Dantes Inferno I. Akron Frey

Dantes Inferno I - Akron Frey


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ahnte, daß das, was ich sah, nicht die mir bekannte Realität sein konnte. Die Vision dieses Bildes konnte nichts Wirkliches sein, nichts, was dem materiellen Anspruch des Alltags standhalten konnte, aber ich ahnte auch, wie großartig das Wesen dieser Illusion sein mußte, die alles andere als Täuschung oder Irrtum war, sondern die Wirklichkeit einer irrealen inneren Sehnsucht, deren Verwirklichung uns die eigene Schöpfernatur lockend vor Augen zauberte, denn als ich meinen Blick direkt auf das Wesen richtete, lächelte es sanft unter seiner Kapuze und sprach: «Alle Sehnsucht ist Sehnsucht nach Liebe und Tod, denn das wahre Ziel von Eros und Thanatos ist die Überwindung des Ich, und der Weg führt über sich hinausstrebend zur Ewigkeit. Siehe, ich bin Akron, dein anderes Selbst, und führe dich ins Paradies, doch das Paradies ist eine Welt, die in viele Dimensionen hineingestellt ist, und die erste Schicht, die wir durchqueren, ist die Unterwelt. Genauso, wie das Universum in viele verschiedene Perspektiven aufgeteilt ist, ist auch die Persönlichkeit ein Konglomerat von verschiedenen Selbst, die zahllose Ebenen durchwächst, und dort, wo sie sich mit anderen Dimensionen schneidet, entsteht eine Tür, durch die du in andere Welten hineintreten kannst. Es ist zwar gar keine Tür, sondern ein Spiegel, oder genauer, ein gespiegeltes Fenster, in dem man durch sein gespiegeltes Bild hindurchsehen kann, aber das kann der Verstand nicht verstehen. Denn der Verstand ist ein despotischer alter Furz im grauen Gewand, der sich immerzu selbst wiederholt, weil er nie etwas anderes zu tun beabsichtigt als beständig die Regeln aufzustellen, nach denen er die Welt begreift. Nun ist er aber gerade durch sich selbst hindurchgefallen, durch das Fenster, das er für seine Wahrnehmung hielt, und ist vor die Pforte der Erkenntnis geknallt. Dieser Schock hat ihn verändert, denn er ist aus den Grenzen seiner Wahrnehmung gestürzt, und das hat ihn verwundbar gemacht. Horch! Jetzt steht er vor der Tür und klopft. Vielleicht bringt er dir den Schlüssel, der dich vervollständigt: Willst du ihn nicht hereinlassen?»

       «Gewiß!» erwiderte ich rasch und rannte an die Tür. Ich öffnete sie, und da stand er vor mir. Da war er also wieder, mein Verstand, den ich noch eben aus mir hinausgestoßen hatte, der aber schnell wieder zu mir zurückgefunden hatte und mir nun hier auf der Schwelle gegenübertrat. Wie interessant! «Bist du nicht abgestürzt?» fragte ich ihn.

       «Ganz recht», erwiderte er sanft, «ich bin aus meiner Alltagsvernunft herausgefallen und diene jetzt jener wirklichen Welt, denn ich bin das Licht deines eigenen Erkennens, das dir die Botschaften deiner Schattenwelt überbringt.»

       «Und was willst du von mir?» entgegnete ich unbeirrt.

       «Dies läßt sich nicht so einfach erklären», sagte er, «denn ich bin ein Teil von dem, das du aus dir entfernt und in die Unterwelt geschickt hast, damit es deinen verdrängten Schatten für dich sucht. Nun bin ich wieder zurückgekommen, um dir das zu bringen, wonach du mich geschickt hast – in deinem künftigen Erkennen …»

       «Geh zum Teufel!» erwiderte ich ungerührt.

      «Gewiß, mein Herr – zu dir!» höhnte er zurück, «denn du benutzt dich selbst in mir, um das zu finden, was du suchst. Gleichzeitig versuchst du, die Erkenntnis dessen zu verhindern, wonach du mich ausgeschickt hast. Unter materiellen Gesichtspunkten gesehen bin ich nur ein Gedanke, aber mich durchströmen die Erfahrungen von zehn Millionen Jahren menschlicher Entwicklung, denn in mir sind die Muster, anhand derer du gelernt hast, die Welt zu erschaffen, sowie die Muster der Veränderung, die das verändern, was du aus diesen Mustern geschaffen hast. Vielleicht erscheine ich dir unpersönlich? Doch weil es meine Energien sind, mit denen du die Muster deiner Vorstellung tränkst, bin ich da nicht dein Freund?»

