Beutewelt V. Bürgerkrieg 2038. Alexander Merow
den Bauch streichelnd.
Seit einigen Tagen hatte sie Gewissheit. In ihr wuchs neues Leben heran. Ein Junge oder ein Mädchen wurde da zum Menschen. Doch es würde ein Mensch ohne Vater werden.
Frank aber war nicht tot, zumindest noch nicht. Sie hatten ihn tagelang in dem dunklen Loch eingesperrt und seinen Ängsten überlassen. Heute Morgen hatten sie ihn erneut herausgeholt, in einen anderen Raum geführt und an einen metallenen Stuhl gefesselt. Dann waren sie wieder verschwunden. Mittlerweile saß der junge Mann schon seit zwei Stunden in der hässlichen Betonkammer. Fenster gab es hier nicht, nur graue Wände, den metallischen Stuhl und ihn selbst. Plötzlich hörte Kohlhaas Schritte und Stimmen. Die Tür wurde geöffnet und der glubschäugige KKG-Offizier betrat mit vier weiteren Männern den Raum.
Einer der Kollektivisten schob ein kleines Wägelchen vor sich her, auf dem der Gefangene einige blitzende Gegenstände aus Metall erkennen konnte. Er erschrak zutiefst.
„Bringt mir endlich einen Stuhl!“, herrschte der Offizier seine Untergebenen an und einer der Männer eilte aus dem Raum heraus, um kurz darauf mit einer Sitzgelegenheit wiederzukommen.
Der KKG-Offizier setzte sich umgekehrt darauf, legte seine verschränkten Armen auf die Stuhllehne und grinste Frank mit eisigem Blick an.
„Herr General, wie geht es Ihnen?“, fragte er mit zynischem Nachklang. Frank schwieg. Er drehte den Kopf zur Seite.
„Sie sind heute nicht sehr gesprächig, wie? Dabei habe ich mir fest vorgenommen, dass wir ein wenig plaudern!“
„Fick dich!“, zischte Kohlhaas zurück.
„Ich soll mich ficken? Wir werden im Laufe des Tages noch herausfinden, wer hier wen fickt!“, giftete der Verhörende zurück.
„Gut! Lassen wir jetzt diese Kindereien! Wir haben Ihren DC-Stick untersucht, General. Weiterhin gibt es in den Archiven der KVSG mittlerweile eine gut gefüllte Datenbank über Sie. Ich habe mir das alles einmal zu Gemüte geführt. Als Vertrauter von Artur Tschistokjow möchten Sie uns sicherlich einiges über die Freiheitsbewegung der Rus erzählen, nicht wahr?“
„Wollt ihr mich sonst abknallen?“, gab Frank trotzig zurück.
„Ja, irgendwann vielleicht schon. Aber erst nachdem wir Ihnen Schmerzen zugefügt haben, die den Tod als Erlösung erscheinen lassen. Nur um das klar zu stellen!“, erwiderte der Offizier und zog seine dunklen Froschaugen zu einem dünnen Schlitz zusammen.
„Also, was hat Tschistokjow als nächstes vor? Welche Stärke hat seine Armee?“
Frank lächelte gequält. „Seine Armee ist stärker als ihr glaubt!“
Der Offizier nickte einem seiner Gehilfen zu und dieser nahm ein Skalpell von dem Wägelchen. Dann postierte er sich hinter Kohlhaas. Der Gefangene konnte seinen warmen, stinkenden Atem spüren und schluckte.
„Gut, wie stark ist Tschistokjows Armee wirklich?“, bohrte der Verhörende nach.
Der gefesselte General starrte auf den Boden und antwortete: „Sie ist stark!“
Das Skalpell schnitt durch die Haut von Franks Oberarm und ein stechender Schmerz schoss ihm in den Kopf.
„Stark?“, fragte der Offizier.
„Leck mich!“, stöhnte der Gepeinigte und verzog sein Gesicht.
Es herrschte kurzes Schweigen, dann stach ihm der KKG-Mann von hinten in den Oberschenkel. Frank schrie laut auf und sah einen Rinnsaal Blut auf den grauen Betonboden tropfen.
„Geben Sie mir genaue Informationen! Wie viele Regimenter der Volksarmee sind in St. Petersburg? Wie viele Ordnertrupps? Hat Weißrussland inzwischen Panzer und Flugabwehrgeschütze?“
„Ja!“, zischte Frank.
Der Offizier sprang auf und wickelte sich seinen Ledergürtel um die Finger. Dann schlug er Frank mehrfach ins Gesicht.
„Ja? Ja, was? Ich will Zahlen hören!“, brüllte er.
Frank spuckte einen Schwall Blut auf den Boden und sagte nichts.
„Warum schneiden wir ihm nicht ein paar Finger ab?“, fragte einer der Männer.
