Der wandernde Krieg - Sergej. Michael Schreckenberg

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Dollar auf dein spanisches Konto gehen.“

      „Wie viel insgesamt?“

      „Mehr als eine Million. Dollar.“

      Mir klappte der Kiefer runter.

      Sie lächelte halb. „Ja, ja, es geht dir besser als den meisten Menschen, die dich fürchten. Wir hatten eine Menge Glück bei der Sache. Und, so bescheuert das klingt, es hat irgendwo sogar Spaß gemacht. Du bist zu so was wie Marks Hobby geworden. Allerdings hat er das Ganze mehr und mehr als eine Art Spiel betrachtet. Als du ihn heute angerufen hast, war er ziemlich geschockt.“

      „Tut mir leid.“

      „Braucht es nicht. Dadurch, dass Mark so viel Zeit und Energie darauf verwendet hat, und das fast von Anfang an, seit du …“

      „ … in der Klapsmühle warst …“

      „ … ja, danke. Also, weil er so viel da reingesteckt hat, ist es ganz gut durchdacht. Trotzdem, Sergej – das ist alles mit ziemlich heißer Nadel gestrickt. Mark hätte dich lieber im Osten untergebracht, da kennt er sich ja auch besser aus. Er war gerade dabei, den Plan zu entwickeln. Wir werden einiges improvisieren müssen. John und Shirley werden zum Beispiel nicht ewig auf ihr Haus verzichten wollen. Und das war schon ein absoluter Glücksfall. Nur eben Mallorca. Du solltest den Kopf unten behalten, bei all den Deutschen da. Nicht allzu oft in die Städte, nicht an die großen Strände und so. Ein paar von den Nachbarn kennen die Geschichte vom verfolgten Weißrussen, vielleicht helfen die dir.“

      „Kein Ballermann.“

      „Nee, besser nicht.“

      Sie verabschiedete sich mit einem Kuss und ging zurück in ihr Zimmer. Ich schaffte es gerade noch, die Jeans abzustreifen, den Gürtel mit dem Messer auszuziehen und neben mich zu legen, dann verließen mich alle Kräfte und ich fiel in Schlaf.

      Ich träumte. Ich war wieder in der Klinik, sie brannte, aber diesmal waren die Gänge nicht leer, überall rannten Gestalten durcheinander, flohen vor den Flammen, die aus allen Richtungen zu kommen schienen. Ich schritt langsam einen Korridor entlang. Wo immer ich vorbeiging, brachen neue Feuer aus und Menschen sanken zu Boden. Ich fühlte eine gewaltige, verderbende Macht in mir und genoss sie. Ich verließ die Klinik, die hinter mir prasselnd und krachend in sich zusammenfiel, und stand auf einer endlosen Ebene aus toter, verbrannter Erde. In der Ferne sah ich eine brennende Stadt, aus der mir zwei Gestalten entgegenkamen, die zu leuchten schienen. Sie wurden immer größer und reichten bald bis zum Himmel. Ich erkannte, dass auch sie in Flammen standen. Etwa auf der halben Strecke zwischen der Stadt und mir blieben sie stehen, zwei gewaltige Figuren, in Mäntel aus Feuer gehüllt, die sie verzehrten. Ich erkannte sie, obwohl der Brand mehr und mehr an ihnen fraß. Es waren Mark und Sandra. Sie winkten mir und riefen mich bei meinem wirklichen Namen.

      Ich wachte schweißgebadet auf und wartete darauf, dass die Erinnerung an den Traum wie üblich verging. Aber sie blieb. Ich stand auf, ging ins Bad, pinkelte und wusch mir den Schweiß aus dem Gesicht. Draußen wurde es schon hell. Ich packte meine Sachen, staffierte mich wieder mit Kopftuch und Sonnenbrille aus und verließ das Hotel.

      Sandra pickte mich am späten Vormittag an der Autobahnraststätte auf. Wir fuhren bis nach Amsterdam, zum Flughafen. Ich war so angespannt und vorsichtig, darauf bedacht, die Erwachsenen um mich möglichst unauffällig zu beobachten, dass ich fast über zwei Kinder gestolpert wäre, die mir in den Weg traten. Es waren ein Junge und ein Mädchen, beide etwa fünf Jahre alt und seltsam festlich angezogen, sie trug ein weißes Rüschenkleid und schwarze Lackschuhe, er einen grauen Pullunder über einem weißen Hemd, eine ebenfalls graue Hose und auch schwarze Lackschuhe. Ich starrte sie an. Sie starrten zurück.

      „Schön, dich zu sehen“, sagte das Mädchen. Es hatte eine helle Stimme, und seine Freundlichkeit klang wie dünner Lack über einer tiefen Leere. Beide begannen gleichzeitig zu lächeln und entblößten blendend weiße Zähne. Sie kamen mir bekannt vor, aber ich war sicher, sie noch nie gesehen zu haben.

