Wenn alle Stricke reißen. Beate Vera
Kind. Ich gebe beiden ein Dach über dem Kopf und ausreichend Spielgeld für Hobbys und sonstige Freizeitaktivitäten. Im Gegenzug ist Maria die schöne Frau an meiner Seite und Tara die hochbegabte Tochter, die das Bild abrundet. Es ist ein Arrangement, mit dem alle sehr zufrieden sein können.«
Glander fand das eher deprimierend. Auch wenn immer zwei zum Tangotanzen gehörten, wie Lea es ausdrückte. »Herr Berthold, haben Sie Affären mit anderen Frauen?«
»Das geht Sie überhaupt nichts an, Herr Glander!«
»Sie irren sich. Eine unzufriedene Geliebte, die auf eine Heirat spekuliert, würde ich ziemlich weit oben auf die Liste meiner Verdächtigen setzen. Gleich hinter die abgelegte Liebhaberin, die auf Rache sinnt. Wo waren Sie gestern Abend zwischen neun Uhr und Mitternacht?«
Der Arzt schnappte nach Luft. »Worauf wollen Sie mit dieser Frage hinaus?«
»Ich will auf gar nichts hinaus, ich stelle Alibis für die Tatzeit fest. Sie sind Ihrer Frau und deren Tochter nicht sehr wohlgesinnt. Ihre Frau ist Ihnen seit Jahren ein Dorn im Auge und bedeutet ein Leck in Ihrem Geldtank. Es mag Ihnen nicht passen, aber so wie ich die Sache sehe, haben Sie ein wirklich bestechendes Motiv.«
»Nun, dann schlage ich vor, Sie ändern ganz schnell Ihre Perspektive, wenn Sie keine Verleumdungsklage am Hals haben wollen, Herr Glander.«
»Herr Berthold, wenn Ihr Anwalt auch nur ein bisschen was taugt, wird er Ihnen von einem solchen Schritt abraten. Wie sieht denn das aus? Der piekfeine Professor, dem die Entführung seiner Tochter egal ist …«
Auf Bertholds Hals machten sich rote Flecke breit.
Hab ich dich, du bornierter Sack!, dachte Glander.
Berthold hatte sich wieder gefasst und räusperte sich. »Ich war gestern Abend im Virchow-Klinikum und habe eine Notoperation geleitet. Das Team wird Ihnen das jederzeit bestätigen. Und ja, ich habe schon seit vielen Jahren eine Affäre, aber die Dame ist ebenfalls verheiratet und stellt keinerlei Ansprüche.«
»Ich brauche ihren Namen und eine Telefonnummer.«
»Auf keinen Fall!«
»Dann bitten Sie die Dame, sich umgehend mit mir in Verbindung zu setzen! Damit ist mein Entgegenkommen auch schon erschöpft. Wenn ich bis morgen Mittag nichts von ihr höre, erfährt die Presse von Ihren wahren familiären Verhältnissen. Selbstverständlich erst, nachdem Tara in Sicherheit ist.«
»Das wagen Sie nicht!«
Glander sah den Mann nachsichtig lächelnd an. »Möchten Sie es darauf ankommen lassen? Morgen Mittag zwölf Uhr, Professor!«
Der Arzt nickte und verließ das Wohnzimmer. Fast wäre er mit seiner Frau zusammengestoßen, die durch die Tür kam. »Einen feinen Ermittler hast du da an Land gezogen, Saya-Maria. Einmal Gosse, immer Gosse! Ich werde bis auf weiteres in der Klinik übernachten. Wenn Tara gefunden ist …«, er machte eine hässliche Pause, welche die Worte »tot oder lebendig« zu beinhalten schien, »… werde ich die Stelle in Paris antreten.«
Maria Berthold neigte den Kopf in die Richtung ihres Mannes.
Glander wandte seinen Blick von dem Ehepaar ab. In der Geste dieser schönen Frau lag so viel Würde, dass er sich für den Chirurgen fremdschämte.
Über dem Haus kündigte ein leises Grollen das bevorstehende Gewitter an.
Merve hatte Glander ihr Gespräch mit Lea umrissen und ihm deren Verbindung zu Tara Berthold erklärt. Danach hatten sie ihre nächsten Schritte geplant. Glander hatte keine weiteren Nachbarn angetroffen. Er würde es später erneut versuchen.
Maria Berthold hatte darauf bestanden, dass sie auch die Videoüberwachung installierten. Merve hatte verdeckte Kameras an den Eingängen und an strategischen Plätzen im Treppenhaus angebracht und war dabei, ihren Laptop entsprechend einzurichten. Selbst wenn einem der Mieter die Kameras auffielen, erwartete sie nicht, dass sich jemand beschwerte.
