Lords of the Left-Hand Path. Stephen Flowers
gibt, die behaupten, die gotische Tradition bis heute weiterzuführen. Die esoterischen Aspekte der gotischen Tradition habe ich in meinem Buch The Mysteries of the Goths (2007) aufgezeichnet.
Die Geschichte von der Bekehrung der Deutschen ist gemeinhin blutig. Nach der militärischen Eroberung durch fränkische Könige, die im Auftrag des römischen Papstes handelten, wurden die meisten Bekehrungen unter Todesandrohungen durchgeführt.
Um 597 u. Z. wurde eine römische Mission nach England gesandt, das zu der Zeit ein Bündnis von sieben unabhängigen Königreichen war. Æthelbert, der König von Kent, konvertierte unter dem Einfluss seiner Frau zum römischen Christentum und begann, wenn auch oft nur halbherzig, sowohl militärisch als auch ideologisch gegen die anderen Königreiche Krieg zu führen. Um die Mitte des achten Jahrhunderts war England dann schließlich – zumindest dem Namen nach – christianisiert.
In Skandinavien finden wir verschiedene Szenarien der Bekehrung zum Christentum. Dänemark wurde auf Betreiben der monarchischen Kräfte hin bekehrt, die dadurch ihre Kontrolle über das Land verstärken konnten. Norwegen, damals ein loses Bündnis freier Grundbesitzer, rückte ins Visier von Eroberern wie Olaf Tryggvason, der das ganze Land unter monarchische Kontrolle brachte. Während dieser Vorstöße verließen viele Freie die Region und siedelten auf der zuvor unbewohnten Insel Island. Im Jahre 1000 konvertierte Island friedlich durch ein Parlamentsvotum zum Christentum. Als letzte Region wurde das schwedische Uppland von christlichen Königen erobert, wo 1100 der letzte große Heidentempel von Uppsala niedergebrannt wurde. Doch auch, nachdem die Bekehrung offiziell vollzogen war, hielten sich die vorchristlichen Traditionen noch lange. Hunderte von Jahren existierte in Europa ein ähnlicher religiöser Synkretismus, wie er heute in der Karibik zu finden ist.
Aus der Perspektive des linkshändigen Pfades gesehen, erfuhr die außerordentlich wichtige Gestalt Wotans eine radikale, jedoch voraussehbare, Spaltung seines Persönlichkeitsbildes. Wie all die anderen Götter wurde er nun als Inbegriff des Bösen dargestellt. In manchen Teilen Deutschlands war es verboten, seinen Namen auszusprechen. Aus diesem Grunde wurde der einst nach ihm benannte Wochentag in „Mittwoch“ umbenannt, während Thor (der in Deutschland Donar hieß) den nach ihm benannten Donnerstag behielt. Der ursprüngliche Name des Mittwochs hat in einigen deutschen Dialekten als Wodenestag oder Godensdach überlebt.29 Doch auch nach der Bekehrung behielt Wotan seine Schutzherrschaft über die herrschende Elite. Alle angelsächsischen Könige beriefen sich weiterhin auf ihre Abstammung von Woden,30 und in der englischen Sprache behält er auch seinen Wochentag, Wednesday (Wodenstag).
In der spirituellen Praxis oder der Magie der altertümlichen germanischen Völker verwandelt sich der wotanistische Magier mittels Runenformeln in ein gottgleiches Wesen, entsprechend den charakteristischen Merkmalen des Gottes Wotan. In diesem transformierten Zustand setzt er – wieder, indem er die heiligen Runen anwendet, die sein Schutzgott Wotan erstmals empfing – seinen Willen über das Weltgefüge. In der ältesten Periode nannten sich diese Magier Heruler. Diese Stammesbezeichnung scheint zum Synonym für jene Runenmeister geworden zu sein, die durch ihre Fähigkeiten zu einem den Göttern ähnlichen Status „aufgestiegen“ sind.31
Wotans Vorbild eines beharrlich brütenden, unermüdlichen Suchers nach Wissen und Macht weist archetypisch bereits auf den frühmoderne Mythos von Doktor Faustus voraus, der auf seiner Suche nach diesen Qualitäten alle Hürden überwindet.
Was bezüglich des linkshändigen Pfades im altertümlichen Wotanismus festzuhalten bleibt, ist, dass er eine traditionelle, etablierte Methode der Selbsttransformation nach göttlichem Vorbild anwendete, ohne die Absicht, mit dem Gott zu verschmelzen. Der archaische Wotanismus, der sich letztlich von derselben religiösen Denkströmung ableitet, die wir in ostindoeuropäischen Formen des linkshändigen Pfades vorfinden, war ein Weg, das Selbst göttergleich im Sinne der mythisch-heroischen Vorbilder zu machen, die in den germanischen Überlieferungen gerühmt werden. In diesen religiösen Nährboden wurden die christlichen Vorstellungen eingesetzt – deshalb war das Aufkommen von Ideen des linkshändigen Pfades im kulturellen Kontext zu erwarten. Man bedenke außerdem, dass es der Form des Christentums, wie sie anfangs von den Goten angenommen wurde, selbst nicht an Qualitäten des linkshändigen Pfades mangelte!