      „Ja, ich freue mich auch“, versetzte ich. „Und jetzt trollt euch zu euren Eltern, ja?“ Ich blickte mich um, fürchtend, dass unser Beinahezusammenstoß mehr Aufmerksamkeit erregt hatte, als mir lieb sein konnte. Doch niemand achtete auf uns, es war, als würden die vielen Menschen um uns herum uns gar nicht wahrnehmen. Die Kinder sahen sich an, lachten in enervierend gleichem Tonfall und gingen Hand in Hand von dannen.

      Ich hatte, entgegen meinen Befürchtungen, keine Probleme einzuchecken, hauptsächlich, weil Sandra ihre Sache großartig machte. Sie hatte ebenfalls ein Ticket gekauft und würde mit einer Maschine, die kurz nach meiner startete, nach London fliegen. Wir kamen beide fast zu spät zum Check-in, und sie lamentierte und zeterte dermaßen, dass der Grenzpolizist und seine Kollegin vom Flughafenpersonal glücklich waren, mich durchwinken zu können.

      Das Flugzeug startete, und ich sah die Welt unter mir kleiner werden. Ich hatte das Fliegen immer gemocht, besonders Fensterplatz. Ich sah hinaus und hatte einen klaren Blick auf die Spielzeugwelt unter mir. Es war alles so klein und filigran. Ich legte die Hand ans Fenster. So winzig. So zerbrechlich.

      Als könnte ich es alles mit einem Griff zerquetschen.

      Die Kinder standen auf der Aussichtsplattform des Flughafens und sahen dem startenden Flugzeug nach.

      „Er ist fort“, sagte das Mädchen.

      „Ja“, antwortete der Junge.

      „Wir müssen es vorbereiten.“

      „Ja. Vorbereiten. Und beobachten.“

      „Wachsam sein. Tun, was getan werden muss.“

      „Diesmal muss es gelingen.“

      Sie fassten sich an den Händen und machten sich auf den Weg.

       Brief Erin Simpsons an Sonja von Tramp, 19.07.

      Liebe, liebe, liebe Sonny,

      noch mal ganz vielen Dank. Im Moment bin ich irgendwo über dem Atlantik, meine Uhr ist noch auf eurer Zeit, danach ist es jetzt Viertel vor acht.

      Ich bin völlig durcheinander, Sonny. Was soll ich denn jetzt machen? Die ganzen letzten Tage habe ich nur gedacht, bloß weg hier, bloß weg aus Europa und so, aber jetzt, da ich wieder näher an zu Hause als an euch bin, weiß ich überhaupt nicht, was ich anfangen soll. Fletch wird mich in Columbus abholen, und was dann? Ich bin eine abgebrochene Studentin in Völkerkunde und Archäologie, spreche fließend Deutsch und Dänisch und kenne mich mit den alten Germanen aus. Ich habe nicht das Gefühl, dass man in Ohio auf so was gewartet hat. In GRIZZLAND, Ohio. Das ist ein Kaff, Sonny. Ich glaube, Fletcher ist nur dageblieben, um meine Eltern zu ärgern, und Jannice wegen Fletch. Ich wollte nie dahin zurück, nie, nie, nie. Ich sehe meinen Vater schon grinsen und höre meine Mutter predigen. FUCK! Lass dir eins sagen, Liebes, geh nie mit dem Lieblingsdoktoranden deines Profs ins Bett. Dieser widerliche kleine Schleimer, wie konnte ich nur? Fletch hat mir von Anfang an gesagt, dass er Dreck ist, und Fletch ist einen Ozean entfernt. Aber wer hört schon auf seinen kleinen Bruder?

      So, was nun? Zu Hause müsste ich mit dem Studieren noch mal ganz von vorne anfangen, das kann ich vergessen. Mal sehen, vielleicht kann ich mit den Sprachen was machen. Haegen-Dasz-Eiscreme verkaufen zum Beispiel, ha, ha, ha. Oder ich gebe mich als Sauerkraut-Köchin aus und fange in einem deutschen Restaurant an. (Ich habe in den ganzen Jahren in Deutschland nie eine Einladung zum Sauerkraut bekommen, so achtet ihr auf eure Traditionen, schämt euch!) Na ja, wir werden sehen. Ich muss dir noch mal danke sagen. Du bist eine tolle Freundin. Ich wünsche dir alles Liebe und Gute und verspreche, bald wieder zu schreiben.

      Love

      Erin

      P.S.: Es ist fast Mitternacht und ich liege in meinem Zimmer in Fletchs und Jans Haus. Mitternacht hier, bei dir müsste es schon wieder Morgen sein. Ich habe die Mutter aller Jetlags. Aber ich muss


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