ihrer Strafe bewußt, obwohl sie versuchen, sie aus ihrem Gedächtnis zu tilgen: Aber sie müssen durch die Hölle hindurch, auch wenn sie nicht wissen, was am anderen Ende ist. Aber, so wahr ich hier stehe, mein Freund, es ist Licht!»

       Ich ließ das Buch sinken. Durch das einfallende Licht der Sonne wurde mein Blick von einer seltsamen Einrichtung auf der Rückseite des Regals angezogen, und plötzlich wurde ich eines Porträts gewahr, das in einer Nische eingelassen war, und zwar so, daß man nur einen Einblick bekam, wenn man einen der schwarzen Riesenbände aus dem Regal herausnahm. Es mußte sich um ein Ahnenporträt handeln, auch wenn es mir seltsam vorkam, daß es so versteckt hinter den geheimnisvollen Büchern und nicht wie die anderen Bilder im Familienalbum eingeklebt war. Der Glanz der Abendsonne brachte das Bild dabei wunderbar zum Ausdruck. Es stellte einen Mann unter einer mächtigen Kapuze dar, dessen Gesicht verdeckt im Schatten lag, nur die roten Augen funkelten hervor. Das Gesicht war mir sehr vertraut, und irgendwie schienen mir auch seine Augen zu antworten, denn einen Moment hatte ich das seltsame Gefühl, als blinzelten sie mich an: «Erst wenn dein Verstand an den Grundlagen des rationalen Weltbilds zerschellt», vernahm ich meine innere Stimme, «werden all deine unterdrückten Persönlichkeitsanteile aus den Umklammerungen des unterdrückenden Denkens wieder frei und du kannst alles sein, was du wirklich bist. Weshalb nicht auch ‹ich selbst›?»

       Immer, wenn ich mich mit meinen inneren Gedanken zu beschäftigen begann, fand ich mich in den tiefsten Depressionen wieder. Ich verstand dann oft nicht mehr, wie es überhaupt möglich war, nicht deprimiert zu sein. Auch diesmal saß ich mit gequälter Miene am Tisch und versuchte, meine Situation selbst in den Blick zu nehmen und meine Gedanken aufzuschreiben, die mir durch den Kopf wirbelten, und damit die Geschichte eines Menschen in seiner Lebensmitte aufzuarbeiten, der seinen Lebenssinn verloren hatte. Doch diesmal eröffnete sich mir eine Vielzahl verschiedener Sichtweisen, meine Situation zu betrachten, und diese relativierten meine Unzufriedenheit mit mir selbst, aus der meine Depression sich speiste, weil ich plötzlich die Möglichkeit erkannte, wenn schon nicht frei handeln, so doch wenigstens innerhalb der schmalen Bandbreite meiner kreativen Phantasie frei entscheiden zu können, und plötzlich war mir die Sache klar: Ich mußte den Verstand aus mir hinausschmeißen, denn die Tendenz zur Hinterfragung meines Denkens und meiner Gefühle gehörte zur Struktur meiner selbst, die sich zu vernichten drohte. Denn wenn ich schon vor mir selbst nicht davonlaufen konnte, dann mußte ich wenigstens das, was mich an meiner Selbstannahme hinderte, aus mir auslagern, damit ich mich nicht weiter von ihm bedrohen lassen mußte. Meiner selbst zwar immer noch unsicher glaubte ich jetzt wenigstens zu wissen, was ich zu tun hatte: Ich packte den Verstand an seinem Schopf und schleuderte ihn gezielt aus mir heraus.

      Ein peitschender Strom sich überschlagender Bilder zuckte durch mein Hirn, der sich bis zu den Innenräumen meiner Seele verlängerte, dann spürte ich zwischen den Ohren einen Knall, und gleichzeitig sah ich meinen Verstand mit bleichem Gesicht im Sonnenlicht stehen, der nun den Himmel für seine Lebensdepressionen und sein Scheitern verantwortlich machte, bevor er sich in einem plötzlichen Akt der Verzweiflung aus dem Fenster stürzte. Die Sonne explodierte, und mein Blick fiel auf das Fensterglas, das aus Hunderten von Scherben mein Bild zurückwarf. Ein neues Besinnen war zu meinem Empfinden gekommen und trieb mich über die Schwelle hinaus, als ich den Boden auf mich zurasen sah. Doch zu meinem Erstaunen erwartete mich da unten nicht das Ende mit seinem entsetzlichen Aufprall, sondern eine leuchtende Gestalt mit weit ausgebreiteten Armen. Sie fing mich auf und flüsterte mir ins Ohr, sie habe schon lange mit mir Kontakt aufnehmen wollen, aber meine intellektuellen Abwehrmechanismen hätten bisher eine mögliche Verbindung verhindert. Zwar hätte ich stets geahnt, daß es noch eine andere Seite gäbe, aber sobald ich versuchte hätte, die andere Seite zu erfassen, habe mich mein Verstand zurückgehalten, und dieser sei ein deprimierter Tyrann, der an den Polaritäten seines Denkens klebe und mich zwinge, jede Gewißheit an eine Welt jenseits des Verstandes aufzugeben. Deshalb habe er ihn aus dem Fenster gestoßen, denn der Weg meines Denkens wäre sonst dorthin gegangen, wo ich die Wirklichkeit verdrängte, statt die Voraussetzungen meines Denkens zu überwinden; die Polarität des Denkens sei die Voraussetzung für alle meine Probleme. Der Sturz aus dem Fenster sei gewissermaßen die Brücke ins Erkennen, denn erst dann, wenn der Verstand gezwungen sei, seine Position aufzugeben, würde so etwas wie Einsicht in andere Dimensionen bei mir frei.

       Schon fühlte ich mich von einem Mantel roter Flammen eingehüllt, und einen Augenblick lang dachte ich an Feuer, aber mein inneres Auge zeigte mir, daß es die Hölle in mir selbst war, die ausbrach. Die Sonne glühte, und ich erkannte ihre strahlende, leuchtende Gestalt, aber ebenso deutlich erblickte ich darin auch mein Gesicht: mitten im Zimmer, in dem ich mich befand, und das Fenster war mein Augenlicht! Das also war der Blick, der sich ins eigene Auge sah, und in meinem eigenen Auge sah ich die Sonne aufgehen und mitten darin den Namen «Akron» leuchten, dann materialisierte sich vor mir eine Schwingungsenergie, die ich plötzlich sehen konnte; sie bildete eine leuchtende Gestalt mit roten Augen, die mich einhüllte und zu mir sprach: «Hör auf, mich anzustarren, denn was du siehst, sind die Flammen deines eigenen Erkennens, und sie können dich verbrennen, weil sie sich aus deiner Sehnsucht nähren, aus deiner Sehnsucht nach einer anderen Welt. Es sind die Kräfte, die noch zu stark für dich sind, auch wenn es deine eigenen sind. Du kannst mein Fluidum aber erkennen, wenn du dich abwendest und die Flammen aus den Augenwinkeln ansiehst!»


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