Der wandernde Krieg - Sergej. Michael Schreckenberg
ich hörte trotzdem, was er sagte.
„Mark, hör mal grade. Da ist jemand für dich. Nennt sich Hans Müller.“
Ich verstand die Antwort nicht. Mein Gesprächspartner wandte sich wieder mir zu.
„Er möchte gerne wissen, worum es geht.“
Ich überlegte schnell.
„Sagen Sie ihm, es geht um die Sache mit dem Krankenhaus. Und dem Bild.“ Ich hoffte, er würde den Hinweis verstehen.
Lange Stille, dann wieder Kollege Halberich.
„Moment, er geht ins andere Büro. Ich stelle durch.“
Einige Sekunden ertönte eine grässliche Computerversion von „Bright Eyes“, dann ein Knacken in der Leitung.
„Mark Förster.“
„Weißt du, wer ich bin? Erkennst du meine Stimme?“, fragte ich.
„Nein. Aber wenn du der bist, für den ich dich halte, ist das kein Wunder. Wir haben vor fast zwei Jahren zuletzt miteinander gesprochen.“
Ich rechnete kurz. „Ja, das stimmt.“
Er zögerte. „Ich bin nicht sicher.“
„Was soll ich machen?“
Er überlegte. „Du hast von einem Bild gesprochen. Wann und wo habe ich es dir gegeben?“
„Du hast es mir nicht gegeben. Es hing an der Pinnwand in deiner Küche.“
„Zweite Frage. Vor vielen Jahren habe ich mich in eine Frau verliebt, die du auch kennst. Sie wollte mich nicht. Wie hieß sie, wen hat sie geheiratet und was macht sie heute?“
Ich spürte fast, wie das Blut mein Gesicht verließ. Meine Lippen wurden kalt und meine Kopfhaut begann zu kribbeln. Was sollte diese Frage?
„Sie hieß Sarah Bender“, sagte ich, sehr, sehr leise. „Sie hat mich geheiratet. Und sie ist tot.“
„Es tut mir leid. Aber ich wollte sichergehen.“
„Dass Sarah und ich verheiratet waren, weiß die halbe Welt. Und das andere auch.“
„Ja“, sagte Mark, „aber dass ich auch was von ihr wollte, wissen nur wir beide. Außerdem ging es mir mehr um deine Reaktion.“
Ich holte tief Luft und unterdrückte den Versuch, ins Telefon zu brüllen.
„Es tut mir wirklich leid“, beschwichtigte er. „Aber jetzt glaube ich dir. Warum rufst du an?“
„Ich bin nicht da, wo wir uns zuletzt gesehen haben.“
Ein Moment Stille.
„Wie bitte?“
„Ich bin … draußen.“
Jetzt war es an ihm, tief Luft zu holen. „Was? Wie das?“
„Ist nicht so wichtig. Wirst du mir helfen?“
„Natürlich.“ Sofort, ohne Zögern. „Was brauchst du?“
Was brauchte ich? „Alles, eigentlich.“
„Okay, am besten wir treffen uns. Hier in Köln. Kannst du nach Köln kommen?“
„Ich denke schon.“
„Kennst du das Jameson’s noch?“
„Ja.“
„18 Uhr. Hinten durch. Mann Gottes, du hast verdammtes Glück, dass ich heute überhaupt hier bin. Sieh zu, dass dich keiner erkennt. Wenn das, was du sagst, stimmt, sind bald alle hinter dir her.“
„Ich weiß.“
„Viel Glück. Wir sehen uns heute Abend.“
„Mark?“
„Ja?“
„Kann ich dir vertrauen?“
„Du wirst mir vertrauen müssen, oder?“
„Ja. Aber komm alleine.“
„Natürlich. Bis heute Abend.“
Er hängte auf.
6
Er fuhr eine Weile über Autobahnen und Landstraßen. Er suchte, ohne Hast. Wenn es so weit war, würde er es merken. Sein Gefühl leitete ihn – kalt, kalt, warm, wärmer. Irgendwann wusste er, dass diese Ausfahrt die richtige war. Er verließ die Autobahn und fuhr an Wald vorbei, passierte ein paar Häuser, dann wieder ein Stück Landstraße, die zu einer Ortsdurchfahrt wurde. An einer Kreuzung prüfte er kurz schnuppernd die Luft und bog links ab. Vorbei an einer Fußgängerzone, über eine Brücke und an einem Park entlang führte sein Weg ihn wieder aus dem Ort heraus. Er fuhr an ein paar einzeln stehenden Häusern, Gehöften und dem unvermeidlichen Gasthof vorbei, bis er in der Ferne etwas sah, das ihn anzog. Heiß.
Er bog von der Straße ab in eine ungepflegte Allee und blieb an deren Ende vor einem großen, eisernen Tor stehen.
Das war es. Perfekt.
Er stieg aus und prüfte das Tor. Es war rostig, aber solide, verschlossen mit einer Kette. Er wollte gerade das Vorhängeschloss entfernen, als er von hinten angesprochen wurde.
„Sie, was machen Sie denn da?“
Er drehte sich um. Vor ihm stand ein Mann, Mitte sechzig, in brauner Hose, braunkariertem Hemd und brauner Strickjacke. Der Mann trug einen braunen Filzhut. Neben ihm stand ein brauner Hund.
Er lachte. „Hallo, alter Mann.“
Der Mann wich ein paar Schritte zurück. Der Hund begann zu knurren. Er sah den Hund an und grinste.
„Sei mein Freund.“
Der Hund winselte und versteckte sich hinter dem Mann.
„Und Sie wünschen?“ Er sah den Mann an, mit etwas, das einem freundlichen Lächeln ziemlich nah kam. Er war ein bisschen aus der Übung. Der Mann wurde grau im Gesicht, seine Hände begannen zu zittern. „Ich wollte eben nur wissen …“
„Oh, ich gedenke …“, er sah über die Schulter zu dem großen Haus hinter der verwitterten Mauer mit dem eisernen Tor, „ … ich gedenke, dieses Objekt zu kaufen. Es ist doch zu verkaufen, oder?“
„Ja, ich glaube …“, der Mann schwitzte. Ein Speichelfaden lief aus seinem offenen Mund.
„Gut, gut. Wohnen Sie hier?“
„Ja. Da drüben. In Neurath.“
Er sah über die Straße jenseits der Allee. Stimmt, da standen ein paar Häuser. So was durfte einen eigenen Namen haben? Wie lustig. Er lachte und legte dem Mann eine Hand auf die Schulter.
„Dann sind wir ja bald Nachbarn.“
„Ja. Nachbarn.“
„Wie heißt du denn, Nachbar?“
„Wegner. Gustav Wegner.“
„Dann hör mir jetzt gut zu, Nachbar Gustav.“ Er beugte sich vor und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Mann keuchte und zitterte noch mehr.
„Hast du mich verstanden?“
„Ja.“
Er nahm die Hand von der Schulter des Mannes und trat einen Schritt zurück.
„Gut, Nachbar Gustav. Dann kannst du jetzt gehen. Es war schön, dich kennenzulernen.“
„Ja. Schön.“ Der Mann stand da und sah ihn glasig an.
„Du kannst gehen, sage ich. Und nimm deinen Hund mit.“
Der Mann drehte sich auf dem Absatz um und schlurfte von dannen. Der Hund folgte,