       Ich spürte eine unsichtbare zentrifugale, mich langsam aus dem Gleichgewicht bringende Kraft, die mich aufwirbelte und durcheinanderschüttelte. Auf einmal wurde ich mir bewußt, daß ich nicht mehr in der Zeit stand, die sich durch den Raum bewegte, sondern irgendwie auf der Schwelle, wo sich Raum und Zeit verbanden: «Und wie bin ich hierhergekommen?»

       «Du bist durch dich hindurchgekommen!»

       «Was bedeutet ‹durch mich hindurchgekommen›?»

       «Das heißt, daß du durch die Tür gekommen bist!»

       «Wenn ich aber durch die Tür gekommen bin, wie kann ich dann durch mich selbst gekommen sein?»

       «Weil du die Türe selbst bist!»

       «Dann zeig mir diese Tür!» schrie ich erbost.

       Er schmetterte die Tür ins Schloß, und die Bilder versickerten in meinem Hirn. Ganz langsam lösten sie sich auf, und genauso langsam öffnete sich eine Glaskuppel, die aussah wie eine Hirnschale. Ich schwebte auf meinen Körper zu, glitt durch meinen Kopf in ihn hinein und fühlte, wie sich in meinem Gehirn eine Vorstellung formte, die sich in der räumlichen Sphäre manifestierte. Plötzlich fühlte ich eine Hand auf meiner Schulter. Jemand war durchs Zimmer auf mich zugekommen: «Komm mit!» sagte er. Ich öffnete die Augen.

       «Ich führe dich zur Tür!» Da stand er vor mir, sein Blick traf mich direkt ins Auge, und plötzlich war mir klar, als ich mich durch die Augen von ihm sah, wie großartig das Wesen dieser Illusion sein mußte, die alles andere als Täuschung oder Irrtum war, sondern die Wirklichkeit einer irrealen Sehnsucht, die mich mit ihm verband. Ja, es war mir klar, daß er ein anderer Teil von mir war und daß ich nicht aus ihm herauskommen konnte, ohne mich nicht selbst zu verlieren. Und trotzdem war er mir vertraut, denn zwischen uns war eine Verbindung wie zwischen Zeit und Ewigkeit, und unsere Blicke bildeten die Brücke: «Hör auf, mich anzustarren!» hörte ich ihn sagen, aber meine Gedanken kreisten immer stärker um seine seltsam leuchtenden Augen, denn jetzt wußte ich, sie hatten mich erkannt.

      Die Fische-Vorhölle

      Als Akron mich ansah, wußte ich, wo ich war. Niemals vergesse ich seinen ersten Blick, als er neben mir stand und beiläufig sagte: «Ich bin der Geist, der die Polaritäten überwunden hat, indem er Gott ins Auge blickte und darin die Wahrheit fand. Und du bist der Sünder, der nach einem langen Irrweg wieder zurückgekehrt ist, um vom Ganzen, von dem er sich abgespalten hat, wieder aufgenommen zu werden, damit er das einstmals aus sich selbst Entfernte wieder in sich zurücknehmen kann als das, was es ist, nämlich als einen Teil von sich selbst. Bist du bereit?»

      Als ich freudig bejahte, warf er mir die nächste Frage an den Kopf: «Dann sage mir, wer du bist?!»

      «Wieso? Ist das hier wichtig?» wollte ich wissen.

      «Ich führe dich zu den unergründlichen Tiefen der Seele, deren Ziel es ist, die gefestigte Ordnung aufzuweichen und die Materie in ihre Urbestandteile aufzulösen», psalmodierte er mit glänzenden Augen, «deshalb muß jeder Sünder an dieser Schwelle darüber nachdenken, wer er ist, damit er weiß, was er verliert. Denn hier verlierst du alles, was du bist, und gewinnst alles, was du verlierst. Deshalb möchte ich dich nochmals auffordern, mir hier laut und deutlich zu sagen, wer du bist!»

      «Ich bin ich!» brüllte ich. Langsam wurde ich nervös.

      «Und woher weißt du, daß du existierst?»

      «Es ist eine intuitive Erkenntnis.»

      «Das ist kein Beweis: Was für konkrete Beweise hast du dafür, daß du existierst?»

      «Nun, ich denke, mein sensorisches Empfinden übermittelt es mir.»

      «Gut», er lächelte zufrieden. «Nun denk über die nächste Frage nach: Was ist der Sinn deiner Existenz?»

      «Zu sein!» stieß ich mißmutig heraus.

      «Du lügst! Wenn das der Sinn deiner Existenz wäre,


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