Lords of the Left-Hand Path. Stephen Flowers

Lords of the Left-Hand Path - Stephen Flowers


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Auffassungen des linkshändigen Pfades haben jedenfalls weit über den Bereich magischen und okkulten Handelns hinaus die Jahrhunderte durchdrungen. Viele antike Philosophien beruhten auf Prinzipien, die sie mit dem linkshändigen Pfad teilten, und es geschah erst mit dem Aufkommen des Christentums, dass diese Philosophien entweder unterdrückt oder soweit christlich umgedeutet wurden, bis sie genehm waren (vgl. den Kult Odins oder insbesondere die pythagoräische/​platonische Philosophie). In neuerer Zeit haben moderne philosophische Systeme und politische Ideologien wesentliche und fundamentale Prinzipien des linkshändigen Pfades vollständig übernommen, die fast alle zu allgemein akzeptierten Normen der westlichen Welt wurden. Es ist leicht verständlich, dass die Mächte des orthodoxen Christentums jeden Fortschritt in der Wissenschaft, der Politik oder der Religionsphilosophie bekämpften, da jeder Schritt zu mehr spiritueller Freiheit und jede Stärkung pluralistischer Interessen gegenüber den Kräften der Einheit in der Tat ein Sieg des Fürsten der Finsternis – des Prinzips der isolierten Intelligenz – über die monolithische, einzige Gewalt des göttlichen Gebotes ist.

      KAPITEL 2

       Die östlichen Traditionen

      Ich beschaue in meinem Herzen die furchtlose Göttlichkeit leuchtender Dunkelheit.

      – Shivatoshini 1. 1. 14 –

      Dem westlichen Leser wird eine Betrachtung des linkshändigen Pfades vor dem Hintergrund rechtshändiger religiöser Vorstellungen des Ostens sehr schnell und auf eine einzigartig objektive Weise zeigen, worin die eigentlichen strukturellen Merkmale dieses Pfades liegen. Sie hat den zusätzlichen Vorteil, sich dabei innerhalb eines Kulturkreises zu bewegen, der den Zielen und Motiven des linkshändigen Pfades gegenüber verhältnismäßig tolerant eingestellt war. Wenn wir uns dem linkshändigen Pfad zunächst aus der Perspektive östlicher Traditionen zuwenden, können wir außerdem schon einige Probleme lösen, die uns später noch beschäftigen werden. Eine Annäherung über den Osten wird einige der konfusen Argumentationsstränge entflechten, die dem zuweilen hoffnungslos verwirrten Gemenge der historischen Quellen des linkshändigen Pfades im Westen entstammen. Womöglich wird auch deutlich, dass die strikte Trennung „östlicher“ und „westlicher“ Traditionslinien einfach deshalb vorgenommen wurde, um bestimmte Ideen in einer klaren und geordneten Form präsentieren zu können. Der linkshändige Pfad ist eine immer wiederkehrende Antwort auf menschliche Fragen jenseits der Beschränkungen von Raum und Zeit.

      Ich möchte hier diejenigen Traditionen als „östlich“ bezeichnen, die ihre Ursprünge im indo-iranischen Kulturkreis Süd- und Zentralasiens haben, d. h. Hinduismus, Buddhismus und Zoroastrismus.

      Die Ost-West-Unterscheidung löst sich auf, wenn man die ursprünglich gemeinsamen Wurzeln beider Zweige erkennt, die im Substrat der indoeuropäischen Weltanschauungen liegen. Dadurch wird dann auch das kulturübergreifende Wesen des linkshändigen Pfades offensichtlich. Die Prinzipien, die die Trennung zwischen links- und rechtshändigem Pfad unterlaufen, finden sich über ein weites kulturelles Spektrum verteilt in der gesamten Weltgeschichte. Die wahren Herren des linkshändigen Pfades erwuchsen zu allen Zeiten an jedem Ort der Welt und können keiner bestimmten Epoche oder Region allein zugewiesen werden.

      Die ältesten kulturellen Wurzeln der indo-iranischen (arischen) Religion und Philosophie sind nicht auf dem indischen Subkontinent selbst, sondern im Kaukasusraum sowie in den Steppen des heutigen südlichen Rußland zu finden. Es war aller Wahrscheinlichkeit nach diese Region, von der während des vierten Jahrtausends v.u. Z. die Migration dort heimischer Völker in mehreren Phasen ihren Ausgang nahm.1 Diese Bevölkerung ist unter dem umständlichen und wenig romantischen Namen „Indoeuropäer“ bekannt, was daraus folgt, dass sich die endgültigen Ziele der Wanderungsbewegungen dieser ursprünglich eine Einheit bildenden Stammesverbände von Westeuropa bis nach Indien und an die chinesischen Grenzen erstrecken.