„Alles zu seiner Zeit!“, erklärte der Offizier.
So ging es noch eine Stunde lang weiter. Nach dem Verhör und Franks fortgesetztem Schweigen brachten sie den Gefangenen in einen anderen Raum im Keller des finsteren Gebäudes. Kohlhaas stöhnte vor Schmerzen und musste getragen werden. Seine Peiniger öffneten eine weitere Stahltür und stießen ihn in einen Raum voll kaltem Wasser. Dann schlossen sie die Tür zu.
Entsetzt sah sich Frank um. Er befand sich in einem etwa 80 Zentimeter tiefen Becken, das den gesamten Raum ausfüllte. Es gab keine Möglichkeit, sich irgendwo festzuhalten oder anzulehnen. Der General stieß einen verzweifelten Schrei aus und hämmerte mit der Faust gegen die raue Betonwand. Irgendwann kauerte er sich wimmernd in eine Ecke und versuchte, nicht vor Erschöpfung unterzugehen.
Am 06.12.2038 kehrten die ersten siegreichen Truppenverbände der GCF aus dem Iran nach Russland zurück. Sie durchquerten Turkmenistan und erreichten anschließend den Westen von Kasachstan, wo sie sich mit den neu ausgehobenen Milizen der Kollektivisten zusammenschlossen.
Andere Verbände der internationalen Streitkräfte gingen im hohen Norden bei Murmansk an Land und besetzten den strategisch wichtigen Flottenhafen, um ihren Verbündeten mit den schwarz-roten Fahnen den Rücken frei zu halten. Die KVSG begann derweil mit dem Aufbau einer Bürgerkriegsarmee und entfaltete eine fieberhafte Rekrutierungstätigkeit in den Städten Zentral- und Ostrusslands. Tausende von Männern strömten zu ihren Bannern und wurden mit neuen Waffen, die aus Nordamerika geliefert worden waren, ausgerüstet.
Weiterhin zog die Weltregierung einige GCF-Verbände aus Nordchina ab und verlegte sie in den südsibirischen Bereich. Der Infanterie folgten Panzerverbände und kleinere Flugzeugschwadronen. In Westeuropa, Polen, Tschechien und den umliegenden Ländern wurden ebenfalls einige multinationale Divisionen für einen zukünftigen Angriff auf Weißrussland bereitgestellt.
Doch das war erst der Anfang. Immer neue Truppenaushebungen wurden von den Mächtigen angeordnet und die Medien sprachen von einem bewaffneten Konflikt in naher Zukunft, der Tschistokjows Ende bringen sollte.
Die Lage wurde innerhalb weniger Tage dramatisch und stieß den weißrussischen Präsidenten und seine Minister in tiefste Verzweiflung. Der Sieg der Rus in St. Petersburg war der endgültige Startschuss für den sich nun anbahnenden Bürgerkrieg in Russland gewesen. Hatten sich gestern noch politische Aktivisten in blutigen Straßenschlachten bekämpft, so kündigte sich jetzt eine neue Dimension der Auseinandersetzungen an: Der militärische Konflikt.
Artur Tschistokjow hatte die ganze Nacht lang wach gelegen und seine Sorgen und Ängste waren auch am nächsten Tag nicht verflogen. Im Gegenteil, sie wuchsen genau so schnell an wie Uljanins bewaffnete Trupps, die mittlerweile auch den Westteil Russlands zu überschwemmen drohten. Es hatte bereits überall kleinere Scharmützel zwischen Volksarmisten und Angehörigen der von den Kollektivisten neu ausgehobenen Verbände der schwarz-roten Armee gegeben. In den meisten Fällen waren Tschistokjows Soldaten vertrieben oder getötet worden. Noch herrschte zwar eine gewisse Ruhe vor dem Sturm, doch der Präsident Weißrusslands war sich sicher, dass der Feind bald in ungeahnter Stärke vorrücken würde.
Heute galt es, die Offiziere und Oberbefehlshaber der Volksarmee der Rus auf den kommenden Bürgerkrieg einzuschwören. Doch der Rebellenführer fühlte sich müde, schlapp und depressiv. Er hatte in den langen Stunden der letzten Nacht viel an Frank Kohlhaas denken müssen, jenen Mann, der ihm damals in Baranovichi das Leben gerettet hatte, als ihn ein Scharfschütze hatte töten wollen.
Er lächelte notdürftig, als er in den großen Konferenzsaal des Präsidentenpalastes von Minsk kam und ihn seine Getreuen umringten. Sie warteten schon gespannt auf seine Rede. Tschistokjow hingegen hätte am liebsten wieder auf dem Absatz kehrt gemacht, um dann in seine Wohnung zurück zu kehren und einfach nur noch zu schlafen. Den Jubel seiner Anhänger kaum wahrnehmend,