Glander nahm wieder im Wohnzimmer Platz und sah sich die Kontaktliste und den Wochenplan des Mädchens an. Da Tara ihrem Entführer vermutlich im Hausflur begegnet war, musste jemand den beiden Mädchen ins Haus gefolgt sein. Vielleicht hatte er die Tür blockiert, um kurz darauf hineinschlüpfen zu können. Auch war der hintere Eingang zu den Kellerräumen laut Frau Berthold nie abgeschlossen, da das Reinigungspersonal und der Gärtner ständigen Zugang brauchten und Prof. Berthold ihnen keine Schlüssel überlassen wollte. Hier hätte also ebenfalls jemand ins Haus gelangen können. Oder, und der Gedanke schmeckte Glander gar nicht, jemand war bereits im Haus gewesen, als Tara und Louise aus dem Park gekommen waren. Jemand, der Taras Wege kannte oder der – das war ebenfalls eine Möglichkeit – sogar im Haus wohnte. Glander schloss Maria Berthold zunächst aus dem Kreis der Verdächtigen aus. Sie müsste eine wirklich gute Schauspielerin sein, wenn die Angst um ihr Kind nicht echt wäre. Dem Professor traute er nicht über den Weg. Sie würden seine Finanzen genau durchleuchten. Verwandte hatten die Bertholds nicht. Prof. Berthold war Einzelkind, und Maria Bertholds Schwester war mit ihrem Mann vor ein paar Jahren nach New York gezogen.
Glander ging die Nachbarn durch: das Ehepaar Obentraut, die Chefsekretärin Anneke Gruhner, Taras Lehrer Gerd Lemke und Louises Vater Jürgen Schneider. Louises Schilderung des Abends würde er in jedem Fall überprüfen, sie war bislang die letzte Person, die Tara vor der Entführung gesehen hatte. Er würde sich außerdem die Mitglieder der Theatergruppe vornehmen, mit denen Tara und Louise am Pavillon gewesen waren. Vielleicht hatten die Jungs in ihren betrunkenen Köpfen einen Schabernack ausgeheckt, der außer Kontrolle geraten war. Glander wollte auch mit dem Vertrauenslehrer der Schule über das Mädchen sprechen und nachfragen, ob es auffällige Schüler gab.
Glander war unruhig. Er hasste Untätigkeit, zumal es viel zu tun gab für eine Firma mit nur zwei Köpfen. Bei der Kripo hätte er jetzt Teams auf Nachbarn, Freunde und Lehrer angesetzt. Nun aber würde er diese Arbeit alleine übernehmen müssen, obwohl ihnen die Zeit davonrannte. Glander lief eine Weile im Wohnzimmer herum und entschied sich um kurz vor halb neun, doch noch einmal nachzusehen, ob einer der Mieter inzwischen zu Hause war.
Als er die Wohnungstür der Bertholds öffnete, wäre er beinahe auf einen braunen Umschlag getreten, der auf dem Fußabtreter lag. Er riss ihn auf und las die Nachricht:
500 000 Euro.
Gebrauchte Hunderter in einem dunklen Rucksack.
Im Pavillon im Park an der Bäkestraße.
Übergabezeit folgt.
Keine Polizei, sonst stirbt sie!
Glander spurtete die Treppe hinunter, in der absurden Hoffnung, noch jemanden zu erwischen. Doch natürlich war niemand zu sehen. Er würde sich die Aufzeichnungen der Überwachungskameras gleich mit Merve anschauen. Als er wieder ins Haus gehen wollte, kamen zwei Menschen gemeinsam auf den Eingang zu.
Gerd Lemke war sofort als Lehrer auszumachen. Glander fand, der Mann hatte einen Schlaumeierblick, aber Glander hatte auch noch nie eine gute Meinung von Lehrern gehabt. Lemke war leger gekleidet: Er trug Jeans und ein hellblaues Oberhemd, darüber eine leichte Lederjacke. Sein Gesicht zierte ein d’Artagnan-Bärtchen. Er sah erheblich jünger aus, als Glander ihn sich vorgestellt hatte, und hatte eine Sporttasche bei sich.
Neben dem Lehrer ging eine mollige Mittdreißigerin mit einem aschblonden Pagenkopf. Sie hatte eine mächtige Oberweite und ein ausladendes Gesäß. Das Rund ihres pausbäckigen Gesichts wurde durch den Haarschnitt zusätzlich betont. Sie trug einen dunkelgrauen Hosenanzug mit einer Marlenehose und Schuhe mit mindestens acht Zentimetern Absatz. Unter dem Sakko lugte ein Top mit Spitzenbesatz am fleischigen Dekolleté hervor. Sie war stark geschminkt, ihr voller Mund mit einem dunkelroten glossigen Lippenstift akzentuiert. Alles an ihr schien zum Anfassen einzuladen.
Das Paar blieb stehen. »Kann man Ihnen helfen?«, fragte die Üppige.
»Frau Gruhner, Herr Lemke?«, fragte Glander zurück. Die beiden nickten, und Glander stellte sich ihnen vor. »Mein Name ist Martin Glander, ich bin privater Ermittler und von den