      Die ältesten Indoeuropäer waren ein halbnomadisches Volk, das in den weiten Steppen das Pferd zähmte, das Rad erfand (das für ihre Streitwagen und Anhänger so wichtig wurde) und lernte, so harte Metalle wie Kupfer zu schmelzen. Die Kombination von Pferd, Rad und Kupfer machte sie in der Schlacht fast unbesiegbar, so dass sie sich über weite Gebiete ausbreiten konnten. Allmählich eroberten und unterwarfen sie die lokalen Populationen und verschafften ihrer Sprache, Kultur und ihren religiösen Systemen in den besetzten Gegenden durch eine Verbindung von kriegerischer Härte und kulturellen Errungenschaften die Vorherrschaft. Daher gab es etwa zur selben Zeit, als die Städte Mesopotamiens zu gedeihen begannen und in Ägypten die Pyramiden gebaut wurden, tatsächlich eine weitere „Hochkultur“, die aus dem Norden kam und sich in den größten Teilen der bekannten Welt verbreitete. Während die Mesopotamier und Ägypter mit Stein bauten, errichteten die Indoeuropäer intellektuelle Monumente. Am meisten ragt wohl der Rig-Veda heraus, der seit der Zeit seiner Kodifizierung gegen Ende des zweiten Jahrtausends v.u. Z. bis zum heutigen Tage mündlich überliefert wurde. Dieses gewaltige geistige Bauwerk hat sich oft genug als dauerhafter als alle Steine anderer Kulturen erwiesen, so dass es diese gesamte Zeit hindurch lebendig, dynamisch und voller Sinn geblieben ist.

      Das philosophische und religiöse Denken der antiken Indoeuropäer beruhte nicht auf einem einheitlichen Kultus, sondern auf einer in mehrere Ebenen geschichteten Struktur. Diese Ebenen – oder Funktionen – sind am gründlichsten von dem französischen Indogermanisten Georges Dumézil und seinen Schülern dargestellt worden.2 Die erste Schicht gehört dem Reich des – sowohl als Verstand als auch als Intuition begriffenen – Intellektes an. Im urtümlichsten indischen Religionssystem werden diese Aspekte des Intellekts von den Göttern Mitra und Varuna beherrscht; in der germanischen Welt werden dieselben Aufgaben von Tyr und Odin erfüllt. Die zweite Ebene entspricht dem Reich der physischen Kraft; über dieses waltet in den Veden der Gott Indra und in den nordischen Eddas Thor. Die dritte Schicht ist die der natürlichen Schöpfung oder Vitalität, die in Indien Ashvinau und in Germanien die wanischen Gottheiten Freyr und Freyja – als Herr und Herrin – repräsentieren. Diese mythische Ordnung spiegelt sich auch in der menschlichen Gesellschaft, die sich in eine geistige Klasse der Könige, Philosophen, Richter und Magier, in eine der Krieger und in diejenige der Bauern, Handwerker, Künstler usw. gliedert. Noch in Platons idealer Gesellschaft, die er in seiner Politeia („Der Staat“, ca. 350 v.u. Z.) diskutiert, findet sich eine Widerspiegelung dieser uralten Schichtung; dort expliziert er einen Staat der Händler oder Handwerker, der Krieger oder exekutiven Macht sowie der „Wächter“ oder Philosophen mit ihren jeweiligen Aufgaben in einer solchen durchorganisierten Gesellschaft.3

      Besonders wichtig ist hier zu erkennen, dass die religiösen oder philosophischen Merkmale der ersten Hierarchie-Ebene grundlegend von denen der zweiten oder dritten unterschieden sind. Auf der ersten Ebene wird seit Urbeginn die Aufmerksamkeit auf den Intellekt, die Seele oder die Psyche des Menschen gerichtet. Selbst in den ältesten Texten des Rig-Veda findet sich die Aussage der Priester, dass sie „die Götter geschaffen“ hätten, was bedeuten soll, dass die Göttinnen und Götter in Wahrheit Ausdrucksformen der göttlichen Urbilder seien, wie sie in der intellektuellen oder psychischen Beschaffenheit menschlicher Wesen angelegt sind. Die zweite Funktionsebene betrifft die physischen Kräfte und deren Gebrauch, namentlich die Fähigkeiten des Kriegers. Die dritte beruht schließlich auf der Natur und den Zyklen des natürlichen und organischen Lebens: den Kräften des Hervorbringens und Fortpflanzens. Auf dieser externen Realität liegt der Fokus ihrer religiösen und philosophischen Begrifflichkeit. Wir sehen also, dass es schon auf dieser urtümlichsten Stufe eine gewisse Differenz zwischen denen gab, die das Selbst oder den Intellekt, und denen, die die „Natur“ verehrten. Gleichwohl gab es seit den Ursprüngen der indoeuropäischen Denkmuster genug Platz für beide religiösen Pole innerhalb eines schöpferischen Systems. In diesem Zusammenhang ging es nicht so sehr um eine horizontale Unterscheidung zwischen links- und rechtshändigem Pfad, sondern um eine vertikale, die sich in der „gesellschaftlichen Struktur“ von Göttern und Menschen spiegelt.

      Wie


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