Der linkshändige Pfad bei den Slawen
Schon immer war der slawische Geist „vertrauter“ mit dem Teufel als vielleicht jede andere Kultur Europas. Dies mag von der Tatsache herrühren, dass die Slawen bis in unsere Zeit einen Kult um Hausgeister bewahrt haben, deren Natur im Sinne von „Gut“ und „Böse“ recht zweideutig zu betrachten ist.
In seiner Einleitung zu Ouspenskys Talks with a Devil bemerkt J. G. Bennett:
Die Teufel sind den Menschen gegenüber nicht feindlich gesinnt, außer, wenn der Mensch ein Freund Gottes ist. Sie sind es, die für den technischen Fortschritt aller Art verantwortlich sind: von ihnen lernte die Menschheit die Künste des Schmiedens, des Brauens und des Destillierens; der Teufel selbst entdeckte das Feuer, errichtete die erste Mühle und baute den ersten Wagen. Die Kunst des Lesens und Schreibens war eines seiner Geschenke an die Menschheit. All dieses ward gegeben, um den Menschen von Gott unabhängig zu machen und die Verbindung zu kappen, durch die der Mensch in der Lage war, Gott beim Regieren der Welt zu helfen.32
Aus der slawischen Überlieferung sind zwei Arten von Teufeln bekannt: der eine wird Lukhavi genannt, was etwa „der Schlaue“ bedeutet, und der andere ist Chort, was einfach „der Schwarze“ bedeutet.33 Der „schlaue“ Teufel ist anscheinend urtümlicher und slawischer als der „schwarze“. Andererseits scheint die Bezeichnung „Chort“ offenbar durch die dualistischen Kulte geprägt zu sein, die im Mittelalter und auch noch danach in einigen slawischen Regionen sehr populär waren.
In der russischen Überlieferung wird der Teufel oft als Personifizierung der materiellen Welt betrachtet. In dieser Sichtweise sind beide Vorstellungen der alten Slawen enthalten, sowohl Lukhavi (der Wissen und das Geschick vermittelt, mit der Materie umzugehen) als auch Chort (der die materielle Welt als Gegensatz zur geistigen Welt verkörpert).
Diesen späteren dualistischen Aspekt verdeutlicht M. Dragomanov, der zeigt, wie Satanail – eine mittelalterliche slawische Form von Satan – bei der Erschaffung der Welt und des Menschen eine zentrale Rolle spielt. Gott weist Satanail an, in das Urmeer zu tauchen, um die Erde und den Feuerstein zu holen. Satanail gibt Gott das Material; Gott hält es in seiner Rechten und erschafft daraus trockenes Land über dem Meer. Mit der Linken reicht Gott Satanail ein Stück Feuerstein, und dieser schlägt daraus seine Engel, eine „große, wütende Schar fleischlicher Götter“.34
Nach manchen Überlieferungen erschuf Satanail die sichtbare Welt und Gott die unsichtbare, während andere meinen, dass Satanail den Körper des Menschen schuf und Gott ihm die Seele gab. Diese Vorstellungen sind deutlich von den Lehren der Bogomilen beeinflusst (siehe Seiten 134 - 136), oder sie stehen mit diesen in Verbindung.
Tatsächlich geht eine bulgarische Überlieferung davon aus, dass der Teufel – Zerzevul genannt – ein Gegenparadies erschaffen hat, das er dem von Gott geschaffenen gegenüberstellt. Triumphierend sagt Zerzevul zu seiner Schar von Teufeln:
Ho, meine Schar, habt ihr gesehen, dass wir auch ein Paradies erschaffen können, wie Gott es macht? Kommt, geht hinein, esst, trinkt von allem, was darin ist; ich verbiete euch nichts, wie der Herr dem Manne, den er mit seiner Frau hineinsetzte, etwas verbot; ich gebe euch die Freiheit, zu tun, was immer ihr wollt. Sagt dieses den Leuten: ‚Was immer einer tun möchte, lasst ihn gewähren. In meinem Paradies gibt es zu essen, zu trinken und Vergnügen, soviel sie von mir verlangen.‘35
Es sollte noch angemerkt werden, dass unter den russischen Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts Ouspensky den Teufel im Besessensein von der materiellen Welt ausmachte, während Gurdjieff ihn als ein außerirdisches Wesen sah. Der Teufel der Slawen ist ein wichtiges, wenn auch gewöhnlicherweise finsteres Vorbild für das Bild der materialistischen Freizügigkeit im Satanismus des späten neunzehnten und des zwanzigsten Jahrhunderts, wie er beispielsweise bei Anton LaVey seinen Ausdruck findet (siehe Kap. 9).
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